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Felix Dueball aus Jastrow in Westpreußen (1880–1970) 

Die Geschichte eines Go-Pioniers und ‑Meisters

Von Günter Cießow und Erik Fischer

Das Go-Spiel, Japan und das Renommee des »Dr. Dueball«

Das Go-Spiel ist in West­preu­ßen nicht hei­misch gewe­sen, und auch heu­te steht es – unab­hän­gig von den durch­aus erfolg­rei­chen Bemü­hun­gen des Deut­schen Go-Bundes – gewiss nicht im Zen­trum der öffent­li­chen Auf­merk­sam­keit. Eini­ges inter­na­tio­na­les Auf­se­hen erreg­te die­ses Strategie-Brettspiel aller­dings durch einen Vor­gang, der sich Ende der 2010er Jah­re voll­zo­gen hat und der heu­te wie ein Vor­spiel zur aktu­ell hef­tig auf­bran­den­den Dis­kus­si­on über »Künst­li­che Intel­li­genz« (KI) anmu­tet: 2016 trat der jun­ge, gera­de 33 Jah­re alte Korea­ner Lee Sedol, zu die­ser Zeit einer der welt­bes­ten Go-Spieler, in einem spek­ta­ku­lä­ren Wett­kampf gegen das von Deep­Mind ent­wi­ckel­te Computer-Programm Alpha­Go an, und wäh­rend er zunächst noch ange­kün­digt hat­te, in die­sem Schau­kampf eines Men­schen gegen einen Rech­ner »haus­hoch« zu gewin­nen, gelang es ihm ledig­lich, eine der fünf ange­setz­ten Par­tien für sich zu entscheiden.

Drei Jah­re spä­ter hat­te die Selbst­op­ti­mie­rung künst­li­cher neu­ro­na­ler Net­ze der­ar­ti­ge Fort­schrit­te gemacht, dass das neue KI-Programm Alpha­Ze­ro schon als unschlag­bar galt – und die bemer­kens­wer­te Kon­se­quenz zei­tig­te, dass sich Lee Sedol vom Go-Sport völ­lig zurück­zog. – Die­se Geschich­te lässt deut­lich wer­den, dass Go, das in der Spiel­kul­tur Ost­asi­ens offen­bar eine erheb­lich grö­ße­re all­ge­mei­ne Wert­schät­zung genießt als in der west­li­chen Hemi­sphä­re, um ein Viel­fa­ches kom­ple­xer und ver­track­ter ist als Schach. Immer­hin war es dem Schach­com­pu­ter Deep­Blue bereits 1996 gelun­gen, erst­mals in einer Par­tie mit einer regu­lä­ren Zeit­kon­trol­le gegen einen amtie­ren­den Welt­meis­ter – Gar­ri Kas­pa­row – zu obsiegen.

Einen ers­ten, inten­si­ven Ein­druck von Go und des­sen Ein­bet­tung spe­zi­ell in die japa­ni­sche Kul­tur ver­mag ein halb­do­ku­men­ta­ri­scher Roman zu ver­mit­teln, des­sen Hand­lungs­kern im Grun­de von einem ein­zi­gen Go-Spiel gebil­det wird. Es han­delt sich um die legen­dä­re Par­tie zwi­schen dem älte­ren Hon’inbō Shū­sai, dem letz­ten Trä­ger des per­sön­li­chen Hon’inbō-Titels, und dem um 35 Jah­re jün­ge­ren Kita­ni Mino­ru, die an fünf­zehn Spiel­ta­gen zwi­schen dem 26. Juni und dem 4. Dezem­ber 1938 aus­ge­tra­gen wor­den ist und in der letzt­lich der ehr­wür­di­ge alte Meis­ter, der »Mei­jin«, als Reprä­sen­tant eines tie­fen, phi­lo­so­phisch ver­an­ker­ten Spiel­ver­ständ­nis­ses dem Ver­tre­ter einer neu­en Gene­ra­ti­on von hoch­pro­fes­sio­nel­len Spie­lern unter­liegt. Mei­jin1 lau­tet auch der Titel die­ses Romans. Er wur­de im Jahr 1954 von Kawa­ba­ta Yas­u­na­ri ver­öf­fent­licht, der spä­ter­hin (1968) als ers­ter Japa­ner mit dem Lite­ra­tur­no­bel­preis aus­ge­zeich­net wor­den ist. 

Sofern sich ein west­li­cher Leser, selbst wenn er mit dem Go-Spiel kaum ver­traut ist, auf die Lek­tü­re die­ses Buches ein­lässt, wird ihn die sen­si­ble und fein dif­fe­ren­zie­ren­de Schil­de­rung einer von Tra­di­tio­nen, Hier­ar­chien, hohen mora­li­schen Wer­ten und stren­gen Ver­hal­tens­nor­men bestimm­ten Welt bald in ihren Bann schla­gen. Über­dies wird ihm auf sei­nem Wege eine nicht-fiktive Per­son begeg­nen, die eine enge Ver­bin­dung zwi­schen dem Go-Spiel und der japa­ni­schen Kul­tur und Gesell­schaft der spä­ten 1930er einer­seits und – einem West­preu­ßen ande­rer­seits deut­lich wer­den lässt: Felix Due­ball aus Jas­trow (dem der Autor Kawa­ba­ta respekt­voll, aber fälsch­li­cher­wei­se einen Dok­tor­ti­tel zuer­kannt hat). Die ers­te Erwäh­nung, die sich im 22. Kapi­tel fin­det, lau­tet (S. 79):

Dr. Felix Due­ball, der sich in Japan [im] Go [wei­ter­ge­bil­det] hat­te, nach Deutsch­land zurück­ge­gan­gen und als der »Deut­sche Honin­bo« bekannt war, sand­te dem Mei­jin ein Glück­wunsch­te­le­gramm zum Anlass sei­ner letz­ten Par­tie. In der Mor­gen­aus­ga­be der Nichi­ni­chi war ein Foto der bei­den Spie­ler, wie sie das Tele­gramm lasen.

Spä­ter­hin – im 28. Kapi­tel – spricht der Erzäh­ler von dem wach­sen­den Inter­es­se, das Go in Euro­pa und sogar in Ame­ri­ka inzwi­schen ent­ge­gen­ge­bracht wür­de, und hebt dabei aner­ken­nend her­vor, »dass es in Dr. Due­balls Deutsch­land mehr als fünf­tau­send Anhän­ger des Spiels« gebe (S. 99).

Die­se bei­den Hin­wei­se auf einen Deut­schen, dem in Kawa­ba­tas Go-Roman eines­teils die ehr­wür­di­ge Aus­zeich­nung eines über­ra­gen­den Go-Meisters – »Hon’inbō« – zuge­spro­chen wird und dem es andern­teils gelun­gen ist, das Spiel bei sei­nen Lands­leu­ten nicht nur bekannt zu machen, son­dern auch erfolg­reich zu ver­brei­ten, zeu­gen von dem (immer noch fort­wäh­ren­den) hohen Renom­mee, das Felix Due­ball in Japan erwor­ben hat­te. Auf­grund die­ses Sach­ver­halts erscheint es gera­de­zu über­fäl­lig, dass das Leben und die Kar­rie­re eines Man­nes, der nicht zuletzt im Wikipedia-Eintrag »Jas­tro­wie« als bedeu­ten­der Sohn sei­ner Hei­mat­stadt genannt wird, auch im West­preu­ßen aus­führ­li­cher gewür­digt werden.

Von Jastrow nach Berlin 

Felix Due­ball wur­de am 20. 3. 1880 in Jas­trow gebo­ren. Der Vater war in die­ser Stadt Beam­ter im Gerichts­we­sen. Noch im sel­ben Jahr zog die Fami­lie in die Kreis­stadt Deutsch-Krone, und nach Ver­set­zun­gen des Vaters ging die Fami­lie zunächst 1883 nach Schwe­rin an der Warthe und dann, im Okto­ber 1888, nach Won­gro­witz in der Pro­vinz Posen. Dort bestand Felix Due­ball 1901 das Abitur, bezog im Anschluss – nach einem neu­er­li­chen Umzug der Fami­lie – die Uni­ver­si­tät Ber­lin und leg­te im April 1906 das Staats­examen für das höhe­re Lehr­amt ab. 

Nach dem Refe­ren­da­ri­at, das ihn nach Tre­mes­sen, Brom­berg und Posen führ­te, wur­de er im April 1908 zum »König­li­chen Ober­leh­rer« ernannt und erhielt sei­ne ers­te Stel­le in Gne­sen. Danach folg­te 1911, eben­falls in der Pro­vinz Posen gele­gen, die Stadt Rawitsch, bis eine Bewer­bung um eine Anstel­lung in Char­lot­ten­burg Erfolg hat­te und die Fami­lie von Felix Due­ball im April 1919 dort­hin zog – in eine Woh­nung, in der er nun vol­le 50 Jah­re lang leb­te. Hier traf ihn 1925 mit dem Tode sei­ner erst 40-jährigen Frau ein schwe­rer Schick­sals­schlag; da er inzwi­schen drei Kin­der zu ver­sor­gen hat­te, ging er noch im glei­chen Jahr eine zwei­te Ehe ein.

Als Stu­dent war Felix Due­ball, eben­so wie sein Kom­mi­li­to­ne und Freund Max Lan­ge, ein eif­ri­ger und star­ker Schach­spie­ler. Nach­dem Max Lan­ge 1904 eher zufäl­li­ger­wei­se in Vel­ha­gen & ­Klasings Monats­hef­ten einen Arti­kel über ost­asia­ti­sche Brett­spie­le gele­sen hat­te, nah­men die bei­den Freun­de die­se Spur auf, sam­mel­ten wei­te­re, nur spär­lich ver­füg­ba­re Infor­ma­tio­nen und bas­tel­ten aus einem Papp­brett und Brief­ver­schluss­mar­ken ein Spiel­brett. Ande­re Freun­de kamen hin­zu und bil­de­ten einen ers­ten klei­nen Kreis von begeis­ter­ten Go-Spielern.

Da sei­ne beruf­li­che Tätig­keit Due­ball lan­ge Jah­re von Ber­lin fern­hielt und die Bemü­hun­gen, ande­re Men­schen für die­ses Spiel zu inter­es­sie­ren, fehl­schlu­gen, muss­te er sich auf Fern­par­tien beschrän­ken. Erst mit sei­nem Umzug nach Char­lot­ten­burg (das kurz dar­auf zu einem Teil von Groß-Berlin wur­de) trat eine Wen­de ein. Auf sein Betrei­ben tra­fen sich die Go-Freunde jeden Diens­tag­abend im Schach­saal ver­schie­de­ner Cafés. Nur ganz beson­de­re Umstän­de wie Urlaub, Krank­heit oder Fei­er­ta­ge konn­ten ihn ver­an­las­sen, einen Go-Abend auszulassen.

Uner­müd­lich bemüh­te er sich wei­ter­hin, Go popu­lä­rer zu machen und auch Anfän­ger in das Spiel ein­zu­füh­ren, wobei er stets dar­auf ach­te­te, sie nicht zu über­for­dern, son­dern ihre Spiel­stär­ke und die Freu­de am Spiel zu för­dern. Als »unge­krön­ter König« die­ses Krei­ses hielt er die ande­ren Spie­ler an, sich in glei­cher Wei­se für den Nach­wuchs zu enga­gie­ren. Ein beson­de­res Ver­gnü­gen berei­te­te es ihm schließ­lich, japa­ni­sche Go-Freunde ein­la­den und bei die­sen Gele­gen­hei­ten auch ein­mal auf stär­ke­re Geg­ner tref­fen zu können.

Japan – und eine telegraphische Fernpartie

Der zuneh­men­de Kon­takt mit japa­ni­schen Spie­lern brach­te es mit sich, dass auch in der Pres­se ihres Hei­mat­lan­des über das Go-Spiel in Deutsch­land und über den jahr­zehn­te­lang unan­ge­foch­ten stärks­ten deut­schen Go-Spieler – Felix Due­ball – berich­tet wur­de. So bil­de­te sich halb scherz‑, halb ernst­haft die Bezeich­nung ­Doitsu Hon’inbō, der »Deut­sche Groß­meis­ter«, her­aus. Auf die­se Wei­se wie­der­um wur­den wei­te­re japa­ni­sche Go-Spieler auf die ent­spre­chen­de Sze­ne in Deutsch­land auf­merk­sam und nah­men, wenn sie Deutsch­land besuch­ten, häu­fig Kon­takt mit Felix Due­ball auf. 

Einer der gro­ßen För­de­rer des Go-Spiels, Baron Ôku­ra, lud schließ­lich Felix Due­ball mit sei­ner Frau für ein Jahr nach Japan ein. Damit ging der Traum sei­nes Lebens in Erfül­lung: Am 3. April 1930 ver­ließ das Ehe­paar Ber­lin und traf nach län­ge­rer Rei­se mit der Hakozaki-Maru am 20. Mai 1930 in Tokyo ein. 

Ein unver­gess­li­ches Jahr folg­te: Vie­le ehren­de Ein­la­dun­gen, das Wie­der­se­hen alter wie das Ken­nen­ler­nen neu­er japa­ni­scher Freun­de, herr­li­che Rei­sen zu Japans Natur­schön­hei­ten und für Felix Due­ball das Spie­len im Nihon Ki-in, der japa­ni­schen Go-Akademie, mit Berufs­meis­tern und – als Krö­nung die­ser fas­zi­nie­ren­den Erleb­nis­se – ein Spiel mit Hon’inbō Shū­sai, dem Mei­jin. Gegen Ende sei­nes Auf­ent­hal­tes, am 1. Mai 1931 erhielt Felix Due­ball das Diplom über den Sho­dan, den Anfangs­rang der Fort­ge­schrit­te­nen – und Meis­ter­gra­de. – Am 16. 5. 1931 ver­ließ das Ehe­paar dann, von vie­len Freun­den ver­ab­schie­det, Tokyo wie­der und kehr­te, nach meh­re­ren Rei­se­un­ter­bre­chun­gen, am 16. 6. 1931 nach Ber­lin zurück. 

Die­ser Ankunfts­tag in Ber­lin war ein Diens­tag, und so war es für Felix Due­ball selbst­ver­ständ­lich, gleich zu sei­nem Go-Abend zu gehen. Ein Go-Abend in der Woche erschien ihm nun aber als zu wenig. Des­halb bot er jeweils sonn­abends in sei­ner Woh­nung einen wei­te­ren regel­mä­ßi­gen Ter­min an. Beson­ders gern gese­he­ne Gäs­te waren Her­ren der japa­ni­schen Kolo­nie. Sie luden im Gegen­zug auch ihrer­seits deut­sche Go-Spieler zu Spiel­aben­den in ihre Häu­ser oder in den japa­ni­schen Club ein, der sich an der Ecke Kaiser­allee / Trau­ten­au­stra­ße befand.

Die­ser inten­si­ve Kul­tur­aus­tausch rück­te in den Blick einer brei­te­ren Öffent­lich­keit, als zwei japa­ni­sche Zei­tun­gen – Tokyo nichi-nichi und Osa­ka mai-nichi – sowie der Völ­ki­sche Beob­ach­ter 1936 über­ein­ka­men, eine tele­gra­phi­sche Fern­par­tie zwi­schen Japan und Deutsch­land zu finan­zie­ren. Dabei trat der frü­he­re japa­ni­sche Kul­tus­mi­nis­ter Hatoya­ma Ichirō, ein star­ker Ama­teur­spie­ler und spä­te­rer Minis­ter­prä­si­dent sei­nes Lan­des, gegen den amtie­ren­den Euro­pa­meis­ter Felix Due­ball an. Zug um Zug wur­de über die­se Par­tie berich­tet. Sie begann im Sep­tem­ber und ende­te nach 50 Spiel­ta­gen im Novem­ber mit einem knap­pen Sieg von Exzel­lenz Hatoyama.

Die­ser »fern­draht­lich aus­ge­tra­ge­ne Wett­kampf im ›GO‹« hat­te, wie ein Zei­tungs­ar­ti­kel aus dem Jahr 1937 berich­te­te, »so viel Anteil­nah­me gefun­den, dass der Gau Ber­lin der NS-Gemeinschaft ›Kraft durch Freu­de‹ sich ent­schlos­sen hat, im kom­men­den Jahr in Ber­lin zwan­zig Go-Lehrkurse zu ver­an­stal­ten«. Die­se Ent­schei­dung der KdF-Funktionäre war der Popu­la­ri­sie­rung des Go sicher­lich höchst för­der­lich; sie zeigt zugleich aber unmiss­ver­ständ­lich, wie nach­drück­lich sich die natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Macht­ha­ber jetzt die­ses Spiels bemäch­tig­ten und die Zir­kel der Go-Enthusiasten für ihre Zwe­cke funk­tio­na­li­sier­ten: Die macht­po­li­tisch begrün­de­te Alli­anz zwi­schen dem Deut­schen Reich und dem Japa­ni­schen Kai­ser­reich, die im Novem­ber 1936 den Anti­kom­in­tern­pakt unter­zeich­net hat­ten, ließ sich durch das Zusam­men­fin­den der ein­an­der »frem­den« Län­der im Go zu einer auch kul­tu­rel­len Nähe bei­der Völ­ker überhöhen.

Aus den regel­mä­ßi­gen Kon­tak­ten zwi­schen den Spie­lern bei­der Natio­nen rag­te der Auf­ent­halt des japa­ni­schen Pro­fi­meis­ters Fuku­da Masay­o­shi her­vor, der eben­falls Schü­ler von Hon’inbō Shū­sai gewe­sen war, spä­ter­hin den Rang 6 Dan erreich­te und bei sei­nen Rei­sen durch Euro­pa und Ame­ri­ka län­ger als ein Jahr, von 1937 bis 1939, in Deutsch­land auf­trat. Im Jahr 1937 erhielt das reichs­wei­te Go-Spiel schließ­lich fes­te orga­ni­sa­to­ri­sche Struk­tu­ren: Der Deut­sche Go-Bund wur­de gegrün­det – und ernann­te Felix Due­ball zu sei­nem Ehrenpräsidenten.

Ein wohlbestelltes Haus und hohe Ehrungen

Der kata­stro­phi­sche Aus­gang des Zwei­ten Welt­krie­ges brach­te die Ent­wick­lung des Go-Spiels und der deutsch-japanischen Part­ner­schaf­ten zeit­wei­lig zum Erlie­gen. Pri­vat lud Felix Due­ball aller­dings schon bald wie­der zu Go-Abenden in sei­ne unzer­stört geblie­be­ne Woh­nung ein, und selbst wäh­rend der Berlin-Blockade – bei Not­be­leuch­tung – wur­den die regel­mä­ßi­gen Tref­fen nicht mehr unter­bro­chen. Die­ser Pas­si­on konn­te sich Felix Due­ball nach dem Errei­chen des Pen­si­ons­al­ters aller­dings nicht unein­ge­schränkt wid­men: Der all­ge­mei­ne Leh­rer­man­gel in der frü­hen Nach­kriegs­zeit führ­te dazu, dass er wei­ter­hin im Schul­dienst tätig blei­ben muss­te und erst 1949 in den wohl­ver­dien­ten Ruhe­stand gehen konnte.

Nach der Grün­dung der Bun­des­re­pu­blik nor­ma­li­sier­ten und sta­bi­li­sier­ten sich die Ver­hält­nis­se zuneh­mend. Dazu gehör­te auch die Wie­der­auf­nah­me von inter­na­tio­na­len Kon­tak­ten, denn nun konn­te Felix Due­ball auch wie­der japa­ni­sche Gäs­te begrü­ßen, und der ­Nihon Ki-in begann, sei­nem hohen Respekt vor dem Nes­tor des Go-Spiels in Deutsch­land durch die Ver­lei­hung wei­te­rer Dan-Grade (des zwei­ten bis fünf­ten) Aus­druck zu ver­lei­hen: 1951 erhielt Felix Due­ball das Nidan‑, 1954 das Sandan- und 1958 das Yondan-Diplom, dem am 20. März 1960 – zum 80. Geburts­tag – der Godan-Rang folgte. 

Als Ehren­prä­si­dent des 1952 wie­der­ge­grün­de­ten Deut­schen Go-Bundes konn­te er die orga­ni­sa­to­ri­sche Arbeit jün­ge­ren Kräf­ten über­las­sen. Zudem fan­den an vie­len Orten etli­che Go-Abende statt, so dass er Gäs­te nur noch zu beson­de­ren Anläs­sen zu sich nach Hau­se ein­lud. Obwohl er in den spä­te­ren Jah­ren schwe­re Par­tien, die er als zu anstren­gend emp­fand, mied, war er doch uner­müd­lich dar­um bemüht, das Go-Spiel zu ver­brei­ten und schwä­che­re Spie­ler durch Lehr­par­tien zu för­dern. Es war ihm eine Freu­de, die wei­te­re Ver­brei­tung des Go nicht nur in Deutsch­land, son­dern auch in ­Euro­pa zu erle­ben: Bis 1965 nahm er (mit Aus­nah­me des Jah­res 1958) an jedem jähr­lich statt­fin­den­den ­Euro­päi­schen Go-Kongress teil.

1963 erhielt Felix Due­ball für sich und sei­ne Frau eine Ein­la­dung, anläss­lich des ers­ten inter­na­tio­na­len Go-Turniers im Okto­ber die­ses Jah­res für einen Monat nach Tokyo zu rei­sen. Dort gab es ein freu­di­ges Wie­der­se­hen mit vie­len alten Freun­den. – 1964 zeich­ne­te die Go-Akademie ihn mit der Baron-Ôkura-Nadel aus, und im glei­chen Jahr über­sand­te man ihm als Reprä­sen­tan­ten des Deut­schen Go-Bundes fünf Schrift­rol­len mit kal­li­gra­phisch gestal­te­ten Sinn­sprü­chen, die jeweils von einem der gro­ßen Go-Meister die­ser Zeit ver­fasst wor­den waren. Die­ses Prä­sent hat­ten die Frau und die Kin­der des 1960 plötz­lich ver­stor­be­nen Unter­neh­mers und Go-Enthusiasten Yoshio Ban­nai zur Erin­ne­rung an ihren Mann bzw. Vater für Felix Due­ball anfer­ti­gen lassen.

Der viel­fach Geehr­te konn­te sei­nen 90. Geburts­tag noch im Krei­se der Fami­lie fei­ern. Eini­ge Mona­te spä­ter ist er nach kur­zem Kran­ken­la­ger am 8. Okto­ber 1970 ver­stor­ben. Auf die­sen Tag datier­te der Nihon Ki-in die Urkun­de, durch die er Felix Due­ball den sechs­ten Dan-Grad, den Roku­dan, ehren­hal­ber zuer­kann­te; und eben­falls pos­tum ver­lieh ihm Sei­ne Majes­tät, der Kai­ser von Japan, zeit­gleich die fünf­te Klas­se des Ordens zum hei­li­gen Schatz.


Bis 1940 war Felix Due­ball unan­ge­foch­ten der stärks­te deut­sche Go-Spieler. Dann begann aller­dings sein ältes­ter Sohn, ihm die­sen Rang strei­tig zu machen. Dr. Fritz Due­ball hat­te – wie auch sei­ne bei­den jün­ge­ren Geschwis­ter – das Go-Spiel von Kin­des­bei­nen an gelernt und konn­te bereits 1938 die ers­te über­haupt aus­ge­tra­ge­ne Euro­pa­meis­ter­schaft für sich ent­schei­den. Seit­dem war er für lan­ge Zeit einer der stärks­ten deut­schen Spie­ler. Auch Jür­gen Due­ball, der Sohn von Fritz, spiel­te etwa 4 Dan und stand bei sei­nem Tode im Jah­re 2002 zudem im Schach-Spiel kurz vor dem Rang eines Groß­meis­ters. So fiel die Bega­bung von Felix Due­ball, sei­ne Begeis­te­rung für das Go erfolg­reich wei­ter­ver­mit­teln zu kön­nen, sogar in sei­ner ­eige­nen Fami­lie auf frucht­ba­ren Boden. 


»Go« höher als »Schach«

Felix Due­ball war in sei­ner Jugend ein eif­ri­ger Schach­spie­ler und gehör­te der Schach­grup­pe der Ber­li­ner »Fin­ken­schaft« an. Auf­grund die­ser Kennt­nis­se und Erfah­run­gen hat er die­ses Spiel spä­ter­hin immer wie­der kennt­nis­x­reich mit dem Go ver­gli­chen. Dabei hat er den Unter­schied zwi­schen dem in Deutsch­land ver­trau­ten Schach und dem noch kaum bekann­ten Go häu­fig struk­tu­rell erläu­tert. Dar­über hin­aus hat er die Dif­fe­renz aber des Öfte­ren auch qua­li­ta­tiv bewer­tet. Auf die­se Wei­se bemüh­te er sich, ande­re Men­schen für das Go-Spiel zu gewin­nen, indem er ihnen z. B. in Bezug auf die Kom­ple­xi­tät oder die Varia­bi­li­tät der Spiel­ab­läu­fe des­sen Über­le­gen­heit vor Augen führte.

Die­sen Stand­punkt ent­fal­tet Felix Due­ball in sei­nem Arti­kel »Go höher als Schach«, der hier aus­zugs­wei­se zitiert wird:

Wer sowohl das Schach- wie auch das Go-Spiel ein­ge­hen­der kennt, räumt die­sem vor jenem ganz ent­schie­den in Bezug auf die Fül­le, Tie­fe und den Reiz der Kom­bi­na­tio­nen den ers­ten Platz ein. Wie schwie­rig das Spiel sein muß, kann man schon ganz mecha­nisch aus der Zeit­dau­er schlie­ßen, die den Meis­tern höhe­ren Gra­des für die Been­di­gung einer Par­tie zuge­bil­ligt wird: In gewöhn­li­chen Tur­nie­ren 11 + 11 = 22 Stun­den, in erns­ten Wett­kämp­fen noch mehr. Wenn wir also als Durch­schnitts­men­ge einer Schach­par­tie 40 Dop­pel­zü­ge anneh­men und dem Meis­ter für je 20 Züge eine Stun­de zubil­li­gen, so wür­de die Tur­nier­schach­par­tie durch­schnitt­lich vier Stun­den dau­ern. Wäh­rend bei Schach für die Bewe­gung der Figu­ren ziem­lich will­kür­li­che Regeln, wie z. B. die Rocha­de, Gang des Sprin­gers, Auf­stel­lung der Figu­ren, fest­ge­setzt sind, fol­gen beim Go-Spiel aus den bei­den Grund­re­geln, dem Set­zen und dem Ein­schlie­ßen, alle ande­ren mit mathe­ma­ti­scher Not­wen­dig­keit. Ein wei­te­rer Vor­zug des Go-Spiels ist, dass bei ihm das Unent­schie­den in weni­ger als ein Tau­sends­tel aller Fäl­le vor­kommt, wäh­rend man schon von dem soge­nann­ten Remis-Tod des Schachs spricht. Beim letz­ten Weltmeister-Wettkampf war die Zahl der Unent­schie­den viel grö­ßer als der ent­schie­de­nen Partien. […]

Der Ver­fas­ser hat­te, obgleich er nur ein schwa­cher Go-Spieler ist, das gro­ße Glück, von einem Mäzen auf ein gan­zes Jahr nach Tokyo ein­ge­la­den zu wer­den, um die­ses herr­li­che Spiel an der Quel­le, dem Nihon Kiin [der japa­ni­schen Go-Akademie], stu­die­ren zu kön­nen. Jeden­falls ist das Go-Spiel eines der schöns­ten Geschen­ke, das Euro­pa der ost­asia­ti­schen Kul­tur verdankt.

Felix Due­ball: »›Go‹ höher als ›Schach‹«. In: Nip­pon – Zeit­schrift für Japa­no­lo­gie, Jg. 1936, S. 98f.

Eini­ge Zeit nach den ers­ten Vor­be­rei­tun­gen die­ses Bei­trags stell­te sich her­aus, dass Felix Due­ball jüngst auch in sei­ner Hei­mat­stadt wie­der Beach­tung fin­det: Eine Grup­pe von Go-Spielern hat sich das Ziel gesetzt, neu­er­lich an die­sen bedeu­ten­den Sohn Jas­trows zu erin­nern und die heu­ti­gen Bewoh­ner für sein Leben und Wir­ken zu inter­es­sie­ren. Des­halb fand am 13. und 14. Mai die­ses Jah­res als 1. Felix Due­ball Memo­ri­al ein Tur­nier statt, über das wir im Pan­ora­ma der nächs­ten Aus­ga­be aus­führ­li­cher berich­ten werden.

Die DW-Redaktion