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Frank Wisbar, der Untergang der Wilhelm Gustloff – und die Westpreußen

Lange Zeit vor dem Krebsgang, der Novelle von Günter Grass aus dem Jahre 2002, und erst recht vor dem aufwändigen TV-Drama Die Gustloff, das Joseph Vilsmaier 2007 inszeniert hat (und das dann Anfang März 2008 ausgestrahlt wurde), hatte sich bekanntlich der aus Tilsit gebürtige Regisseur Frank Wisbar (1899–1967) dem Sujet der Gustloff-Katastrophe zugewandt. Dabei setzte er in einer Phase der Dreharbeiten als »Komparsen« einen Fischdampfer (FD) ein, der den Namen einer früheren preußischen Provinz trug:  Westpreußen. Ein kurzer Moment der Filmgeschichte rückt damit plötzlich ein Schiff vor den Blick, das – abgesehen von seiner Verbindung zu Frank Wisbar – schon aufgrund seines Namens unser uneingeschränktes Interesse verdient.

Frank Wisbar (der ursprünglich Wysbar hieß) war 1938 in die USA ausge­wandert und hatte dort nach anfäng­lichen Fehlschlägen begonnen, Shows und Filme für das damals neue Medium Fernsehen zu insze­nieren und zu produ­zieren. Obwohl diese Pionier­arbeit ihm großen, auch wirtschaft­lichen Erfolg einbrachte, kehrte er – inzwi­schen als ameri­ka­ni­scher Staats­bürger – Mitte der 1950er Jahre nach Deutschland zurück. Von der Herstellung künst­le­risch seichter Konfek­ti­onsware ermüdet, bemühte er sich nun darum, anspruchs­volle Filme zu konzi­pieren, und suchte dabei zugleich seinem Gewissen zu folgen, das ihn nach seinen eigenen Worten gerade im Deutschland dieser Zeit dazu aufrief, »Filme gegen den Krieg zu drehen«. Zielsicher verfolgte Wisbar diese Absicht. Der Streifen Haie und kleine Fische (1957) erweckte bereits große Aufmerk­samkeit, und der Titel Hunde, wollt ihr ewig leben (1958/1959), ein vielbe­ach­tetes und preis­ge­kröntes Werk, das den Untergang der 6. Armee im Kessel von Stalingrad thema­ti­siert, etablierte ihn im Nachkriegs­deutschland endgültig als heraus­ra­genden zeitkri­ti­schen Regisseur.

Diese Linie weiter­ver­folgend, beschäf­tigte sich Frank Wisbar sodann auch mit der Katastrophe der Wilhelm Gustloff und verfasste 1959 nach einem Tatsa­chen­be­richt, der in der Illus­trierten Stern erschienen war, das Drehbuch. Als Darsteller und Darstel­le­rinnen vermochte er ausge­spro­chene Stars jener Zeit – neben Gunnar Möller und Erik Schumann beispiels­weise Sonja Ziemann, Brigitte Horney und Tatjana Iwanow – zu verpflichten. Die Drehar­beiten vollzogen sich in Berlin, Bilshausen (Lkr. Göttingen), Bremer­haven und Cuxhaven sowie an der Ostsee­küste – und schließlich auch im Umfeld von Helgoland. Und bei der Planung dieser Aufnahme-Sequenzen kreuzte gleichsam ein Schiff auf, das zu dieser Zeit lediglich als Fisch­dampfer diente, nun aber mit Zustimmung seines Eigners, der Nordsee Deutsche Hochsee­fi­scherei AG, dazu auser­koren wurde, in Frank Wisbars neuem Kriegsfilm als Vorpos­tenboot vor der Kamera zu erscheinen und zudem auch zehn Tage lang als Studio genutzt zu werden.

Welches Aufsehen diese Vorgänge in Bremer­haven erregten, welche hohe Bekanntheit die Haupt­ak­teure offenbar genossen und welches Interesse dieses Projekt insgesamt fand, belegt der ausführ­liche und anschau­liche, mit Autogrammen versehene Bericht aus der Betriebs­zeitung der Nordsee (1959/1), der auch heute noch lesenswert ist und hier vollständig wieder­ge­geben wird. Dieser Artikel nennt zugleich freilich auch den Namen jenes Film-Komparsen »ohne Kennzeichen«, der jenseits der Gustloff-Thematik einen überra­schenden Aspekt des weiten Feldes »Westpreußen« eröffnet und dazu einlädt, in diesem Kontext auch die Geschichte des Fisch­dampfers festzu­halten, der diesen vertrauten Namen getragen hat.

Der Dampfer war 1940 bei Seebeck in Weser­münde für die Nordsee Deutsche Hochsee­fi­scherei AG erbaut worden, doch unmit­telbar nach seiner Fertig­stellung forderte ihn die Kriegs­marine an. Zunächst als Hilfsminen­sucher (M 1108) einge­setzt, fuhr das Schiff später als U‑Jagdboot UJ 1709. Nachdem sie den Krieg überstanden hatte, wurde die Westpreußen 1945 von der ameri­ka­ni­schen Besat­zungs­macht beschlag­nahmt. Nach dem Rückbau zum Fisch­dampfer konnte sie von der Nordsee wieder auf Charter­basis einge­setzt werden. Letztlich erhielt die Reederei das Schiff aufgrund eines Rückga­be­ab­kommens 1954 von den Ameri­kanern zurück. – 1959 schlug dann die große Stunde der Westpreußen, als sie für ihre Komparsen-Rolle beim filmisch nachge­stellten Untergang der Gustloff sowie als Studio-Schiff des berühmten Frank Wisbar ausge­wählt wurde. Ein Jahr später zeigte sich jedoch, dass der Kriegs­dienst und die Hochsee­fi­scherei in Nordsee und Nordat­lantik doch allzu deutliche Spuren hinter­lassen hatten :  das Schiff wurde zum Abwracken nach Hamburg verkauft.

Dieter Kokot / DW