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Die Herrschaft Runowo

Schlossruine erzählt Vergangenheit

Von Hans-Jürgen Schuch †

Die von der Stadt Vands­burg im Land­kreis Zem­pel­burg nach Süd­wes­ten in den Land­kreis Wir­sitz zur Stadt Lob­sens ver­lau­fen­de Stra­ße führt nach 4 km durch das Stra­ßen­dorf Runo­wo. Auf der lin­ken Stra­ßen­sei­te des Dor­fes befin­det sich der im Lau­fe der Nach­kriegs­zeit zu einem klei­nen Wäld­chen gewor­de­ne ehe­ma­li­ge Guts­park. Eine deut­lich erkenn­ba­re Ein­fahrt erschließt die Zufahrt zum Schloss­ge­län­de des frü­he­ren Rit­ter­gu­tes Runo­wo. Sie führt zu der Stel­le, an der 1860 hin­ter dem heu­te wald­ähnlichen Park das neue Her­ren­haus gebaut wor­den ist. Es han­del­te sich um ein aus zwei Flü­geln bestehen­des Schloss. Bei Kriegs­en­de 1945 wur­de das statt­li­che Gebäu­de zu einer Rui­ne :  groß, ein­drucks­voll und zum Nach­den­ken ein­la­dend. In den letz­ten gut 70 Jah­ren hat sich kaum etwas ver­än­dert. Der lan­ge Zeit rund um das Gebäu­de her­um lie­gen­de Schutt wur­de dann doch besei­tigt und die Wege wur­den frei­ge­legt. Vor der Haupt­front des Schlos­ses brei­tet sich heu­te eine gro­ße Wie­se aus. Sie wird von Zeit zu Zeit gemäht. Alles sieht sau­ber und ordent­lich aus, man möch­te sagen :  gepflegt – aber den­noch ver­ges­sen. Die star­ken Mau­ern des aus­ge­brann­ten Schlos­ses trot­zen dem Wet­ter im Som­mer wie Win­ter und auch sons­ti­ger Unbill. An die Wie­se grenzt der Klei­ne Runo­woer See. Er ist ver­bun­den mit dem etwas wei­ter öst­lich gele­ge­nen, sehr viel grö­ße­ren Gro­ßen Runo­woer See. Die heu­ti­ge Wie­se, das Wäld­chen und die Runo­woer Seen bil­de­ten frü­her den 18 ha gro­ßen Schloss­park. Bei­de Seen las­sen erah­nen, wie schön es hier wohl frü­her gewe­sen sein mag. Die Natur ist es immer noch.

Das Schloss könn­te wahr­schein­lich jeder­zeit restau­riert wer­den. Ver­mut­lich gibt es jedoch kei­ne Nut­zungs­per­spek­ti­ve, die die nicht uner­heb­li­chen Wie­der­her­stel­lungs­kos­ten recht­fer­ti­gen wür­de. Nicht aus jedem Schloss lässt sich ein Hotel, eine Tagungs- oder Erho­lungs­stät­te machen. Die abseits der Stra­ße und hin­ter Bäu­men ver­steckt ste­hen­de ein­drucks­vol­le Rui­ne erin­nert an die wech­sel­vol­le Ver­gan­gen­heit die­ser eins­ti­gen Herr­schaft Runo­wo. Aber wer sucht die­sen Erin­ne­rungs­ort auf, wer lässt sich hier erin­nern ?  Von der Geschich­te die­ser gro­ßen Begü­te­rung wie von der­je­ni­gen des Schlos­ses und sei­ner Bewoh­ner liegt viel im Dun­keln, eine Men­ge unter dem Schutt des Ver­ges­sens. Alles soll­te frei­ge­legt werden.

Von der Gründung bis zum Ende des Ersten Weltkrieges

Es waren Zis­ter­zi­en­ser­mön­che, die das Gut 1325 grün­de­ten und anschlie­ßend 66 Jah­re, bis 1391, als Klos­ter nutz­ten. Die unmit­tel­bar fol­gen­den Eigen­tü­mer sind nicht alle bekannt. Ein Dobis­laus Run­ge wird bereits 1391 als Besit­zer genannt. Aus dem Jahr 1511 ist der Name Orzel­ski über­lie­fert und 1595 soll ein Jan Orzel­ski das Guts­haus gebaut haben. Die­ser Jan Orzel­ski war wohl auch 1607 der Bau­herr der katho­li­schen Kir­che aus Stein, die die Vor­gän­ger­kir­che aus Holz ersetz­te. Im Lau­fe der Zeit gehör­te das Gut nach­ein­an­der meh­re­ren ande­ren pol­ni­schen Fami­li­en. Im 17. Jahr­hun­dert »lag Runo­wo wüst«. Erst um 1670 wur­de es wie­der auf­ge­baut. 1694 wirt­schaf­te­ten in Runo­wo fünf deut­sche Sied­ler, 17 Fron­bau­ern und sie­ben Gärt­ner. Ab wann die seit dem Fort­zug der Mön­che immer grö­ßer gewor­de­ne Begü­te­rung »Herr­schaft Runo­wo« genannt wur­de, ob dies erst im 19. Jahr­hun­dert erfolg­te oder schon etwas frü­her, ist nicht bekannt. In der von Johann Fried­rich Gold­beck nach 1772 ver­fass­ten Topo­gra­phie (gedruckt 1789 in Mari­en­wer­der) wird Runo­wo als Adli­ges Dorf und Vor­werk mit einer katho­li­schen Kir­che unter dem Patro­nat der Grä­fin (Theo­phi­la) Potuli­cka genannt. Im Land­kreis Wir­sitz wur­den vier ande­re beson­ders gro­ße Rit­ter­gü­ter eben­falls als »Herr­schaft« bezeichnet.

Das zunächst »Klein­preu­ßen« oder auch »Bren­cken­hof­fi­scher Distrikt« genann­te Gebiet süd­lich von Pom­me­rel­len – süd­lich und nörd­lich der Net­ze gele­gen – erhielt 1773 den Namen »Distrikt an der Net­ze«. Die­se pro­vinz­ähn­li­che Ver­wal­tungs­ein­heit war dem Ober­prä­si­den­ten Johann Fried­rich von Dom­hardt in Königs­berg unter­stellt, kas­sen­mä­ßig aber der Kam­mer in Mari­en­wer­der. In Brom­berg wur­de die »König­lich West­preu­ßi­sche Kriegs- und Domänenkammer-Deputation«, aber ohne eige­nen Prä­si­den­ten ein­ge­rich­tet. Sie hat­te das Vor­recht, ihre Berich­te direkt an den König und das Gene­ral­di­rek­to­ri­um in Ber­lin zu rich­ten. 1782 wur­den auch in Brom­berg ent­spre­chen­de Kas­sen eingerichtet.

Der Netz­e­di­strikt war in die vier land­rät­li­chen Krei­se Deutsch Kro­ne, Camin, Brom­berg und Ino­wrazlaw (Hohen­sal­za) ein­ge­teilt. Zum Kreis Camin mit u. a. den Städ­ten Camin, Lob­sens, Wir­sitz, Fla­tow, Vands­burg und Zem­pel­burg gehör­te auch das Gebiet um Runo­wo. Von 1775 bis 1816 amtier­te in Runo­wo Land­rat von Brun. Er war ver­mut­lich in die­ser Zeit der Guts­herr. In den weni­gen Jah­ren von 1807 bis 1813 gehör­te das Gebiet, wie auch das Kul­mer Land außer Grau­denz, zu dem von Napo­le­on ein­ge­rich­te­ten Her­zog­tum Warschau.

Auf dem Wie­ner Kon­gress wur­de die Rück­kehr des Netz­e­di­strik­tes an das König­reich Preu­ßen ent­schie­den. Die­ses schuf 1815 das Groß­her­zog­tum Posen, den dazu gehö­ren­den Regie­rungs­be­zirk Brom­berg und an Stel­le der vier land­rät­li­chen Krei­se meh­re­re moder­ne Land­krei­se wie den Land­kreis Wir­sitz mit dem Adli­gen Gut Runo­wo. Auf den Land­rat von Brun folg­te 1816 am neu­en Amts­sitz in der Stadt Wir­sitz Land­rat von Buku­wiecki. Er war der ers­te Pole an der Ver­wal­tungs­spit­ze eines preu­ßi­schen Land­krei­ses. In die­sem wich­ti­gen Amt blieb von Buku­wiecki für 26 Jah­re bis 1842. Das Groß­her­zog­tum wur­de zur Pro­vinz Posen.

Ab 1831 war der Graf Vik­tor von Szol­dr­ski Eigen­tü­mer des Rit­ter­gu­tes ;  von ihm erb­te es sei­ne Wit­we. Im Jah­re 1839 gehör­te Runo­wo Fried­rich von Pel­et Nar­bon­ne. Anschlie­ßend sind als Eigen­tü­mer ein Jaf­fe und 1852 Theo­dor von Bethmann-Hollweg über­lie­fert. Im Jah­re 1877 über­nahm Ernst von Bethmann-Hollweg die Herr­schaft Runo­wo, als Eigen­tü­mer 1896, und auf ihn folg­ten die Erben Theo­dor von Bethmann-Hollwegs. Der damals bereits ver­stor­be­ne Theo­dor von Bethmann-Hollweg darf nicht mit Theo­bald Theo­dor von Beth­mann Holl­weg aus dem bran­den­bur­gi­schen Kreis Ober-Barnim in der Nähe von Pots­dam ver­wech­selt wer­den, der 1899 eine kur­ze Zeit von nur gut drei Mona­ten Regie­rungs­prä­si­dent in Brom­berg war und von 1909 bis 1917 in Ber­lin Reichs­kanz­ler. Die­ser Beth­mann Holl­weg gehör­te zu einem ande­ren Zweig der Fami­lie. Sein Name wur­de ohne Bin­de­strich geschrie­ben. Der Reichs­kanz­ler soll übri­gens 1916 Runo­wo besucht haben.

Die Bethmann-Hollwegs auf Runo­wo waren bereits vor 1852 im Gebiet des spä­te­ren Krei­ses Wir­sitz ansäs­sig. Ihnen gehör­te 1773 oder bald danach das bei der Stadt Mrot­schen (Mro­c­za) gele­ge­ne, aber nicht zur Herr­schaft Runo­wo gehö­ren­de Rit­ter­gut Wie­le. Ein­hun­dert Jah­re spä­ter war es von 1873 bis 1906 an die Brü­der Rudolf und Albert Proch­now ver­pach­tet. Nach Ablauf der Pacht ver­kauf­te die Erben­ge­mein­schaft von Bethmann-Hollweg das zu die­sem Zeit­punkt 790 ha (= 3.160 Mor­gen) gro­ße Rit­ter­gut an die »König­li­che Aus­sied­lungs­kom­mis­si­on für West­preu­ßen und Posen«. Die­se teil­te es in 43 Sied­ler­stel­len »ver­schie­de­ner Grö­ße« auf. Die Sied­ler kamen aus der Pfalz, aus Meck­len­burg und Pom­mern. Nach dem Ers­ten Welt­krieg wur­den 1920 alle die­se deut­schen Sied­ler vom pol­ni­schen Staat ent­eig­net. Die noch ziem­lich neu­en Bau­ern­wirt­schaf­ten erhiel­ten Polen aus dem ehe­ma­li­gen Kon­gress­po­len, die dann wohl 1939 oder wenig spä­ter wei­chen mussten.

Der ers­te von Bethmann-Hollweg und sei­ne Nach­fol­ger auf Runo­wo haben im 19. Jahr­hun­dert gut gewirt­schaf­tet und die Begü­te­rung durch Zukauf ertrag­rei­cher gemacht und ver­grö­ßert. Daher war es auch mög­lich, 1860 das impo­nie­ren­de Schloß zu bau­en. Als Joa­chim von Bethmann-Hollweg die Herr­schaft 1907 erb­te, war sie ein wirk­lich ansehn­li­cher Land­wirt­schafts­be­trieb mit viel Wald. Er konn­te das Erbe rd. 22 Jah­re, bis 1928/29, fortführen.

Zur Herr­schaft Runo­wo im Land­kreis Wir­sitz des Joa­chim von Bethmann-Hollweg gehör­ten 1907 fol­gen­de Güter : 

  1. Rit­ter­gut Runo­wo (mit den Vor­wer­ken
    Gniel­ke, Wal­dun­gen und Rot­hof)           3.726 ha
  2. Gut Drei­dorf                                                284 ha
  3. Gut Heid­chen                                              251 ha
  4. Gut Joa­chims­höh                                         508 ha
  5. Gut Joa­chim­s­tal                                           496 ha

                                                                               5.265 ha

Die Anga­ben zur Grö­ße der Herr­schaft Runo­wo vari­ier­ten von Jahr zu Jahr, auch inner­halb eines Jah­res, und dies nicht nur im 19. Jahr­hun­dert, son­dern auch im 20. Jahr­hun­dert. Ursa­chen sind u. a. Land­kauf und ‑ver­kauf. Eini­ge unter­schied­li­che Anga­ben las­sen sich nicht erklä­ren. Außer­dem wer­den gele­gent­lich Orts­na­men und Namen erwähnt, die zur ande­ren Zeit uner­wähnt blie­ben, weil sie grö­ße­ren Betrie­ben zuge­rech­net wurden.

Im Jah­re 1907 zähl­te die Herr­schaft also umge­rech­net 21.060 pr. Mor­gen. Damit bil­de­te sie einen sehr gro­ßen Landwirtschafts- und Forst­be­trieb. Außer­dem gehör­ten dazu in Runo­wo eine Dampf­zie­ge­lei, eine Zement­stein­fa­brik, eine Mol­ke­rei, eine Bren­ne­rei und ein Dampf­sä­ge­werk. Zwei ande­re Mol­ke­rei­en befan­den sich in Joa­chims­höh und in Joa­chim­s­tal. Das Gut Heid­chen wur­de vom Rit­ter­gut Runo­wo mit bewirt­schaf­tet. Die Güter Drei­dorf, Joa­chims­höh und Joa­chim­s­tal waren in der Regel ver­pach­tet. Die Ort­schaft Müh­le Runo­wo (Runo­wo­müh­le) war ein eigen­stän­di­ger Guts­be­zirk mit 14 deut­schen und einem pol­ni­schen Ein­woh­ner. Sie gehör­te 1907 weder zum Rit­ter­gut noch zur Herr­schaft. Sie war ein Otto Kumm gehö­ren­des 128 ha gro­ßes Gut, davon 70 ha Acker­flä­che, mit einer Was­ser­dampf­müh­le, das Bethmann-Hollweg 1910/11 kau­fen konn­te. Er bau­te dort 1914 für sei­ne Mut­ter Fre­da aus dem Hau­se Arnim-Boitzenburg/Uckermark einen Alters­sitz, der das »neue Schloss« genannt wur­de. Bis zum alten Schloss waren es nur rd. 500 Meter.

Damals kam es häu­fig vor, dass gleich­na­mi­ge Land­ge­mein­den und von ihnen unab­hän­gi­ge – also selbst­stän­di­ge – Guts­be­zir­ke neben­ein­an­der anzu­tref­fen waren, bis spä­ter ent­we­der die Guts­be­zir­ke auf­ge­löst und mit den Land­ge­mein­den oder mit ande­ren Guts­be­zir­ken zusam­men­ge­legt wur­den. Die auf einem Gut arbei­ten­de Bevöl­ke­rung leb­te über­wie­gend im Guts­be­zirk. Es gab aber auch ande­re, die in der benach­bar­ten Land­ge­mein­de wohnten.

Wäh­rend die Katho­li­ken ihre Kir­che in Runo­wo hat­ten, muss­ten die evan­ge­li­schen Ein­woh­ner zur Kir­che nach Vands­burg gehen. Das änder­te sich 1890. Die Guts­her­rin ließ in jenem Jahr im Dorf ein Pfarr­haus errich­ten und im Park in der Reit­bahn eine Kir­che, die schließ­lich 1905/06, auf Rund­höl­zer gesetzt, aus dem Park ins Dorf gerollt und dort gegen­über dem Pfarr­haus auf­ge­stellt wur­de. Auf die­se Wei­se ent­stand das evan­ge­li­sche Kirch­spiel Runo­wo. – Der nächst­ge­le­ge­ne Bahn­hof der Reichs­bahn befand sich übri­gens seit der Eröff­nung der Bahn­stre­cke Nakel-Konitz 1887 in Waldungen.

Im Dezem­ber 1910 wur­de im Bereich der Herr­schaft Runo­wo fol­gen­de Bevöl­ke­rungs­zu­sam­men­set­zung fest­ge­stellt, die hier ver­kürzt fest­ge­hal­ten wer­den soll :

Guts­be­zirk                 Ein­woh­ner                davon Deut­sche
Drei­dorf                         305                                 31
Runo­wo *                       752                               309
Rono­wo­müh­le               15                                  14
Wal­dun­gen                   132                                 88
                                    1.294                              442
*  zusam­men mit den Gütern Heid­chen, Joa­chims­höh und Joachimstal.

Bis auf Drei­dorf, das eben­falls ein eigen­stän­di­ger Guts­be­zirk im Land­kreis Wir­sitz war, 105 Ein­woh­ner hat­te und auch an der Stra­ße nach Lob­sens lag, bil­de­ten die ande­ren vier zur Herr­schaft gehö­ren­den Güter zusam­men mit dem Rit­ter­gut den Guts­be­zirk Runo­wo neben der benach­bar­ten Land­ge­mein­de Runo­wo mit 752 Einwohnern.

Land­ge­mein­de           Ein­woh­ner               davon Deut­sche
Groß Drei­dorf                230                                 108
Klein Drei­dorf               457                                 341
Runo­wo                         744                                 287
                                     1.431                               736

Die Zusam­men­set­zung der Bevöl­ke­rung war dem­nach gemischt. Der pol­ni­sche Anteil über­wog mit gut 60 %. Die Evan­ge­li­sche Kir­che hat­te in den Ort­schaf­ten Klein Drei­dorf und Runo­wo jeweils ein Kirch­spiel mit eige­ner Kir­che ein­ge­rich­tet. Die katho­li­schen Ein­woh­ner gehör­ten zu den katho­li­schen Kirch­spie­len Groß Drei­dorf und Runowo.

In dem größ­ten der drei Dör­fer (Land­ge­mein­den), in Runo­wo, leb­ten zahl­rei­che deut­sche, aber auch pol­ni­sche Bau­ern. Ihre land­wirt­schaft­li­chen Betrie­be waren 10 bis 91 ha groß. Die Mehr­zahl lag in der Gemar­kung, also außer­halb des Dorfes.

Das Dorf Runo­wo war bereits im 19. Jahr­hun­dert Schul­ort. Es gab vor 1920 eine evan­ge­li­sche Schu­le und eine katho­li­sche Volks­schu­le. Danach sank nach und nach die Zahl der deut­schen Schü­ler, weil die deut­schen Fami­li­en ihr Hei­mat­land ver­lie­ßen oder ver­las­sen muss­ten. Etwa ab 1922 über­nah­men der oder die Leh­rer der pol­ni­schen katho­li­schen Schu­le auch die Unter­rich­tung der ver­blie­be­nen evangelisch-deutschen Schüler.

Die Zeit von 1920 bis 1945

Auf die für alle nicht leich­ten Jah­re wäh­rend des Ers­ten Welt­krie­ges, in denen Runo­wo als Laza­rett genutzt wur­de, folg­te 1920 die Ver­sailler Grenz­zie­hung. Die­se bedeu­te­te für den Kreis Wir­sitz ein­schließ­lich der Herr­schaft Runo­wo die Abtren­nung vom Deut­schen Reich. Nun galt es für Joa­chim von Bethmann-Hollweg, das Fami­li­en­er­be in der Repu­blik Polen zu erhal­ten und fort­zu­füh­ren. Das gelang zunächst auch recht gut. Das pol­ni­sche Güter­adress­buch für das Gebiet Posen aus dem Jahr 1926 nennt neun zur Herr­schaft Runo­wo gehö­ren­de Güter (Vor­wer­ke) :

Runo­wo                  3.254 ha
Erik­fel­de                    195 ha
Heid­chen                   251 ha
Drei­dorf                    449 ha
Joa­chims­thal             443 ha
Joa­chims­höh             499 ha
Mari­en­au                  180 ha
Runo­wo­müh­le         125 ha
Wal­dun­gen              212 ha
                              5.608 ha

Nach die­ser Auf­lis­tung ist der Gesamt­be­sitz gegen­über den Anga­ben von 1907 bis zum Jahr 1926 grö­ßer gewor­den, das Rit­ter­gut Runo­wo aber klei­ner, auch wenn das Vor­werk Wal­dun­gen hin­zu­ge­rech­net wird.

Bald danach war der Guts­herr gezwun­gen, »frei­wil­lig« 200 ha Land zu für ihn ungüns­ti­gen Bedin­gun­gen für Par­zel­lie­rungs­zwe­cke abzu­ge­ben, und 1928 soll­te er erneut 700 ha für die­sen Zweck zur Ver­fü­gung stel­len. Da scheint dem Joa­chim von Bethmann-Hollweg die Freu­de an dem Fami­li­en­er­be ver­gan­gen zu sein. Am 5. Febru­ar 1928 berich­te­te die in Brom­berg erschei­nen­de Tages­zei­tung Deut­sche Rund­schau in Polen, dass Joa­chim von Bethmann-Hollweg sei­nen gesam­ten Besitz mit einer Gesamt­flä­che von 5.784 ha, davon 2.131 ha land­wirt­schaft­lich genutz­te Flä­che, an die pol­ni­sche Bank Rol­ny [Land­wirt­schaft­li­che Bank] ver­kauft habe. Das waren 176 ha mehr, als rd. drei Jah­re vor­her vor­han­den waren. Die in Pom­me­rel­len, Posen und im his­to­ri­schen Kul­mer Land als Min­der­heit ver­blie­be­nen Deut­schen waren nicht nur über­rascht son­dern auch stark ver­är­gert, ja sie fühl­ten sich ver­ra­ten. Ihnen kam es vor, als hät­ten sie selbst Eigen­tum ver­lo­ren. Die vom Ver­käu­fer genann­ten wirt­schaft­li­chen und ande­ren Grün­de konn­ten sie nicht über­zeu­gen. Die erwähn­te Zei­tung for­mu­lier­te schließ­lich, was min­des­tens die Mehr­heit der deut­schen Min­der­heit dachte:

Von Ken­nern der Sach­la­ge wird bestrit­ten, dass Herr von Bethmann-Hollweg die­sen aus natio­na­len Grün­den völ­lig unver­ständ­li­chen Ver­kauf täti­gen muß­te. Das Kern­pro­blem wäre zu lösen gewe­sen, wenn der Eigen­tü­mer, der sich wohl mehr im Aus­land als auf sei­nem Gut und Boden auf­hielt, die Wirt­schafts­füh­rung ande­ren Hän­den anver­traut hät­te. Ande­re Guts­be­sit­zer haben unter schwe­re­ren Ver­hält­nis­sen dem Geschick getrotzt. Hier war Hil­fe mög­lich, wenn ihre Form auch unbe­quem erschien. Wir bedau­ern den Ver­lust um Boden, die Ent­las­sung von vie­len deut­schen Beam­ten, Arbei­ter­fa­mi­li­en, den Ver­lust des Ver­käu­fers bedau­ern wir nicht.

Das waren sehr deut­li­che, aber auch ver­bit­ter­te Wor­te. Chef­re­dak­teur der Zei­tung war zu der Zeit (1925–1939) der sehr ange­se­he­ne Gott­hold Star­ke, ein Jurist, der 1896 in Runo­wo als Sohn des evan­ge­li­schen Pfar­rers gebo­ren wor­den war. Es soll­te aber auch fest­ge­hal­ten wer­den, dass die Fami­lie von Bethmann-Hollweg weder in der Landes- noch in der Kreis­ge­schich­te erwähnt wird. Nur der ers­te von Bethmann-Hollweg war zeit­wei­se Mit­glied des Reichs­ta­ges. Ganz im Gegen­satz zu ande­ren Besit­zern gro­ßer Güter, schei­nen die Her­ren auf Runo­wo unter sich geblie­ben zu sein.

Der Ver­käu­fer Joa­chim von Bethmann-Hollweg hat­te für sein Fami­li­en­we­sen fünf Mil­lio­nen Dol­lar erhal­ten. Der Dol­lar war damals noch eine Gold­wäh­rung. Ein Dol­lar war ℛℳ 4,20 wert. Die pol­ni­sche Bank zahl­te also für die Herr­schaft Runo­wo umge­rech­net 21 Mil­lio­nen Reichs­mark. Mit dem Ver­kauf der Herr­schaft ver­lo­ren tat­säch­lich zahl­rei­che deut­sche Guts­ar­bei­ter und Ange­stell­te ihren Arbeits­platz wie z. B. Bru­no Rad­datz, der bis dahin zehn Jah­re die Bren­ne­rei gelei­tet hat­te, oder der Gärt­ne­rei­ver­wal­ter Max Eckhardt.

Die land­wirt­schaft­li­che Flä­che wur­de bald nach dem Ver­kauf par­zel­liert. Es ent­stan­den etli­che 18 bis 20 ha gro­ße Sied­lungs­wirt­schaf­ten. Sie wur­den an pol­ni­sche Sied­ler ver­kauft. Den größ­ten Teil des Guts­wal­des über­nahm der pol­ni­sche Staat, der 1928 die Förs­te­rei (Forst­amt) Runo­wo mit Sitz im klei­nen Schloss in Runo­wo­müh­le ein­rich­te­te. Ein 800 ha gro­ßes Rest­gut blieb in Runo­wo erhal­ten. Es soll­te den Fort­be­stand der Bren­ne­rei sichern. Die­ses statt­li­che Rest­gut erwarb Wik­tor Szul­c­zew­ski aus Frie­de­berg (Neu­mark). Der neue Guts­herr bezog das mit dem Schloss und allen sons­ti­gen Gebäu­den und Ein­rich­tun­gen 1905 für den Guts­ver­wal­ter und Rent­meis­ter Franz Bur­ck­hardt erbau­te Ver­wal­ter­haus. Nach sei­nem Tode erb­ten das Rest­gut sei­ne Wit­we Mela­nie und die Töchter.

Das Schloss wur­de nach 1928 zu einem Feri­en­ob­jekt. Im Som­mer erhol­ten sich dar­in Offi­zie­re der pol­ni­schen Armee. Ab 1935 wur­de es von Polens Staat­spräsident Igna­cy Mosci­cki (1926–1933) als Ferien- und Jagd­re­si­denz und als Kon­fe­renz­ort genutzt. Zuletzt traf er sich Weih­nach­ten 1938 mit dem pol­ni­schen Mar­schall Edward Rydz-Smigly in Runo­wo, seit 1935 Nach­fol­ger des ver­stor­be­nen Jozef Pil­sud­ski im Amt des Gene­ral­inspek­teurs der Streit­kräf­te. Seit 1936 war er auch Ober­be­fehls­ha­ber des Hee­res. Der Mar­schall war in jenen Jah­ren der star­ke Mann der Repu­blik Polen.

Im Zuge einer Gebiets­re­form 1938 wur­den Woiwodschafts­grenzen und auch Kreis­gren­zen ver­än­dert. Das im Nor­den des Krei­ses Wir­sitz gele­ge­ne Kreis­ge­biet um die ehe­ma­li­ge Herr­schaft Runo­wo wur­de abge­trennt und dem Kreis Zem­pel­burg zuge­teilt. Bei Kriegs­aus­bruch 1939 floh die Fami­lie Szul­czewski recht­zei­tig, bevor die deut­sche Wehr­macht Runo­wo erreichte.

Als im Okto­ber 1939 der Reichs­gau Danzig-Westpreußen errich­tet wur­de, blieb der Land­kreis Zem­pel­burg ein­schließ­lich der Gemein­de Runo­wo mit dem ehe­ma­li­gen Rit­ter­gut Runo­wo bestehen. Im Juni 1942 fand eine Namens­än­de­rung statt. Die Gemein­de hieß seit­dem und bis Kriegs­en­de »Ruh­nau bei Vands­burg«, gele­gent­lich auch »Run­au« geschrie­ben. Die Behör­den, ande­re öffent­li­che Ein­rich­tun­gen sowie Orts­frem­de kann­ten den neu­en Namen. Als Post­an­schrift war er zwin­gend. Die Bevöl­ke­rung des Ortes und in der wei­te­ren Nach­bar­schaft ver­zich­te­te dage­gen nicht auf die his­to­ri­sche und ihr ver­traut klin­gen­de Namens­form »Runo­wo«. Auch ande­re Orts­na­men wur­den geän­dert. Eini­ge Gemein­den in der Gegend erhiel­ten den Namen, der schon seit Jahr­zehn­ten von der Be­völkerung benutzt wurde.

Als 1939/40 das Evan­ge­li­sche Kir­chen­ge­biet Danzig-­Westpreußen mit einem evan­ge­li­schen Kon­sis­to­ri­um in Dan­zig geord­net wur­de, kamen die bei­den Kir­chen­ge­mein­den (Kirch­spie­le) Klein Drei­dorf mit Pfar­rer Ernst May (seit 1939) und Runo­wo mit Pfar­rer Kurt Fuchs aus Tuchel (seit 1940) an den Kir­chen­kreis Lob­sens. Zu die­sem Kir­chen­kreis hat­ten sie auch bis 1920 gehört. Im Jah­re 1942 änder­te sich dies. Die Kir­chen­ge­mein­de Ruhnau/Runowo wur­de dem Kir­chen­kreis Konitz II zuge­teilt, der die Bezeich­nung Kir­chen­kreis Zem­pel­burg erhielt. In Runo­wo wur­de auch wie­der eine deut­sche Schu­le mit dem Schul­lei­ter Richard Schmidt eingerichtet.

Die Gemein­de Ruh­nau bil­de­te mit acht ande­ren Gemein­den den Amts­be­zirk Vandsburg-Land. Sie war mit 3.064 ha und mit 232 Haus­hal­tun­gen und 1.141 Ein­woh­nern die größ­te im Amts­be­zirk, flä­chen­mä­ßig sogar die größ­te in dem klei­nen Land­kreis Zem­pel­burg. Ruh­nau gehör­te 1943 – wie auch vor 1920 – zum Amts­ge­richts­be­zirk Lobsens.

Die ehe­ma­li­ge Begü­te­rung Runo­wo wur­de vom Sep­tem­ber 1939 bis Anfang 1945 von der »Reichs­land« (Reichsgesell­schaft für Land­be­wirt­schaf­tung mbH) als Treu­hän­de­rin ver­wal­tet. Unklar ist, was im Schloss unter­ge­bracht wur­de. Mög­li­cher­wei­se hat­te sich in ­einem Teil die Ver­wal­tung der Treu­hän­de­rin ein­quar­tiert, ande­re Tei­le haben viel­leicht dem Staat und der NSDAP als Gäs­te­haus gedient. Im Lau­fe des Jah­res 1942 – und wei­ter­hin bis 1945 – begann die deut­sche Luft­waf­fe, das Schloss als Uni­form­la­ger zu nut­zen. – Im Herbst 1939 soll Adolf Hit­ler Runo­wo kurz besucht, wohl aber dort nicht über­nach­tet haben. Es wird zudem berich­tet, dass wäh­rend des Krie­ges ein­mal Her­mann Göring Ruh­nau / Runo­wo einen Besuch abge­stat­tet haben soll. Der Reichs­jä­ger­meis­ter woll­te wohl zur Jagd ?  Oder soll­te er sich doch für die Flie­ger­stie­fel und die legen­dä­ren Arm­band­uh­ren sei­ner Pilo­ten inter­es­siert haben ? 

Aus den Kriegs­jah­ren ist ansons­ten wenig über­lie­fert. Bekannt ist, dass in dem klei­nen Schloss in Runo­wo­müh­le ein Wai­sen­haus betrie­ben wur­de. Das Forst­amt Runo­wo war im Dorf unter­ge­bracht wor­den – oder doch im Schloss ?  Auch die Ereig­nis­se aus den letz­ten Kriegs­ta­gen sind weder doku­men­tiert, noch sind ent­spre­chen­de Auf­zeich­nun­gen bekannt. Als sich 1945 die Rote Armee Ruh­nau / Runo­wo näher­te, gelang es den Luft­waf­fen­sol­da­ten nicht, die im Schloss lagern­den Bestän­de voll­stän­dig in Sicher­heit zu brin­gen. Ledig­lich zwei oder drei mit Uni­for­men etc. bela­de­ne Last­kraft­wa­gen konn­ten zum Wei­ter­trans­port der Lager­be­stän­de mit der Reichs­bahn zum Bahn­hof Vands­burg gefah­ren wer­den. Der gro­ße Rest ver­blieb im Schloss, durf­te aber dem Feind nicht in die Hän­de fal­len. Daher wur­de alles mit Ben­zin über­gos­sen und ange­steckt. Die kaum mit Waf­fen aus­ge­rüs­te­ten Sol­da­ten setz­ten sich nach Wes­ten ab. Seit­dem ist das Schloss eine aus­ge­brann­te Rui­ne. Was nicht ver­brann­te, fiel der zurück­blei­ben­den pol­ni­schen Be­völkerung in die Hän­de. Noch immer exis­tiert in Vands­burg ein deut­scher Pilo­ten­hand­schuh aus dem Schloss.

Die jüngere Geschichte

Seit län­ge­rer Zeit ist die ehe­mals selbst­stän­di­ge Land­ge­mein­de Runo­wo eine Teil­ge­mein­de der Stadt Vands­burg im Kreis Zempelburg.

Das Schloß Runo­wo steht als Rui­ne abseits vom Wege in den rest­li­chen Park­an­la­gen, die Pri­vat­be­sitz sind. In War­schau ist das Schloss offen­sicht­lich den­noch nicht ver­ges­sen. Am 12. Novem­ber 2014 besuch­te der dama­li­ge pol­ni­sche Staats­prä­si­dent Bro­nis­law Komo­row­ski die Rui­ne. Er ließ sich durch den win­ter­li­chen Park und den schö­nen Wald kutschieren.

Bald nach dem Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges wur­de aus dem Rest­gut Runo­wo eine soge­nann­te pol­ni­sche LPG (Land­wirt­schaft­li­che Pro­duk­ti­ons­ge­nos­sen­schaft). Das Ver­wal­ter­haus hat­te den Krieg unbe­scha­det über­stan­den. In ihm wur­den die Ver­wal­tung der LPG unter­ge­bracht und eine Arbei­ter­woh­nung ein­ge­rich­tet. Das pol­ni­sche Gesund­heits­mi­nis­te­ri­um rich­te­te im klei­nen Schloss ein Heim für Kin­der zur Vor­beu­gung von Atemwegs­erkrankungen ein. Man hat­te fest­ge­stellt, dass das Kli­ma in Runo­wo beson­ders gesund ist. Die LPG bestand bis zur poli­ti­schen Wen­de in Polen 1989/90. Anschlie­ßend wur­de sie von dem Agrar­be­trieb Runo­wo Rola über­nom­men. 1998 kauf­te ein Pri­vat­mann das Rest­gut ein­schließ­lich der Schloss­rui­ne mit dem Park. Eini­ge Jah­re spä­ter ent­stand unweit der Rui­ne, in einer Ent­fer­nung von gut 100 Metern, auf dem Grund­stück der Pfer­de­stäl­le das pri­vat geführ­te Vier­ster­ne­ho­tel »Palace Runo­wo« mit Schwimm­bad im Haus.

Ein Enkel des letz­ten deut­schen Eigen­tü­mers, des Joa­chim von Bethmann-Hollweg, lebt in Eng­land. Er besuch­te 2013 Runo­wo. Polen über­reich­ten dem Besu­cher eini­ge erhal­ten geblie­be­nen Fami­li­en­an­denken. Auch konn­te er fest­stel­len, dass sich im Staats­ar­chiv in Brom­berg noch »eine Men­ge« Archi­va­li­en befin­den, die an die Fami­lie Bethmann-Hollweg und an die Herr­schaft Runo­wo erinnern.