Susanne Zeller rekonstruiert die Biographie des Danziger Seemanns Gustav Pietsch
Zunächst im Internet, dann in Zeitungsberichten aus den 1960er Jahren war Susanne Zeller auf die Person Gustav Pietsch gestoßen. Der Seemann schien eine zentrale Figur des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in der Freien Stadt Danzig während der 1930er Jahre gewesen zu sein. Außerdem sollte er einer größeren Zahl jüdischer Menschen die Flucht nach Palästina ermöglicht haben.
Doch die Informationen zu Pietsch blieben zunächst lückenhaft und waren stellenweise unplausibel. Die Historikerin Zeller motivierte dies zu einem mehrjährigen Forschungsvorhaben, in dem sie der »Gefahr einer Heldenlegendenbildung« mit einer genauen Aufarbeitung der Quellen und einer Einbettung in die Regionalgeschichte begegnete. Die historischen Hintergründe und darüber hinaus beispielsweise die – in den Fußnoten nachlesbaren – Informationen zu Menschen, mit denen Pietsch zu tun hatte, belasten die Lektüre nicht, sondern lassen die Darstellung noch anschaulicher werden. So interessant sich der Lebenslauf Gustav Pietschs schon auf Anhieb anhört, so spannend liest sich die Biographie Der Unbeugsame auch. Dennoch bleibt eine Distanz zu Gustav Pietsch bestehen. Das Bild muss stellenweise undeutlich bleiben, so wie das geknickte und vergilbte Porträtfoto des Kapitäns, das auf dem Buchcover zu sehen ist.
Gustav Pietsch wurde 1893 in Bellin am Stettiner Haff als Sohn einer Fischerfamilie geboren. Im Ersten Weltkrieg hatte er bei der Marine gedient, mit Anfang Zwanzig war er bereits ein erfahrener Seemann. Nach dem Krieg lebte Pietsch mit seiner Frau Gertrude und drei Kindern in Glettkau, dem »idyllisch gelegenen Danziger Badevorort«. Er arbeitete teils als angestellter Seemann, teils selbstständig als Fischer. Daneben war der Weltkriegsveteran in der Freien Stadt Danzig Vorsitzender des Verbandes »Freie Frontkämpfer«. In dieser Funktion geriet er bereits 1933 in Konflikt mit Vertretern der NSDAP: Pietsch weigerte sich, den geforderten Ausschluss der jüdischen Mitglieder seines Verbandes zu vollziehen.
Sein nun einsetzendes politisches Engagement gegen den Nationalsozialismus in der unter Aufsicht des Völkerbundes stehenden Freien Stadt gipfelte darin, dass er zur Wahl des Volkstages im Jahr 1935 mit einer eigenen Liste der »Freien Frontkämpfer« antrat. Sie erhielt allerdings weniger als 400 Stimmen, die NSDAP bekam hingegen fast 140.000, verfehlte jedoch deutlich die von Gauleiter Albert Forster angestrebte Zweidrittelmehrheit. Die Opposition war noch sichtbar, aber Pietschs politische Arbeit endete, nachdem er 1936 bei einem Übergriff von Nazi-Handlagern schwer verletzt worden war.
Dennoch begann für den »offenbar durch nichts zu entmutigenden« Pietsch ein ganz neues Kapitel: Durch seine schon bestehenden Kontakte zu jüdischen Organisationen fand er ein neues Betätigungsfeld und wurde zum »nichtjüdischen Zionisten«. Er pendelte »über die in der Regel wenig bewachte grüne Grenze nach Gdynia«, um dort als Leiter einer zionistischen Schule jüdische Jugendliche aus Polen in seemännischen Berufen auszubilden, die dank dieser Qualifikation leichter ins britische Mandatsgebiet Palästina emigrieren konnten. Bis 1939 kamen 77 Absolventen zusammen, darunter auch 17 junge Frauen, die nach ihrer Ausbildung alle so schnell wie möglich ausreisten. Von Pietsch organisierte Rettungsaktionen über den Seeweg hat es jedoch nicht gegeben, diese unzutreffende Darstellung in Zeitungsberichten scheint dem Nicht-Genauer-Wissen-Wollen der Nachkriegszeit geschuldet.
Schließlich musste Pietsch denselben Weg gehen wie seine Schüler: Am 9. Januar 1939 erreichte er mit seiner Frau Gertrude, die seinen Widerstand durchgehend aktiv unterstützt hatte, und den drei Kindern den Hafen von Haifa. Gustav und Gertrude Pietsch verbrachten fast zwanzig Jahre in Palästina und dem neuen Staat Israel, doch auch hier kamen sie nicht in ruhiges Fahrwasser. Nach Kriegsbeginn wurde Gustav Pietsch von den britischen Behörden in Palästina als feindlicher Ausländer interniert. 1952 wurde er für kurze Zeit Verwalter des neuen israelischen Hafens in Eilat, aber es gelang ihm nicht mehr dauerhaft, beruflich Fuß zu fassen. 1958 ging das Ehepaar nach West-Berlin und erhielt nach einem langwierigen Prozess eine Entschädigung als Verfolgte des NS-Regimes zugesprochen. Ihren letzten Lebensabschnitt verbrachten beide ab 1961 aber in Westaustralien, auf der »Farm Glettkau« bei Ihrer Tochter Ursula und dem Schwiegersohn George. So endet die biographische Darstellung des »Unbeugsamen« mit einem vielsagenden Bild: Die Aufnahme aus dem Jahr 2023 zeigt das inzwischen verfallene Farmhaus mit dem westpreußischen Namen. Davor ist im Schatten ein Känguru zu sehen.
Aus wissenschaftlicher Sicht profitiert Susanne Zellers Biographie von der vorangestellten Reflexion zu Formen des Widerstands während des Nationalsozialismus. Gustav Pietsch ordnet sie wegen seines Einsatzes für jüdische Jugendliche, die ansonsten wahrscheinlich Opfer des Holocaust geworden wären, dem sogenannten Rettungswiderstand zu. Ein wenig beeinträchtigt wird die Lektüre allerdings durch häufigere Zeitsprünge, die für den Leser zuweilen das Verhältnis von Ursachen und Wirkungen verschwimmen lassen.
Alexander Kleinschrodt