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Die »Galeria EL« – Vom Gotteshaus zum Kunsttempel

Von Joanna Skolnicka

Das Elbinger Kunstzentrum (Centrum Sztuki) Galeria EL veranstaltet gegenwärtig zwei Sonderausstellungen: Sie zeigen Entwürfe des japanischen Architekten Masaharu Takasaki sowie architektonische Konzepte des Polen Jakub Szczęsny, der vor wenigen Jahren mit seinem Warschauer »Dom Kereta« internationale Aufmerksamkeit erregt hat. Wer sich mit diesen innovatorischen Entwicklungen der Baukunst auseinandersetzen möchte, muss allerdings – eine Kirche betreten; denn die Galeria ist im Gebäude der früheren Marienkirche beheimatet. Erwartungsgemäß sind solche Umwidmungen eines Gotteshauses in Polen äußerst selten und lassen stets auf besondere Voraussetzungen und Entwicklungen schließen. So eröffnet auch das Elbinger Beispiel einen aufschlussreichen Blick auf die jüngere Kunst- und Kulturgeschichte der Stadt.

Verbunden mit der Entwicklung des Domini­ka­ner­klosters reichen die Anfänge der Elbinger Marien­kirche in die erste Hälfte des 13. Jahrhun­derts zurück. Nach einem Brand im Jahre 1504 wurde sie wieder aufgebaut und war, nachdem Luthers Lehre zum Haupt­be­kenntnis geworden war, ab 1542 ein evange­li­sches Gotteshaus. Selbst­ver­ständ­licher Weise barg ihr Innenraum zahlreiche Kunst­schätze – wie beispiels­halber die Altäre der Schuhmacher- und Weich­sel­fah­rer­zünfte, die heutzutage in der Nikolai­kirche zu bewundern sind, und innerhalb der Kirchen­mauern erklang auch erhebende Musik. Diese Kunst – in der Regel die einzige, die ein mittel­al­ter­licher Mensch überhaupt wahrnehmen konnte – diente aber stets einem überge­ord­neten Ziel: der Verkün­digung des Glaubens.

Die Katastrophe von 1945 ließ die Marien­kirche – im Vergleich zu anderen Gebäuden der Elbinger Altstadt – relativ verschont, auch wenn sie völlig ihrer Bedachung beraubt wurde. Da sich die neuen kommu­nis­ti­schen Behörden aber um das Denkmal überhaupt nicht kümmerten, drohte ihm ein allmäh­licher Verfall. Wieder­holten Bitten aus katho­li­schen Kreisen, die Kirche nutzen zu dürfen, wurde kein Gehör geschenkt. 1961 schließlich beantragte der deutsch­stämmige Künstler Gerard Kwiat­kowski (Jürgen Blum), der nach 1945 in Elbing geblieben war, ihm das Kirchen­ge­bäude zu übergeben, damit er dort sein Atelier einrichten könnte. Diesem Wunsch wurde statt­ge­geben, Mitbe­gründer dieses Ateliers in der zerstörten Kirche war Janusz Hankowski, ein Künstler und Freund von Kwiat­kowski, der sich Jahre später in einem Presse­interview als »ersten Nacht­wächter der Galerie« bezeichnete.

Hankowski war es auch, der den Wettbewerb gewann, in dem für die neuent­standene Galerie ein Name gesucht werden sollte, und zwar mit seinem Vorschlag »EL« (als Kürzel des Stadt­namens). Schon im Juli 1961 fand die erste Vernissage von Werken Kwiat­kowskis und Hankowskis statt, der sich bis 1970 etwa 100 weitere Ausstel­lungen anschlossen. 1962 folgte zudem die Einrichtung eines Jazzclubs – eines der ersten in der Volks­re­publik Polen; und 1969 wurde die Veran­stal­tungs­reihe »Salon Elbląski« initiiert, die der städti­schen Kunst­szene seitdem ein Forum zur Präsen­tation des eigenen Schaffens bietet. Ein heraus­ra­gendes Merkmal dieser Jahre bildete aber die »Biennale der räumlichen Formen«, die zwischen 1965 und 1973 veran­staltet wurde. Sie knüpfte an Ideen des Konstruk­ti­vismus an. Dabei übernahm der Betrieb Zamech, der früher Schichau Werke geheißen hatte, die Materi­al­lie­ferung sowie die technische Fertigung, die selbst­ver­ständlich durch »Subbotniks«, d. h. durch unbezahlte Samstags­arbeit, erbracht wurde. Das gesamte Vorhaben gewann dadurch eine ideolo­gische Dimension, weil es nun als treffendes Beispiel für das Zusam­men­wirken und letztlich die Einheit von Künstlern und Werktä­tigen dienen konnte. Im Rahmen dieser Biennale entstanden etwa 50 Formen, die über die ganze Stadt verteilt wurden. Mit der Zeit verschmolzen sie mit der Stadt­land­schaft in einem solchen Maße, dass die Einwohner sie kaum noch bemerkten. Von vielen aller­dings wurden sie missver­standen bzw. gering­ge­schätzt – und nach 1989 auch noch mit dem kommu­nis­ti­schen Regime assoziiert. Die »Räumlichen Formen«, die noch erhalten geblieben sind, erleben jetzt aber ihre zweite Jugend und bieten sich bei der Suche der Stadt nach »touris­ti­schen Attrak­tionen« als ein Elbinger Spezi­fikum an.

1974 verließ Gerard Kwiat­kowski Elbing und ging in die BRD. Damit wurde er – dem 2011 wohlge­merkt die Ehren­bür­ger­schaft von Elbing verliehen wurde – für die damaligen Behörden ein Abtrün­niger und Verräter, und die von ihm gegründete Galerie fiel in Ungnade. 1976 wurde sie geschlossen. Späterhin wurden Renovie­rungs­ar­beiten durch­ge­führt; die Wieder­eröffnung fand aller­dings erst 1982 statt. Im Zusam­menhang mit der Einführung des Kriegs­rechts in Polen wurde der Verband der Polni­schen Bildenden Künstler (Związek Polskich Artystów Plastyków) in seinen Möglich­keiten einge­schränkt und bald danach, 1983, gänzlich verboten. Polnische Kunst ging in den Unter­grund, und öffent­liche Ausstel­lungs­räume, zu denen nun auch wieder die Galeria EL gehörte, wurden boykot­tiert. Dies versetzte das Haus in eine schwierige Lage, die der damalige Leiter Ryszard Tomczyk aber geschickt meisterte. Als studierter Theater­wis­sen­schaftler orien­tierte er sich an experi­men­tellen theatralen Formen, und sein Wirken ist bis heute an der – in Polen vermutlich einzig­ar­tigen – bühnen­ar­tigen Beleuchtung des Innen­raums erkennbar.

Nachfolger von Tomczyk wurde 1987 Andrzej Szadkowski. Bevor er die Leitung übernahm, hatte er im EL bereits als bildender Künstler gearbeitet. Während er sein Wirken in der Galerie zuvor als eine gewisse Begrenzung seiner »künst­le­ri­schen Freiheit« empfunden hatte, wurden ihm jetzt, in seiner eigenen Formu­lierung, »die Unermess­lichkeit und Unbegrenztheit ihrer Möglich­keiten klar«. Da Szadkowski z. B. von der frühmit­tel­al­ter­lichen Siedlung Truso faszi­niert war, die Marek Jagod­ziński 1982 entdeckt hatte, wurde 1992 in der Galerie (die nun nicht mehr, wie zur Zeit Kwiat­kowskis, »Kunst­labor«, sondern »Kunst­zentrum« hieß) zu diesem Thema ein »balti­sches Symposium« durch­ge­führt. Sein Interesse an Compu­ter­kunst wiederum führte dazu, dass auf diesem Feld in Elbing ein inter­na­tio­naler Workshop mit dem Titel »Kwadrat ’88. Computer Mail Art« stattfand. Zu Szadkowskis Zeit wurden zudem Malerei, Graphik (auch Compu­ter­graphik), Zeichnung, Skulptur, Tapis­serie, die vor den Backstein­mauern besonders gut zur Geltung kam, und sogar Frühlings­blumen ausge­stellt. Organi­siert wurden nicht zuletzt Konzerte von der Kammer­musik über den Jazz bis zum Rock. Unter Zbigniew Opalewski, der die Funktionen des Leiters von 1998 bis 2008 innehatte, setzte das »Kunst­zentrum« seine erfolg­reiche Tätigkeit ideen­reich in vergleich­barer Vielfalt fort. Dies gilt auch für das Direk­torat seines Nachfolgers, Jarosław Denisiuk, der im Juli 2015 für eine nächste, dreijährige Amtspe­riode wieder­ge­wählt wurde. Unter seiner Leitung wurde das Gebäude nicht nur renoviert, sondern erhielt auch eine zweistö­ckige gläserne Ausstel­lungs­empore. Seitdem kann noch häufiger »site-specific art«, d. h. Kunst, die für einen bestimmten Ort geschaffen wird, präsen­tiert werden.

Nach Aussage von Beata Branicka, der Presse­spre­cherin der Galerie, bemüht sich das Haus um ein Angebot, das möglichst viele Menschen erreicht. Zu den »Stamm­be­su­chern« zählt sie Personen, die seit den ersten Jahren die Projekte der Galerie mitge­staltet oder begleitet haben. Ansonsten rekru­tierten sich die Besuche­rinnen und Besucher vor allem aus der Alters­gruppe der 25- bis 34-Jährigen. Als Pläne für die nächsten Monate nennt sie eine Ausstellung von Leon Tarasewicz – einem mit vielen Preisen ausge­zeich­neten polni­schen Künstler belarus­si­scher Abstammung –, eine inter­na­tionale Schau von Künstlern, die die Richtung der »geome­tri­schen Abstraktion« vertreten, oder die Fortführung der Freiluft­ver­an­staltung »Frühstück im Grünen«. –

Epita­phien von Elbinger Patri­ziern, von denen in der ehema­ligen Marien­kirche leider nur einige erhalten geblieben sind, zitieren häufig Bibel­pas­sagen, die von der Vergäng­lichkeit des mensch­lichen Lebens und der Flüch­tigkeit mensch­licher Werke handeln. Die Marien­kirche selbst, aber auch die Kunst, die dort jetzt eine Heimstatt gefunden hat, zeigen, dass es Kräfte gibt, die sich dieser Vergäng­lichkeit beharrlich zu wider­setzen suchen.


Joanna Skolnicka betreut nach dem Studium des Fachs Inter­na­tionale Bezie­hungen an der Univer­sität Łódź seit 2009 die Erschließung und Vermittlung der histo­ri­schen deutsch­spra­chigen Bestände an der Elbinger C.-Norwid-Bibliothek; seit Beginn des Jahres 2016 ist sie Mitglied des Stiftungsrats der Kultur­stiftung Westpreußen.