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Das ­zweite Leben eines Schulgebäudes

Einladung zum Urlaub nach Cadinen

Schon seit dem Mittel­alter gehörte Cadinen zu den Lieblings­orten der Macht­eliten. Dies galt für die Komture von Elbing nicht anders als späterhin für Wilhelm II. oder dessen Enkel Louis Ferdinand, der seinen dortigen Wohnsitz erst im Januar 1945 aufgab. Danach folgte eine längere Phase des Still­stands. Seit der politi­schen Wende der Jahre 1989/90 aber hat sich Kadyny (wie der jetzige Name lautet) zu einem beliebten Tourismus­-Ziel entwi­ckelt – und bietet als Ort, der inzwi­schen unter Denkmal­schutz gestellt wurde, zudem reizvolle wechsel­seitige Verschrän­kungen von Gegenwart und Geschichte: Auf diese Weise finden beispeils­weise Urlauber die Möglichkeit, sich im ehema­ligen Schul­ge­bäude des Dorfes einzulogieren.

Orientierung 

Malerisch am Frischen Haff wie am Fuße der Elbinger Höhe gelegen, lädt Cadinen mit seinem breiten Sandstrand zu unbeschwertem Badeurlaub ein und bietet zugleich auch Gelegen­heiten für ausge­dehnte Spazier­gänge. Oberhalb des Orts ist das Reservat „Cadiner Wald“ (Kadińsky Las) einge­richtet worden, und das Gebiet insgesamt gehört zum weiträu­migen Natur­schutzpark „Elbinger Höhe“. Zudem läuft die bedeu­tendste, fast 2.000 km lange Fahrrad­route Green Velo kurz nach ihrem Beginn in Elbing auch durch Cadinen. Die Haffu­ferbahn, früher ein regel­rechter Touristen-Magnet, wird aller­dings nicht mehr betrieben, und allen Hoffnungen, dass sie nochmals wieder­belebt werden könnte, ist mittler­weile wohl der Boden entzogen worden. Demge­genüber ist die bequeme Fahrt mit dem Auto von Elbing bzw. Braunsberg aus zwar weniger spekta­kulär, vermittelt trotzdem aber auch vielerlei reizvolle Eindrücke von der pitto­resken Landschaft.

Die Besucher, die auf der Woiwod­schafts­straße von Elbing aus auf das Dorf zufahren, begrüßt die berühmte „1.000-jährige Eiche“. Von hier aus kann man eine lange Treppe bis zur Höhe hinauf­steigen und wird für diesen Weg reichlich belohnt ;  denn dort oben befindet sich ein ehema­liges Franzis­ka­ner­kloster, das durch private Initia­tiven vor dem Verfall bewahrt und schon weitgehend wieder­auf­gebaut worden ist. Der weniger steile Rückweg, der über eine Straße wieder zum Ort hinun­tergeht, führt auf das Gelände des früheren Muster­gutes mit dem Gestüt, dem Vorwerk und dem jüngst aufwändig renovierten Herrenhaus. Schließlich erreicht man bei diesem Orien­tie­rungsgang die Siedlung, die sich durch eine große Geschlos­senheit der gesamten Anlage sowie durch die Einheit­lichkeit der Haustypen, des Sicht­mau­er­werks und des neugo­ti­schen Stils insgesamt auszeichnet. Hier wurde offen­sichtlich eine kleine autarke Lebenswelt entworfen, die eine Reihe von Wohnhäusern, eine Post, ein Krankenhaus und natürlich auch eine Schule umfasste – und deren spezi­fische Planung und Absicht sich aus dem geschicht­lichen Kontext genauer erschließen lassen.

Historischer Streifzug 

Cadinen ist bis heute durch Produkte bekannt, die ab 1903 in den dortigen König­lichen Majolika- und Terrakotta-Werkstätten entstanden :  Einer­seits durch Bauke­ramik, die reichsweit an markanten Stellen zum Einsatz kam, anderer­seits durch Ziergefäße sowie durch Tafel­ge­schirr, Wandteller oder Tierplas­tiken, die nach dem Ersten Weltkrieg im unver­wech­sel­baren „Cadiner Stil“ herge­stellt wurden und bei Auktionen als begehrte Sammler­stücke gehandelt werden.

Inhaber dieser erfolg­reichen Werkstätten war Wilhelm II. :  Er hatte das Gut Cadinen 1898 als Sommersitz erworben und 1899 eine moderne Dampf­zie­gelei errichtet. Die Gründung dieses Unter­nehmens lag aufgrund der natür­lichen Rohstoff­vor­kommen in dieser Region nahe, denn die Tonver­ar­beitung am Frischen Haff verfügte damals schon über eine jahrhun­der­te­lange Tradition. Darüber hinaus wollte der Monarch aber auch die Rolle eines sozial­re­for­me­ri­schen Pater familias übernehmen, der sich bis in die Details um die Belange und das Wohlergehen der ihm anver­trauten Mitar­beiter kümmert. Deshalb ließ er nach dem Muster der werks­ge­bun­denen Wohnungs­für­sorge, wie es in der Montan­in­dustrie bereits seit längerer Zeit entwi­ckelt worden war, die Siedlung in Cadinen bauen. In reiner Form, viel klarer, als dies z. B. in den Städten des Ruhrge­biets möglich war, schuf damit der Kaiser in einem idylli­schen Ort am Frischen Haff eine von anderen Faktoren losge­löste, automome Einheit aus Lebens- und Arbeitswelt.

Wilhelm II. und seine Aktivi­täten bilden freilich nur eine, wenn auch eine hervor­ste­chende Etappe der Geschichte von Cadinen, die zumindest mit wenigen Strichen skizziert werden soll. Schon in der Prußenzeit bestand hier eine Burg, die später durch den Deutschen Orden besetzt wurde. In deutschen Quellen wird Cadinen erstmals im Mai 1255 erwähnt und blieb in der Verwaltung des Elbinger Komturs. 1431 wurde das Ordensgut an die Familie Johann von Baysens verpfändet, der wenig später zu den Mitbe­gründern des Preußi­schen Bundes (1440) gehörte und im März 1454 vom polni­schen König zum ersten „Gubernator“(Statthalter) der Lande Preußen ernannt wurde. Aus seiner Zeit soll die mächtige Eiche vor dem Dorf stammen, die heute Johann-von-Baysen-Eiche (Dąb Jana Bażyńs­kiego) heißt. Seit dem 16. Jahrhundert wechseln häufiger die Eigen­tümer ;  zu ihnen gehörten die Familie von Schlieben oder General Wilhelm Friedrich Karl Graf von Schwerin, bis 1804 der Elbinger Kaufmann Daniel Birkner Cadinen erwarb. Von seiner Familie ging der Besitz dann 1898 auf den Deutschen Kaiser über.

Das Schulgebäude 

Kein gerin­gerer als Conrad Stein­brecht, der „Retter der Marienburg“, entwarf das 1902 errichtete Schul­ge­bäude, das höchst­per­sönlich einzu­weihen Majestät sich keines­falls nehmen lassen wollte. Dazu musste sie aller­dings aus dem ostpreu­ßi­schen Rominten anreisen, wo sie der Jagd nachging ;  und da der Kaiser dabei wohl besonders erfolg­reich war und dieses Vergnügen noch nicht abbrechen wollte, wurde die Eröff­nungs­feier kurzfristig um einen Tag verschoben.

Am 8. Oktober dann kam Wilhelm II. mit seinem Privatzug über Königsberg und Braunsberg nach Cadinen und wurde bei – für diese Jahreszeit nicht untypi­schem – regne­ri­schem Wetter von den Schülern des Dorfes bei der 1.000-jährigen Eiche willkommen geheißen. Am nächsten Tag fand um 10 Uhr die Einweihung der Schule statt. Teilnehmen durften höhere Verwal­tungs­beamte des Kreises, die beiden lokalen Schul­in­spek­toren – der katho­lische Pfarrer aus Tolkemit und der evange­lische aus Lenzen –, die Bauin­ge­nieure und Handwerker sowie die Schul­kinder und andere Einwohner des Ortes. Über dieses Fest wurde selbst­ver­ständ­li­cher­weise auch in der Presse berichtet, und so findet sich in der Elbinger Altpreu­ßi­schen Zeitung der folgende aufschluss­reiche Bericht :

Beim Eintreffen des Kaisers sangen die Schüler das Lied :  „Segne und behüte uns“. Der Erbauer des Gebäudes, Herr Maurer­meister Alfred Müller, übergab am Eingange den Schlüssel dem Bauin­spektor Herrn Neuhaus, letzterer überreichte ihn dem Kaiser, während Se. Majestät den Schlüssel dem Herrn Landrat von Etzdorf und dieser wieder dem Lokal­schul­in­spektor Herrn Propst Matthae übergab. Darauf begaben sich die hohen Herrschaften in das Schul­zimmer, woselbst auch die Schüler in dem neuen Heim auf den Bänken Platz nahmen. Der Kaiser nebst den Herren des Gefolges stand in dem Unter­richts­zimmer vor den Schülern. Herr Propst Matthae hielt darauf die Weihrede. In derselben wurde dem Kaiser der wärmste Dank für das neue Schulhaus ausge­drückt. […] Nach Verrichtung des Weihge­betes sangen die Schüler: „Großer Gott wir loben dich“. Damit war die Feier beendet. Auch besich­tigte der Kaiser die einzelnen Räume des Schul­ge­bäudes, in welchem auch die Diako­nissen ihr Heim haben. Das Klassen­zimmer zeichnet sich durch schönes Licht, welches drei große Fenster spenden, wie auch durch die prakti­schen Schul­bänke neuesten Systems aus. Die Wände werden durch Bilder geschmückt, welche der Kaiser der Schule geschenkt hat. Wir sehen da die Bilder des Kaisers, der Kaiserin, des Kaisers Friedrich, der Kaiserin Friedrich, das Bild „Jesus und die Samari­terin“, das Bild von Plock­horst :  „Das erlauchte Haus Hohen­zollern“ u. a.

Das Schul­ge­bäude konnte seine Funktion 101 Jahre lang erfüllen, so dass sich die etwas älteren Einwohner von Cadinen noch heute an den Klang der Schul­glocke erinnern, die sie zum Unter­richt rief oder die Pausen­zeiten umrahmte. Diese alte Schul­glocke wurde bei der Umwidmung des Gebäudes bewahrt und gab, als für das inzwi­schen dort einge­richtete Hotel ein Name gefunden werden musste, sogar den entschei­denden Impuls.

„Die silberne Glocke“ 

Durch seine neue Bestimmung blieb das Schul­ge­bäude im Gesamt­ensemble des Dorfes unver­ändert erhalten. Im Inneren musste es zwar umgestaltet werden, dabei wurden aber charak­te­ris­tische Details, die an den früheren Zustand gemahnen, spannungsvoll mit in das neue Design integriert. – Das Hotel, das im Polni­schen Srebrny Dzwon heißt, bietet insgesamt 30 Zimmer, von denen 22 zur Kategorie „Standard“ gehören. Die acht „Deluxe“-Zimmer zeichnen sich durch eine besonders sorgfältige und gediegene Ausstattung aus. Darüber hinaus stehen auch drei Appar­te­ments zur Verfügung. Sie sind als Maiso­nettes angelegt, stilis­tisch jeweils indivi­duell gestaltet und nach den Prinzes­sinnen Mita und Pogesana benannt, von denen prußische Legenden erzählen, sowie – gerade zwangs­läufig – auch nach Cadina, der Tochter des Stammes­fürsten Tolko, nach der die Ansiedlung schon vor der Ankunft des Deutschen Ordens ihren Namen erhalten hatte.

Die verschie­denen Unter­künfte bieten große Bequem­lich­keiten, und ebenso wie der freund­liche Hotel­service bemüht sich auch der Küchenchef, die Gäste nach allen Regeln seiner Kunst zu verwöhnen. Im gemüt­lichen Restaurant oder auch auf der Terrasse werden Speisen aus der altpol­ni­schen und europäi­schen Küche serviert. Neben Wild‑, Fisch- und Pilzge­richten – insbe­sondere mit Stein­pilzen aus der unmit­tel­baren Umgebung – gehören Piroggen nach Cadiner Art, mit gebra­tenen Äpfeln und Rübensoße, zu den Spezia­li­täten des Hauses.

Das Badever­gnügen und die Erholung, die der nahege­legene Strand bietet, werden noch wesentlich durch das Spa erweitert, das mit seinen Wasser­becken und der großen Palette von Massage-Angeboten auch in der ganzen Region als Attraktion wahrge­nommen und geschätzt wird. Dass diese Einrichtung schon mehrmals bei Spa-Wettbewerben mit Preisen ausge­zeichnet worden ist, wird niemanden, der sie schon einmal besucht hat, noch wundernehmen.

Sofern sich bei – vor allem jüngeren – Gästen der Wunsch einstellt, nicht nur der Ruhe und Entspannung zu frönen, sondern sich auch aktiv zu betätigen, hält das Management für sie eine knifflige Aufgabe bereit :  Sie sollen sich auf die Suche nach einem Schatz Wilhelms II. machen, der angeblich auf dem Gelände der damaligen Schule versteckt worden ist. Um die Lösung zu finden, sollte man mit dem „Geist des Hauses“ in Kontakt treten, der seiner­seits mit einem – im Erdge­schoss aufge­hängten – Gemälde im Zusam­menhang steht. Es zeigt eine vermeintlich geheim­nis­volle „Großmutter“ – in der ein unbefan­gener Betrachter aber vielleicht auch die Kaiserin Auguste Viktoria erkennen könnte ?

Bartosz Skop