Zurück

Zur elektronischen Ausgabe

Zum Heft

Zur Rubrik

Die Stralsund aus Elbing hatte 2015 Geburtstag

Zur Biographie des ältesten Dampf-Eisenbahnfährschiffs der Welt

Von Hans-Jürgen Schuch

Als 1890 in Elbing auf der F. Schichau Werft ein aus Eisen gebautes Schiff zu Wasser gelassen und später an den Auftrag­geber, das Eisen­bahn­be­triebsamt Stralsund der Preußisch-Hessischen Staats­bahnen abgeliefert wurde, war das für die Elbinger wahrscheinlich kein beson­deres Ereignis. Ferdinand Schichau hatte bis dahin bereits einige hundert – kleine und große – Schiffe gebaut. Dieser Neubau hatte die Baunummer 440 erhalten. Ein Jahr vorher hatte er an die russische Marine mit dem Torpe­doboot Adler das damals schnellste Schiff der Welt geliefert. Schichau beschäf­tigte 1890 etwa 2.400 Menschen; im gleichen Jahr wurde in Danzig mit dem Bau einer Werft für sehr große Schiffe begonnen. In einer beson­deren Fabrik am Elbinger Bahnhof wurde 1891 die 500. Lokomotive fertig­ge­stellt. Mit der Firma des ollen Ferdinand ging es offenbar nur bergauf.

1890 – Zum Einsatz in Stralsund

Bei dem am 20. Oktober 1890 nach Stralsund verkauften Schiff handelte es sich um ein Spezi­al­schiff: ein Eisenbahn-Fährschiff, das den Namen Stralsund erhielt. Die Fährschiffe von F. Schichau waren in Stralsund bekannt. Zwei Schwes­tern­schiffe hatte die Werft bereits früher geliefert, 1882 die Prinz Heinrich und 1883 die ­Ruegen (1). Alle drei Schichau-Schiffe hatten die Aufgabe, Eisen­bahn­waggons und Passa­giere über den Strelasund zum Fährhafen Altefähr auf der Insel Rügen zu trajek­tieren. Einige Jahre später lieferte die F. Schichau Werft in Elbing für diese älteste deutsche Trajekt­route auf der Ostsee auch noch die jeweils immer größeren Eisen­bahn­fähren: Sassnitz (1897), Putbus (1899), eine zweite Ruegen (1902) und bald nach dem Ersten Weltkrieg die Altefaehr (1920). Vom Fährhafen Altefähr gab es ab 1883 einen Gleis­an­schluss zum Insel­hauptort Bergen und ab 1889 bis nach Putbus. Das war der Grund für den Ankauf und Einsatz eines dritten Fährschiffes, der Stralsund aus Elbing. Nach weiteren zwei Jahren wurde die Gleis­anlage von Bergen aus bis Saßnitz an der Ostküste gebaut. Durch diese Querung der Insel Rügen war es möglich geworden, ab 1. Mai 1897 von privaten Reede­reien die Postdamp­fer­linie von Saßnitz nach Trelleborg in Schweden einzu­richten. Sie wurde zunächst einmal täglich in beiden Richtungen befahren. Damit war zugleich eine günstige Eisenbahn­strecke von Berlin nach Schweden geschaffen. Diese Linien­führung blieb so, bis ab dem 5. Oktober 1936 der für 25 Millionen Reichsmark gebaute Rügen­damm von Stralsund über die Insel Dänholm nach Rügen dem Eisenbahn- und Straßen­verkehr zur Verfügung stand.

Die ersten drei Eisen­bahn­fähren waren sich sehr ähnlich. Sie waren mit 37,15 m, 36,20 m und 36,46 m, immer jeweils über alles, ziemlich gleich lang und mit 9,40 m, 9,46 m und 9,80 m auch fast gleich breit. Auch die anderen techni­schen Daten der drei Schiffe waren einander ähnlich. Sie waren allesamt eher kleine Schiffe, die nach den überlie­ferten Angaben aber in der Lage sein sollten, bis zu 300 Personen aufzu­nehmen. Die von F. Schichau gebauten Nachfol­ge­tra­jekte waren fast doppelt so lang oder noch länger.

Buganleger – Einendfähre – Eisbrecher

Soweit noch feststellbar, war in Elbing auf der Werft für den Bau der Eisen­bahn­­fähre der Ingenieur Dr. Carl Eduard Friedrich Gur­nick (Gurnigk) zuständig. Er war bei F. Schichau von 1878 bis 1895 als Marine­inge­nieur beschäftigt. Seine Wohnung hatte er am Äußeren Georgen­damm 25a.

Die Eisen­bahn­dampf­fähre Stralsund war ein Binnen­schiff, eine als Eisbrecher geeignete Einend­fähre – auch Bugan­leger genannt, weil sie im Fährhafen mit dem Bug anlegte. Sie konnte nur über den Bug be- und entladen werden. Während die beiden älteren Schichau-Bauten zwei einfach wirkende Expansionskolben-Dampfmaschinen als Antrieb hatten, gab es hier jetzt zwei zweistufige Expan­si­ons­dampf­ma­schinen mit zusammen 225 PSi (indizierte Pferde­stärke). Das Zweischrauben-Schiff wurde am 20. Oktober 1890 in Dienst gestellt und nahm bereits am 26. Oktober den Linien­verkehr auf. Die Querung des Strela­sunds vom Fährhafen Stralsund zur Insel Rügen, zum Fährhafen Altefähr, beträgt 1,5 Seemeilen (= 2.778 Meter). Die Überfahrt dauerte etwa 35 Minuten. Die Geschwin­digkeit lag bei acht Knoten. Unbeladen betrug der Tiefgang 1,23 m und beladen 1,88 m.

Das Schiff besaß auf dem durch­lau­fenden Waggondeck ein 32 m langes Gleis mit einer Krupp­stahl­schiene. F. Schichau verfügte erst ab 1897 in Elbing über eine ­eigene Stahl­gie­ßerei. Nach dem Anlegen der Einend­fähre wurden durch Absenken der höhen­ver­stell­baren Laderampen (Lade­brücken) auf dem Schiff und an Land die Ladebrücken auf eine Höhe gebracht. Eine Rangierlok bugsierte die Waggons an Bord oder zog sie von dort an Land.

Die Eisen­bahn­fähre war von weitem zu erkennen. Etwa auf halber Schifflänge gab es auf beiden Seiten je ein Deckshaus und mittschiffs das hölzerne Ruderhaus, die hochge­legene Komman­do­brücke, zwischen zwei hohen Schorn­steinen. Die Stralsund konnte mit drei bis vier Güter­waggons oder mit drei großen Perso­nen­waggons beladen werden. (Perso­nen­wagen wurden auf den Fähren erst seit 1897 befördert.) Während der Überfahrt mussten die Reisenden die Waggons verlassen. Auf den beiden älteren Fährschiffen hieß das, auch bei schlechtem Wetter draußen auszu­harren. Die Stralsund hingegen bot den Passa­gieren während der Überfahrt Platz in zwei getrennten Kabinen: Die »Cajüte I. und II. Classe« befand sich im Vorschiff und war mit rotem Plüsch­mo­biliar ausge­stattet. Die »Cajüte III. und IV. Classe« lag im Achter­schiff. Sie war im Stil der damaligen, in den Zügen üblichen Holzklasse einge­richtet. In diesem Zusam­menhang wird aller­dings klar, dass das angeb­liche Fassungs­ver­mögen von 300 Personen beim Verkehr mit drei Perso­nen­waggons und bei der Nutzung der Schiffs­ka­jüten in keinem Falle erreicht wurde.

Die Stralsund querte gut zehn Jahre lang den Strelasund, war aller­dings bald für diese Route zu klein. Bereits 1885 waren auf der Strecke von und nach Rügen über 90.000 Tonnen Güter und ca. 250.000 Personen befördert worden. Das Trajekt­schiff wurde daher von der Strelasund-Querung abgezogen und auf der Route von Swine­münde nach Wollin einge­setzt. Im Jahre 1926 wurde es in Stettin auf der Schiffs­werft AG Vulcan um einen Meter auf 37,46 m verlängert. Seitdem konnte sie die größeren Packwagen laden.

Der nächste neue Einsatz begann im Spätherbst 1936 und endete 1945. Das ­Eisen­bahn­fähr­schiff aus Elbing wurde zum Transport von Bauma­te­rialien zur geplanten Heeres­ver­suchs­an­stalt Peene­münde und ab Frühjahr 1937 auf der Greifs­walder Oie einge­setzt. Außerdem trajek­tierte das Fährschiff von Saßnitz auf Rügen Güter­wagen zur Insel Usedom, die mit Technik und Anlagen für die Versuchs­an­stalt beladen waren. Das geschah natürlich streng geheim.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Die beiden älteren, im 19. Jahrhundert auf der Strelasund-Route einge­setzten Eisen­bahn­fähr­schiffe von der F. Schichau Werft gab es am Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr. Sie waren beide 1901 ebenfalls von der Route Stralsund-Altefähr abgezogen und an anderer Stelle einge­setzt worden. Die Prinz Heinrich gehörte zuletzt der Danziger Reederei Günter Pohlmann. Danzig war ihr Heimat­hafen. Seit dem 28.  Juli 1928 trug sie den Namen Nogat.

Das Schiff wurde 1944 von der Kriegs­marine übernommen und 1945 als Verwundeten-Transporter einge­setzt. Am 7. April 1945 versank die Nogat nach sowje­ti­schen Artil­le­rie­be­schuss im Hafen von Pillau. Die Ruegen (1) hatte die Kriegs­marine bereits am 21. August 1940 übernommen. Nur zwei Tage später, am 23. August 1940, sank sie auf der Schlep­preise am Haken eines dänischen Schleppers auf den Grund der Ostsee. Die Stralsund sollte nicht der Roten Armee in die Hände fallen und deshalb in den ersten Maitagen 1945 gesprengt werden. Dieses verhin­derten der Kapitän Rudolf Kleinert und sein Oberma­schinist Schmidt, die unter Lebens­gefahr die Spreng­ladung ausbauten. Kleinert blieb Kapitän. (Erst 1973 verließ er die Brücke für immer. Der Stettiner war damals 67 Jahre alt.)

Nach dem Kriegsende dann diente die Stralsund bis 1946 der Sowje­ti­schen Mili­tär­administration in Deutschland (SMAD). Für sie mussten Raketen­teile von der ehema­ligen Heeres­ver­suchs­an­stalt in Richtung Stettin und Swine­münde trans­por­tiert werden. Sie wurde aber auch vor Greifswald auf der Ostsee einge­setzt, um nach versun­kenen Testra­keten zu suchen. Ab August 1945 folgte der Einsatz zwischen dem Festland ab Wolgast-Züssow zur Insel Usedom, und ab Dezember 1945 konnten mit Gütern beladene Eisen­bahn­waggons von Wolgast zur Insel Usedom überge­setzt werden. Die Stralsund war nun bereits 55 Jahre alt. Die Besatzung liebte das Schiff und nannte es »Flunder«.

Ab dem Sommer 1946 beför­derte die Stralsund auch wieder Personen zur Insel Usedom. Der Fährverkehr war wieder aufge­nommen worden. Die letzte Fahrt zur polnisch verwal­teten Stadt Stettin fand in der Zeit vom 13. bis 15. September 1949 statt. Nach Swine­münde fuhr sie letzt­malig am 17./18. September 1949. Anschließend übergaben die sowje­ti­schen Behörden die Dampf­fähre an die Deutsche Reichsbahn. Wolgast wurde der Regis­trier­hafen und das Fährschiffsamt Saßnitz der Reeder.

Der Fährdienst zur Insel Usedom wurde fortge­setzt. Rollendes Material für Wartungs­zwecke befördert. Güter­waggons mussten überge­setzt werden. Kessel­wagen mit Kerosin für den Flugplatz Peene­münde konnten nur mit der Stralsund auf die Insel gelangen. Mehrfach wurde die Eisen­bahnfähre umgebaut, zuletzt im Winter 1979/80. Trotz der auf der Peene­werft durch­ge­führten Wartung des Schiffes war der Zustand der Origi­nal­dampf­ma­schine von F. Schichau immer schlechter geworden. Am 13. Januar 1986 wurde sie daher ausgebaut und zu einer Spezi­al­werft nach Dresden-Laubegast gebracht. Die Maschine sollte gründlich überholt werden. Schwierige Sonder­an­fer­ti­gungen bestimmter Teile waren notwendig geworden.

Zu dieser Zeit wurde die ­Stralsund aller­dings zum Denkmal erklärt, und den Einbau von Diesel­mo­toren lehnte der Denkmal­schutz ab. Die antriebslose Fähre blieb gleichwohl im Einsatz. Vom 1. August 1986 an wurde sie bis 1990 von dem Schlepper Rassow bugsiert; und am 26. Oktober 1990 konnte der 100. Geburtstag seit der Indienst­stellung gefeiert werden. Die letzte Trajek­tierung erfolgte dann am 13. Dezember 1990. Das Fährschiff wurde nicht mehr benötigt und in den Ruhestand geschickt. Die beiden inzwi­schen aus Dresden-Laubegast einge­trof­fenen neuen Maschinen holte die Spezi­al­werft zurück.

Die offizielle Außer­dienst­stellung fand jedoch erst am 31. Dezember 1991 statt. Das eiserne Schiff aus Elbing wurde aber nicht abgewrackt, sondern zum Museums­schiff »befördert«. Es wurde Eigentum der Stadt Wolgast. Die einset­zenden Umbau­ar­beiten mussten mit der Denkmal­schutz­be­hörde abgestimmt werden. Und es bestand die Auflage, das Schiff bereit zu halten für Überset­zungs­fahrten. Im Frühjahr 1993 erhielt die Stralsund auf der Peene­werft sogar seine Wellen­anlage, die Schrauben und das Ruder­blatt zurück. Mehrmals wurde die »Fähre i. R.« wieder einge­setzt. 1993 musste sie 21 Reise­zug­wagen von der Insel Usedom holen und moderne Trieb­wagen vom Festland auf die Ostsee­insel übersetzen. Im selben Jahr trajek­tierte sie in einem neuen Einsatz sechs Trieb­wagen, zehn Reise­zug­wagen und sechs Lokomo­tiven. Ähnliche Einsätze waren 1994 und 1995 notwendig. Vorher war eine Steuer­bord­dampf­ma­schine eingebaut worden. Schließlich fand die Eisenbahn­dampf­fähre 1997 einen neuen Liege­platz in dem damals geschaf­fenen Museums­hafen der Stadt Wolgast. Seitdem ist sie dort als techni­sches Denkmal zu besich­tigen. Der Förder­verein Dampf-Eisenbahnfährschiff Stralsund e. V. kümmert und sorgt sich um dieses Denkmal aus Westpreußen. Die Einsatz­be­reit­schaft vieler Mitglieder und der Ideen­reichtum des Vorsit­zenden Wolfgang Mante machen dies möglich. Das Elbinger Schiff schwimmt ­also auch 125 Jahre nach seiner Fertig­stellung auf dem Wasser. Dieses Fährschiff ist etwas Besonderes.

Nach 125 Jahren

2015 erinnerte man sich in Wolgast mehrfach an den Geburtstag der schwim­menden Jubilarin. Die Museen der Stadt luden zum Besuch einer Ausstellung ein, die ausführlich über die Stralsund Auskunft gab. Zudem wurden ein Bild-Kalender für 2016 und lokale Brief­marken heraus­ge­geben. Die lange Nacht der Denkmäler und Museen am 22. August 2015 war ein willkom­mener Anlass, das schwim­mende Denkmal zu besuchen. Bei den gleich­zeitig statt­fin­denden Wolgaster Hafen­tagen erhielt der Förder­verein ein schwimm­fä­higes, 155 cm langes Modell der Stralsund, das von einem Modell­schlepper in den Hafen gezogen wurde. Natürlich gibt es auch eine Homepage (www.dampffaehrschiff-wolgast.org). Am 24. Oktober 2015 fand im Museum, in der »Kaffee­mühle«, eine Festver­an­staltung mit einem Empfang statt, bei dem mehrmals auch an die Werft von F. Schichau erinnert wurde. Danach war Zeit für eine Besich­tigung; und schließlich erfreute die Besucher ein buntes Programm auf dem Jubilä­ums­schiff. Es ist inzwi­schen das älteste Dampf-Eisenbahnfährschiff der Welt.