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Der Hochmeisterpalastauf der Marienburg

Zu einer aktuellen, hervorragenden Erschließung des bedeutenden Bauwerks

Die Marienburg, deren größte histo­rische Bedeutung darin bestanden hat, dass sie von 1309 bis 1457 Haupthaus des Deutschen Ordens in Preußen gewesen ist, war und ist schon seit längerem immer wieder Gegen­stand größerer und kleinerer Forschungs­ar­beiten, aber auch populär­wis­sen­schaft­licher Veröf­fent­li­chungen gewesen. Das gilt sowohl für die politische Geschichte als auch für die Bau- und Kunstgeschichte.

Hier vorzu­stellen ist ein in jeder Hinsicht großes Werk eines Kunst­his­to­rikers, der auch die politische Geschichte in starkem Maße berück­sichtigt hat. Sein Verfasser, Chris­tofer Herrmann, hat sich seit vielen Jahren an den Vorar­beiten zum Forschungs­ge­gen­stand des vorlie­genden Buches beteiligt. Mit seinem bisher bedeu­tendsten Werk über Mittel­al­ter­liche Archi­tektur im Preußenland. Unter­su­chungen zur Frage der Kunst­land­schaft und ‑geographie hat er sich im Jahre 2005 an der Univer­sität Greifswald habili­tiert und seine damaligen Ergeb­nisse zwei Jahre später (ebenfalls im Imhof-Verlag) in einem Folianten von über 800 Seiten der Allge­meinheit vorge­stellt. Der jetzt vorge­legte Foliant ist das Ergebnis eines Forschungs­pro­jekts, das die Deutsche Forschungs­ge­mein­schaft vier Jahre lang gefördert hat. Das hat es dem Verfasser, der haupt­be­ruflich einen Lehrstuhl an der Univer­sität Danzig versieht, möglich gemacht, seine Forschungen in enger Zusam­men­arbeit mit der Techni­schen Univer­sität Berlin durchzuführen.

Nach einem Einlei­tungs­ka­pitel, in dem der Forschungs­stand und die Forschungs­me­thode dargelegt werden, wird in Kapitel 2 der ältere Hochmeis­ter­palast unter­sucht. Das war nötig, denn jeder, der die Geschichte der Marienburg nur etwas kennt, weiß, dass zwischen dem Einzug der Ordens­leitung und den Anfängen des Hochmeis­ter­pa­lastes, wie wir ihn heute kennen, eine zeitliche Lücke von etwa sieben Jahrzehnten klafft. (Hier wie in den folgenden Kapiteln wird den Darle­gungen zur schnel­leren Orien­tierung jeweils auf dunkel­rotem Papier eine Zusam­men­fassung voran­ge­stellt.) Aus bauar­chäo­lo­gi­schen Gründen wird in diesem Kapitel gezeigt, dass etwa im Gegensatz zur Histo­ri­en­ma­lerei des 19. Jahrhun­derts der Bau des ersten Hochmeis­ter­pa­lastes erst in der Zeit von Hochmeister Luther von Braun­schweig (1331–1335) auf der baulichen Grundlage der vorhe­rigen Vorburg vom Ende des 13. Jahrhun­derts errichtet worden ist. Auch der Große Remter mit den drei seine Decke tragenden Säulen ist etwa zur selben Zeit entstanden wie der erste Hochmeis­ter­palast und gehört damit zur selben Ausbau­stufe der Residenz. Hier hat es später keine Umbauten gegeben.

Umbauten haben demge­genüber Ende des 14. Jahrhun­derts den eigent­lichen Hochmeis­ter­palast erfasst und haben ihm das Aussehen gegeben, wie es sich nach zwei Jahrhun­derte langen Restau­rie­rungs­be­mü­hungen für den heutigen Besucher darbietet. Das wird in den folgenden Kapiteln unter­sucht. In Kapitel 3 geht es um die Datierung und damit um die Bauge­schichte des neuen Hochmeis­ter­pa­lastes. Da es für die entschei­denden Jahre nur wenige schrift­liche Quellen gibt, waren hier besonders bauar­chäo­lo­gische Beobach­tungen wichtig. Da im Dach sich noch viele Hölzer fanden, die im Winter nach dem Tode des Hochmeisters Winrich von Kniprode (1382/83) gefällt worden waren, ergab sich der Schluss, dass gegen Ende seiner langen Amtszeit eine Reihe von Erkennt­nissen und Erfah­rungen zusam­men­ge­kommen war, aus denen heraus sorgfältige Planungen für den großar­tigen Erwei­te­rungsbau der Residenz abgeleitet worden waren, so dass nun mit dem Umbau begonnen werden konnte. Abgeschlossen wurde der Umbau in den ersten Regie­rungs­jahren des Hochmeisters Konrad von Jungingen, wofür es auch einige Rechnungen als ergän­zende Quellen gibt. Davor hat es eine Unter­bre­chung des Bauens gegeben, wofür keine Erklärung angeboten wird.

Nach einer kürzeren Darstellung der baulichen Verän­de­rungen der von Luther von Braun­schweig gegrün­deten Hochmeis­ter­ka­pelle folgt auf fast 100 Seiten eine ausführ­liche Beschreibung der Fassaden und Innen­räume in ihrer jetzigen Gestalt. – Nicht nur den Kunst- und Archi­tek­tur­his­to­riker wird das anschlie­ßende Kapitel – das sechste – besonders inter­es­sieren, in dem „Nutzungs­be­reiche und Raumfunk­tionen“ unter­sucht werden. Das Ziel war, möglichst für jeden Raum dessen Zweck zu ermitteln. Außer den archi­tek­to­ni­schen und schrift­lichen Quellen war die Annahme einer sinnvollen Planung dafür Grundlage. In der Darstellung werden die vier Ebenen von unten nach oben gezählt. Danach sind in Ebene 4 die Reprä­sen­ta­ti­ons­räume wie Sommer­remter und Winter­remter. Auch die Wohnung des Hochmeisters findet sich hier. In Ebene 3 sind die Räume für die Großgebie­tiger, wenn sie zu Beratungen geladen wurden. In den unteren Ebenen 1 und 2 befinden sich die Räume für die Kanzlei und alles, was für deren Tätigkeit nötig war. Es werden Ausfüh­rungen zum Wohnkomfort gemacht, dazu gehören das berühmte Heizungs­system der Ordens­re­sidenz, aber auch Toiletten und fließendes Wasser. Behandelt werden auch die Räumlich­keiten für Diener sowie weitere Zugänge wie Flure und Treppen. Zusam­men­ge­fasst wird das alles in Kapitel 7, in dem die hierar­chische Struktur des Hochmeis­ter­pa­lastes gezeigt wird. Sie ist an den unter­schied­lichen Raumhöhen zu erkennen. Ebene 4 mit dem Sommer­remter ist am höchsten, während die Kanzlei­räume der Ebenen 1 und 2 wesentlich niedriger sind.

Die Ausmalung des Hochmeis­ter­pa­lastes und die Ausstattung des Gebäudes mit Bauplastik sind schon zuvor regel­mäßig beachtet worden und werden nun im nächsten Kapitel syste­ma­tisch behandelt. Um sodann die Einzig­ar­tigkeit dieses Baudenkmals deutlich zu machen, werden zum Vergleich andere Bauten betrachtet. Bei der Frage nach Auftrag­geber, Architekt und Werkleuten wird nochmals die Bedeutung der Hochmeister Luther von Braun­schweig und Winrich von Kniprode heraus­ge­stellt. Während die Bauten der Jahre 1331–1335 in der Tradition des preußi­schen Burgenbaus gesehen werden, wird dann mit Meister Johann eine Persön­lichkeit vorge­stellt, die von Winrich von Knip­rode den Auftrag übernommen und bis zur Vollendung geleitet hat, ehe er danach an die Ordensburg Bütow weiterging. Meister Johann wird mit seinen Leistungen gewürdigt, die dem Hochmeis­ter­palast seine Einzig­ar­tigkeit gegeben haben. Zu seiner Biographie ließ sich wahrscheinlich machen, dass er um oder vor 1350 geboren wurde, in Böhmen gelernt und in den 70er Jahren auf der bischöf­lichen Burg Arensburg auf Ösel gearbeitet hat, ehe er 1380 nach Marienburg kam. Er wird wie etwa Peter Parler zu den bedeu­tendsten Baumeistern seiner Zeit gerechnet. Er hat eine Vielzahl von Stein­metzen beschäftigt, die zu organi­sieren allein schon eine große Leistung war.

Vorge­stellt werden überdies der Hofstaat des Hochmeisters mit den vielfäl­tigen Aufgaben seiner um 1400 über 100 Mitglieder sowie die Besucher unter­schied­lichsten Ranges. Die herrschaft­liche Reprä­sen­tation für Politik und Verwaltung ist ein weiteres Thema. Schließlich erfolgt ein Abgleich, inwieweit Elemente ritterlich-höfischer Kultur vor allem weltlicher Fürstenhöfe das Leben im Hochmeis­ter­palast bestimmt haben könnten. Die Vorschriften eines geist­lichen Ritter­ordens haben dem enge Grenzen gesetzt. – Angesichts der geschil­derten Forschungs­er­geb­nisse und deren umsich­tiger Präsen­tation haben wir somit ein hervor­ra­gendes, seinem bedeu­tenden Gegen­stand angemes­senes Werk vor uns, das mit seinen oft ganzsei­tigen Abbil­dungen höchst anspre­chend ausge­stattet ist.

Bernhart Jähnig