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Die Kulturgeschichte Westpreußens in neuen Perspektiven erzählen

Im Gespräch mit Dr. Gisela Parak, der neuen Direktorin des Westpreußischen Landesmuseums

Nachdem das Westpreußische Landesmuseum für mehr als 20 Jahre von Dr. Lothar Hyss geleitet wurde, hat im November seine Nachfolgerin ihren Dienst angetreten: Gisela Parak ist habilitierte Kunsthistorikerin und verfügt über langjährige Erfahrung in der Museumsarbeit, der Ausstellungspraxis sowie der fachüber­greifenden Forschung. Im Interview schildert sie ihren Blick auf das Museum und verrät erste Details der zukünftigen Arbeit

Frau Dr. Parak, Sie sind jetzt seit knapp zwei Wochen hier im Museum tätig. Was ist seitdem passiert?

Das Museumsteam und der Vorstand der Kultur­stiftung Westpreußen haben mich sehr freundlich begrüßt. In der Anfangs­phase geht es vor allem darum, sich einen Überblick zu verschaffen. Man bringt zwar eine Vorstellung mit, was das Museum ist und was es will, aber Theorie und Praxis müssen sich erst anein­ander annähern. Ich bin dabei, die Gegeben­heiten und die Mitar­bei­tenden kennen­zu­lernen, und sehe mir an, welche Projekte zurzeit laufen. Das alles ist nach zwei Wochen noch nicht abgeschlossen.

Woran können Sie anknüpfen?

Ich hatte den Vorteil, dass das Programm für 2022 schon vorbe­reitet ist. Die erste Ausstellung, in deren Planung ich nun einsteige, findet im März 2022 statt. Durch die Krankheit des vorma­ligen Leiters hat das Museum lange nicht mit voller Kraft arbeiten können.  Ich würde die kommende Ausstellung gerne nutzen, um einen Wandel in unserem Haus sichtbar zu machen. Ich hoffe, dass die Besucher bereits dann merken können, dass sie in einer neuen Weise angesprochen werden. Aber ich will noch nicht zu viel verraten …

Wie empfinden Sie die Atmosphäre an Ihrem neuen Arbeits­platz, dem Franzis­ka­ner­kloster in Warendorf, in dem bis 2008 noch Mönche gelebt haben?

Wir arbeiten in einem Museum im Museum, mit einer wirklich inter­es­santen Geschichte. Von außen geht der Besucher auf ein Kloster zu; der erste Orien­tie­rungs­punkt ist die Kloster­kirche links vom Museums­eingang. Ich würde mir wünschen, dass sich im Eingangs­be­reich deutlicher als bisher der Eindruck durch­setzt: Wir besuchen jetzt das Westpreu­ßische Landes­museum. An dieser Außen­wirkung müssen wir noch arbeiten.

Wenn man auf ihren Lebenslauf schaut, dann fällt zuerst ins Auge: habili­tierte Kunst­his­to­ri­kerin, leitende Aufgaben an verschie­denen Museen. Wie würden Sie selbst Ihren Werdegang beschreiben?

Wahrscheinlich kennzeichnet mich vor allem meine inter­dis­zi­plinäre Biografie. Angefangen habe ich als Bildhauerin und als Kunst­päd­agogin an der Kunst­aka­demie in München. Ich habe dann aber schnell gemerkt, dass mein Schwer­punkt das Schreiben und Sprechen ist. Schon vor meiner Promotion in der Kunst­ge­schichte habe ich als Kuratorin gearbeitet. Danach habe ich konti­nu­ierlich zwischen verschie­denen wissen­schaft­lichen Insti­tu­tionen und Museen gewechselt. Ich musste mich immer schnell in neue Themen­ge­biete einar­beiten. Vielleicht bin ich deshalb auch keine „klassische“ Kunst­his­to­ri­kerin und habe viel mit Histo­rikern und Histo­ri­ke­rinnen und anderen Akteuren zusam­men­ge­ar­beitet. Auf diese Weise habe ich einen breiten Überblick über verschiedene Fachge­biete und Methoden erworben.

Welches nützliche Gepäck bringen Sie aus Ihrer bishe­rigen Arbeit mit nach Warendorf?

Vor Warendorf war ich am Deutschen Schiff­fahrts­museum in Bremer­haven tätig. Die Bezüge zu Danzig, Elbing und der Geschichte der Hanse liegen natürlich auf der Hand. Im letzten Jahr habe ich mich intensiv mit der deutschen Koloni­al­ge­schichte beschäftigt, insbe­sondere mit der Thematik kollek­tiver Erinne­rungen am Beispiel fotogra­fi­scher Alben wilhel­mi­ni­scher Matrosen. Hier besteht eine große inhalt­liche Schnitt­menge zur Erinne­rungs­kultur der deutschen Vertrie­benen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Dabei spielt das Medium der Fotografie sicher eine große Rolle?

Von meiner bishe­rigen Arbeit her gelte ich als Fotohis­to­ri­kerin, und ich würde diesen Schwer­punkt im Westpreu­ßi­schen Landes­museum natürlich auch gerne weiter­ver­folgen. Die Fotografie ist ein sehr zeitge­mäßes Medium, das viele Museums­be­su­chende inter­es­siert. Fotografien sprechen Menschen sehr direkt an, weil sie emotional aufge­laden werden und persön­liche Erleb­nisse wider­spiegeln. Man erkennt sich selbst in den Aufnahmen anderer, stellt Bezüge zur eigenen Geschichte oder Familie her. Die Inven­ta­ri­sierung, Erfassung und digitale Erschließung unserer vorhan­denen fotogra­fi­schen Sammlungen ist aller­dings noch nicht so, dass sie bereits gut zu nutzen ist.

Einige Themen des Westpreu­ßi­schen Landes­mu­seums sind aus der lands­mann­schaft­lichen Erinne­rungs­arbeit hervor­ge­gangen, andere in den vergan­genen Jahren neu dazuge­kommen. Was denken Sie, wo Sie selbst jetzt ansetzen?

Die Dauer­aus­stellung von 2014 ist sehr ausge­wogen und wirkt noch immer frisch. Manche Besucher vermuten ein Vertrie­be­nen­museum, aber wie ich selbst feststellen durfte, präsen­tiert sich das Haus ganz klar als kultur­ge­schicht­liches Museum. Das entspricht ja zudem dem politi­schen Auftrag des Museums. Anderer­seits sind nahelie­gende Themen, die sich aus der Geschichte der Vertreibung ergeben, bisher nur angedeutet. Hier sind gerade die spezi­fi­schen Ortsbezüge spannend. Auf dem Gelände des Landes­ge­stüts in Warendorf wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ein Notlager für Ostver­triebene einge­richtet, später ein Sammel­lager für Displaced Persons. Diese Geschichte wird im Museum bisher noch nicht erzählt. Hier möchte ich in der Zukunft gerne komple­mentäre Ergän­zungen im Format von Sonder­aus­stel­lungen, aber auch der Dauer­aus­stellung vornehmen. Für die Geschichte der Lands­mann­schaften und deren Histo­ri­sierung bietet das Jahr 2025 eine Chance, wenn das Haus auf 50 Jahre Museums­ge­schichte zurück­blicken darf.

Die Bezeichnung „Westpreußen“ ist vielen kein Begriff oder steht für eine Geschichte, in der man sich nicht mehr wieder­finden will. Wie kann das Museum diese Kluft überbrücken?

Die vormalige Provinz „Westpreußen“ wurde bereits nach dem Versailler Vertrag 1920 vor mittler­weile über 100 Jahren aufgelöst. Westpreußen existiert heute nur noch als Erinne­rungsort, über den histo­ri­schen Namen und die materi­ellen Kunst- und Kultur­ge­gen­stände, die das Museum bewahrt, oder aber durch die immate­ri­ellen Erinne­rungen der betrof­fenen Familien. Natürlich fragen sich gerade die Waren­dorfer, warum sie sich so intensiv für die Geschichte Westpreußens inter­es­sieren sollen. Ich möchte diese Ausein­an­der­setzung mit einer histo­ri­schen Region gerne über neuen Perspek­tiven führen. In den kommenden Jahren 2022 und 2023 steht das Gründungs­ju­biläum der Provinz Westpreußen 1772 an. Da ist es ein großer Unter­schied, welche Stoßrichtung die Ausstellung nahelegt. Wir wollen die Koloni­sierung des Ostens kritisch erörtern und die Ostpo­litik Fried­richs des Großen am Beispiel Westpreußens analy­sieren. Dadurch entsteht z. B. auch eine Brücke zu aktuellen Diskus­sionen, zum Humboldt-Forum oder der Frage nach den Rechten am ehema­ligen Besitz des Hauses Hohen­zollern. Vor allem fehlt im Museum bislang auch eine Vertiefung der polni­schen Perspektive. Die Annexion Westpreußens kann heute nicht mehr aus der Perspektive einer veral­teten deutschen Geschichts­deutung heraus erzählt werden.

Wie soll sich das Erlebnis des Museums­be­suchs zukünftig verändern?

Ganz allgemein erzählt man im Museum mittler­weile ja nicht mehr didak­tisch oder enzyklo­pä­disch, sondern versucht, die Besuchenden einzu­be­ziehen und darzu­legen, warum Aspekte der Geschichte auch heute noch relevant sind. Es wird auch unser künftiger Weg sein, Objekte in Erzäh­lungen einzu­betten und durch Videos zu kommen­tieren. Die Besuchenden sollen einen Einblick erhalten, was das Objekt aus der Sicht der Kuratoren und Kurato­rinnen ausmacht und auf Details hinge­wiesen werden, die sie selbst vielleicht übersehen hätten. Ich möchte gerne alle Sinne ansprechen, parti­zi­pativ arbeiten und mich aus dem vollen kurato­ri­schen Reper­toire bedienen. Dafür braucht das Museum aber zunächst eine entspre­chende technische Grundausstattung.

Welche Entfal­tungs­mög­lich­keiten für das Museum sehen Sie vor Ort? Kann man hier Dinge tun, die in einer Großstadt nicht funktio­nieren würden?

Ja, das ist genau meine Erfahrung. In kleineren Städten sind die Wege kürzer, man lernt sich schneller kennen. Man sollte anderer­seits aber auch nicht vergessen, dass Warendorf geogra­fisch nicht isoliert ist. Die Umgebung ist bestimmt durch das Dreieck Münster – Osnabrück – Bielefeld. Das Ruhrgebiet mit seinen vielen Insti­tu­tionen, die an verwandten Themen arbeiten, ist innerhalb einer Stunde erreichbar.

Wie schätzen Sie die Lage des Museums im Waren­dorfer Ostviertel ein?

Wenn man als Tourist nach Warendorf kommt, dann besichtigt man vorrangig den histo­ri­schen Markt­platz. Dort sitzt man sehr gut! Aber man findet nicht zwangs­läufig den Weg zu uns. Hier möchte ich gerne Bezie­hungen und Referenzen durch Sicht­achsen und Ausstel­lungen im Außenraum schaffen, um das Museum im Stadtbild präsenter zu machen.

Während der Pandemie hat fast überall eine Ausweitung digitaler Kultur­angebote statt­ge­funden. Wie kann das Westpreu­ßische Landes­museum in Zukunft von diesen Erfah­rungen profitieren?

Da ist noch vieles ausbau­fähig, weil das Museum bisher wenige digitale Angebote zur Verfügung stellt. Im Moment sind wir aber personell nicht so ausge­stattet, dass dieses Manko schnell zu beheben wäre. Und es ist nicht alles Gold, was digital ist. Wir wollen die Besuchenden nicht im digitalen Raum verlieren, sondern die diesbe­züg­lichen digitalen Angebote sollen die Besuchenden zu einem analogen Museums­besuch motivieren. Das Museum soll ein sozialer Ort der Begegnung bleiben, diesen Bereich gilt es ebenfalls zu stärken.

Worauf freuen Sie sich?

Das Museum verfügt mit seinen Sammlungen über ein gutes Fundament, das für anspre­chende zeitgemäße Ausstel­lungen produktiv gemacht werden kann. Hier sollen innerhalb der nächsten fünf Jahre deutliche Verän­de­rungen sichtbar werden. Weil es aber auch erheb­liche Struk­tur­pro­bleme gibt, ist der Wandel des Westpreu­ßi­schen Landes­mu­seums mittel­fristig zu planen.

Die Fragen stellte Alexander Kleinschrodt.