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Gastkommentar von Volker Beck: Kein Unrecht bleibt vergessen

Der Umgang der Bundesrepublik Deutschland mit der Ausbürgerung Danziger Juden

Diskriminierung, Entrechtung bis zur massenhaften Ermordung charakterisieren das nationalsozialistische Regime. Auch dass sich Mechanismen der Verfolgung nach der Befreiung 1945 in Parteien, Ämtern sowie in rassistischem und antisemitischem Denken fortsetzten, ist heute wohl unumstritten. Aber dass auch mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht alles Unrecht der damaligen Zeit aufgearbeitet wurde, ist vor allem für Überlebende und ihre Nachkommen nur schwer zu ertragen, so etwa für Juden, die aus Danzig stammen.

Nach dem Frie­dens­ver­trag von Ver­sailles 1919 und der Wie­der­her­stel­lung des pol­ni­schen Staa­tes wur­den in Dan­zig leben­de deut­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge zu Staats­an­ge­hö­ri­gen der Frei­en Stadt Dan­zig. Mit der Beset­zung Polens wur­den die­se Bür­ger vom Deut­schen Reich rück­wir­kend zum 1. Sep­tem­ber 1939 wie­der zu deut­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen erklärt. Davon waren jüdi­sche Dan­zi­ger jedoch aus­ge­schlos­sen worden.

Die Dan­zi­ger Juden hat­ten bereits in den vor­an­ge­gan­ge­nen Jah­ren, wie in vie­len ande­ren Tei­len Deutsch­lands, auf die zuneh­men­de Bedrän­gung mit einer Rück­be­sin­nung auf jüdi­sche Tra­di­tio­nen und einem Erstar­ken inner­jü­di­schen Lebens reagiert : Anfang 1938 ent­schloss sich die Gemein­de, geschlos­sen in das bri­ti­sche Man­dats­ge­biet Paläs­ti­na aus­zu­wan­dern. Einem Teil gelang dies im März 1939 auch, und bis 1941 konn­te der größ­te Teil der Gemein­de Dan­zig ver­las­sen. Die­je­ni­gen, denen dies bis 1941 nicht gelang, wur­den vor allem nach The­re­si­en­stadt und Ausch­witz deportiert.

Dan­zi­ger Juden, die die Sho­ah über­leb­ten, wur­den nach der Befrei­ung wei­ter dis­kri­mi­niert : Waren sie vor dem NS-Regime deut­sche Staats­bür­ger gewe­sen, hat­ten jüdi­sche Dan­zi­ger auch nach Inkraft­tre­ten des Grund­ge­set­zes 1949 kei­nen Wie­der­ein­bür­ge­rungs­an­spruch, da ihnen die deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit ja nicht wäh­rend der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Gewalt­herr­schaft, son­dern mit dem Ver­sailler Ver­trag ent­zo­gen wor­den sei. Ange­sichts der his­to­ri­schen Ent­wick­lung ist die­se Argu­men­ta­ti­on per­fi­de und haar­sträu­bend. Die­se Unge­rech­tig­keit wur­de in Tei­len dann auch erkannt und Dan­zi­ger Juden erhiel­ten 1955 einen Ein­bür­ge­rungs­an­spruch, aller­dings nur bei einem Wohn­sitz in Deutsch­land, und auch nur dann, wenn sie nicht zwi­schen­zeit­lich eine ande­re Staats­an­ge­hö­rig­keit erwor­ben hat­ten – was vor dem Hin­ter­grund der Flucht und des Exils in den meis­ten Fäl­len gege­ben war.

Damit sind bis heu­te nur die Juden von den Rech­ten aus der Mas­sen­ein­bür­ge­rung der Dan­zi­ger 1939 pau­schal aus­ge­schlos­sen, wie eine Klei­ne Anfra­ge von mir an die Bun­des­re­gie­rung nun bestä­tig­te. Die­se Ver­weh­rung der Ein­bür­ge­rung ist eine Fort­schrei­bung der Fol­gen natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Dis­kri­mi­nie­rung. Sie ist Unrecht und darf wie die Mas­sen­aus­bür­ge­rung der deut­schen Juden kei­nen Bestand haben.

Über­le­ben­de Dan­zi­ger Juden waren zudem nach ihrer Befrei­ung auch von den Bun­des­ent­schä­di­gungs­ge­set­zen aus­ge­schlos­sen, die nur für deut­sche NS-Verfolgte gal­ten. Dar­aus wer­den heu­te kei­ne neu­en mate­ri­el­len Wie­der­gut­ma­chungs­an­sprü­che mehr abge­lei­tet. Das Bun­des­ent­schä­di­gungs­ge­setz ist seit 1969 geschlos­sen, und Opfer des Natio­nal­so­zia­lis­mus kön­nen heu­te nur aus nach­fol­gen­den Här­te­fall­fonds, u. a. dem Artikel-2-Fonds von 1990, der über die Jewish Claims Con­fe­rence admi­nis­triert wird, ent­schä­digt werden.

Der Bezug zu Dan­zig und damit zum deutsch­spra­chi­gen Raum lebt oft­mals in der Fami­li­en­ge­schich­te fort, eine Aner­ken­nung durch die Been­di­gung der Unge­rech­tig­kei­ten im Staats­an­ge­hö­rig­keits­recht hat damit auch für die Nach­kom­men der Dan­zi­ger Juden, die heu­te in allen Tei­len der Welt leben, Rele­vanz. Wenigs­ten jetzt soll­ten sie die Opti­on haben, auf Antrag die deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit zu erwer­ben, ohne Bele­ge einer Bin­dung an Deutsch­land erbrin­gen zu müssen.

In die­sem Fall, der heu­te nur noch ver­gleichs­wei­se weni­ge Men­schen betrifft, wie auch im Fall der grö­ße­ren Zahl von Jüdin­nen und Juden, die seit den 1990er Jah­ren aus der ehe­ma­li­gen Sowjet­uni­on nach Deutsch­land gekom­men sind, hallt die Fra­ge aus den fins­te­ren Zei­ten von Natio­nal­so­zia­lis­mus und völ­ki­scher Bewe­gung nach :  Kön­nen Juden Deut­sche sein ?  Demo­kra­ten wür­den dies mit gro­ßer Selbst­ver­ständ­lich­keit beja­hen. Spa­ni­en und Por­tu­gal bie­ten seit 2015 sephardisch-jüdischen Fami­li­en, deren Vor­fah­ren im Zuge der Recon­quis­ta bis 1492 von der ibe­ri­schen Halb­in­sel ver­trie­ben wur­den, die Staats­bür­ger­schaft mit vol­len Rech­ten an. Wie klein­lich dage­gen die bun­des­deut­sche Praxis.

Volker Beck gehörte von 1994 bis 2017 dem Deutschen Bundestag an und war zuletzt migrations- und religionspolitischer Sprecher der Grünen sowie Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe.