Zeitkapsel im Marienburger Alten Rathaus entdeckt
Selbst die verheerende Zerstörung der Marienburger Altstadt im Jahre 1945 vermochte die Erinnerung an den großen Brand nicht gänzlich zu überschreiben, der am 26. Juli 1899 schwerwiegende Schäden angerichtet hatte. An diesem Tag war in der Fleischerei Brünlinger, die sich in den Hohen Lauben befand, ein Feuer ausgebrochen, das bald etwa 50 weitere Gebäude erfasste und weitgehend vernichtete. Das Inferno machte nahezu 200 Menschen obdachlos, und der Schaden wurde auf die erkleckliche Summe von ungefähr zwei Millionen Mark beziffert. Die Nachricht von dieser Katastrophe und dem Verlust an historischer Bausubstanz verbreitete sich im ganzen Reich, und auch der Kaiser reagierte auf dieses nationale Unglück und spendete aus seiner Schatulle für jeden Giebel der zerstörten Häuser jeweils 1.000 Mark.
Bei dem Großbrand griff das Feuer auch auf den Dachstuhl des Rathauses über, so dass das Gebälk und der Dachreiter weitgehend vernichtet wurden. Daraufhin übernahm Conrad Steinbrecht, der »Retter der Marienburg«, die Aufgabe, das Dach und den Dachreiter neuerlich zu errichten und schloss die Maßnahme im April 1901 erfolgreich ab.
Dieser Vorgang ist jüngst wieder in Erinnerung gerufen worden und sogar ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt: Die aktuellen Instandsetzungs- und Renovierungsarbeiten am Rathaus in der Altstadt werden im Rahmen der ersten Bauphase auf dem Dach, im Dachgeschoss und an einem Teil der Fassade ausgeführt. Dabei ist in der Turmkugel unterhalb der Wetterfahne eine Zeitkapsel entdeckt worden, die am 13. Mai im Stadtmuseum feierlich geöffnet wurde. In der Hülse wurde ein handgeschriebenes Dokument gefunden und von Paweł Pronobis, der in der konservatorischen Werkstatt des Schlossmuseums tätig ist, behutsam aus dem Behältnis herausgenommen: Es stammt aus jenem Jahr 1901 und betrifft eben den Wiederaufbau des Rathausdaches.
Das vom damaligen Bauschreiber kalligraphisch angefertigte Schriftstück geht auf den Brand des Gebäudes von 1899 ein, weist darauf hin, dass dabei auch zwei spätmittelalterliche Glocken zerstört wurden, und hält dann detaillierter fest, welche Personen die Verantwortung für die Planung und Realisierung des Wiederaufbaus getragen haben. Zudem lässt der Bericht beispielsweise deutlich werden, dass der Kaiser auch dieses Projekt äußerst großzügig gefördert hat und dass der Turmaufsatz der Wetterfahne von 1686 mit der Helmstange und dem Kreuz das Inferno relativ unbeschadet überstanden hatte.
Dieses von Conrad Steinbrecht, Bernhard Schmid, dem Maurermeister Carl Klein und dem Bauschreiber unterzeichnete Dokument verdient nicht nur als zeitübergreifende, 123 Jahre alte Botschaft das Interesse der Nachwelt, sondern erweist sich als ein derart bedeutsames stadt- und baugeschichtliches Zeugnis, dass es hier mit der freundlichen Genehmigung des Marienburger Stadtmuseums vollständig wiedergegeben werden soll. Dazu kann das Faksimile des Originals zwar nicht in einer hinlänglichen Größe reproduziert werden, wohl aber lässt sich ein Nachdruck anfertigen, der zumindest einen Eindruck von der Disposition des Texte vermittelt.
Nach der konservatorischen Behandlung und Sicherung des Dokuments ist das Schriftstück als ein weiteres bedeutsames Exponat in den Bestand des Marienburger Stadtmuseums aufgenommen worden.
Die WP-Redaktion