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Breslauer Kongress stellte Weichen für Minderheitenpolitik in der EU

Am Beispiel des diesjährigen ­FUEN-Kongress in der europäischen Kultur­haupt­stadt 2016 Breslau berichten die Mitglieder des Verwaltungsrates des Verbandes für deutsche Kulturbeziehungen im Ausland Dr. Andreas Schröder und
Dr. Claus Thies über die aktuelle Arbeit der europäischen Minderheiten und Volksgruppen.

Wer deutsch­spra­chi­ge Volks­grup­pen im Kon­text der Gesamt­heit aller Sprach­grup­pen Euro­pas in den Blick neh­men möch­te, ist gut bera­ten, sich mit der Arbeit der Föde­ra­lis­ti­schen Uni­on Euro­päi­scher Natio­na­li­tä­ten (FUEN) aus­ein­an­der­zu­set­zen: Als Dach­or­ga­ni­sa­ti­on der Min­der­hei­ten und Volks­grup­pen in Euro­pa ist sie Sprach­rohr für deren Inter­es­sen auf EU-Ebene. Vom
18. bis 22. Mai 2016 tra­fen sich in Bres­lau die 90 Mitglieds­organisationen der FUEN aus 33 Län­dern zu ihrem Jah­res­kon­gress, des­sen Gast­ge­ber der Ver­band der deut­schen sozial-kulturellen Gesell­schaf­ten in Polen (VDG) war.

Die Tagun­gen der FUEN bie­ten auf­grund der Viel­falt an Teil­neh­mern den pas­sen­den Rah­men, um im Bereich der euro­päi­schen Min­der­hei­ten­po­li­tik Kon­tak­te zu knüp­fen oder zu ver­tie­fen. Bereits optisch und akus­tisch fällt auf, dass ein brei­tes Spek­trum an Dele­ga­tio­nen antritt, das die Band­brei­te von Poli­ti­kern über Jour­na­lis­ten bis hin zu ein­fa­chen Tages­gäs­ten abdeckt. Diver­se Sprach­grup­pen sind ver­tre­ten bei aus­ge­wo­ge­nem Ver­hält­nis in punk­to Geschlecht, Alter und geo­gra­fi­scher Her­kunft. Über­ra­schend ist die Domi­nanz der deutsch­spra­chi­gen Grup­pen inner­halb der FUEN, die sich einer­seits aus der his­to­ri­schen Ver­an­ke­rung des Ver­ban­des im deutsch-dänischen Bereich und ande­rer­seits aus der finan­zi­el­len För­de­rung der FUEN durch das deut­sche Innen­mi­nis­te­ri­um erklärt. Die­se ist nicht zuletzt dem Ein­satz von Hart­mut Koschyk MdB, des Beauf­trag­ten der Bun­des­re­gie­rung für Aus­sied­ler­fra­gen und natio­na­le Min­der­hei­ten, zu verdanken.

Einen Ein­druck von der Viel­falt euro­päi­scher Min­der­hei­ten gab in Bres­lau am Vor­abend des Kon­gres­ses ein ‚Völ­ker­markt‘ mit Info­stän­den, kuli­na­ri­schen Ange­bo­ten sowie Tanz­ein­la­gen. Sodann folg­ten am zwei­ten Tag Reden von rang­ho­hen Ver­tre­tern der pol­ni­schen und deut­schen Regie­rung und von Astrid Thors, der Hohen Kom­mis­sa­rin für natio­na­le Min­der­hei­ten der OSZE. Zur Über­ra­schung vie­ler Teil­neh­mer hielt der Bres­lau­er Stadt­prä­si­dent Rafał Dut­kie­wicz sein Gruß­wort frei in flie­ßen­dem Deutsch. Mit einer Dis­kus­si­on zwi­schen Ver­tre­tern ein­zel­ner Dele­ga­tio­nen, mode­riert von Andre­as Stopp (Deutsch­land­funk), begann die kon­kre­te inhalt­li­che Arbeit, die ihren Höhe­punkt am vier­ten Tag wäh­rend der Dele­gier­ten­ver­samm­lung fand. In die­sem Kreis wer­den regel­mä­ßig Reso­lu­tio­nen kon­tro­vers dis­ku­tiert, neue Mit­glie­der auf­ge­nom­men und das Prä­si­di­um gewählt. Mit dem neu gewähl­ten Prä­si­den­ten Loránt Vin­c­ze aus Rumä­ni­en zeich­net sich für die kom­men­den Jah­re eine Ver­tie­fung der FUEN-Arbeit in Ost­eu­ro­pa ab. Im Rah­men eines abschlie­ßen­den Gala­abends wur­de der bis­he­ri­ge lang­jäh­ri­ge Prä­si­dent Hans Hein­rich Han­sen gebüh­rend verabschiedet.

Die Dis­kus­si­on und Gesprä­che mit vie­len Ver­tre­ter aus Ost- und Süd­ost­eu­ro­pa mach­ten deut­lich, wie sehr vie­le Volks­grup­pen poli­ti­schen Schi­ka­nen, Repres­sio­nen und offe­nen Anfein­dun­gen aus­ge­setzt sind. Beson­ders sta­chen die Berich­te der Sin­ti und Roma her­vor sowie die Berich­te aus Kroa­ti­en, Grie­chen­land und dem Kau­ka­sus. Ange­sichts der­ar­ti­ger Span­nun­gen blie­ben selbst zwi­schen Dele­ga­tio­nen ver­schie­de­ner Min­der­hei­ten beim Kon­gress deut­li­che Aus­ein­an­der­set­zun­gen nicht aus, ins­be­son­de­re mit Blick auf die Ukrai­ne und den Kau­ka­sus. Bei den Schil­de­run­gen aus Ost­eu­ro­pa wur­de offen­bar, wie groß der volks­grup­pen­recht­li­che Nach­hol­be­darf ist und vor wel­chen Her­aus­for­de­run­gen die FUEN in die­sen Gebie­ten steht. Dem­ge­gen­über wur­de mehr­mals die deutsch-dänische Part­ner­schaft als Vor­bild für Min­der­hei­ten­ar­beit auch für Ost­europa ange­führt. Der schei­den­de Prä­si­dent Han­sen aus Nord­schles­wig führ­te hier­zu aus, dass Däne­mark und Deutsch­land im Ursprung nicht ‚bes­se­re‘ Moti­ve hat­ten als ost­eu­ro­päi­sche Staa­ten heu­te und somit das deutsch-dänische Modell über­trag­bar sei.

Doch wer ist Schutz­herr der Min­der­hei­ten in Euro­pa, wenn Ein­zel­staa­ten ihren Ver­pflich­tun­gen nicht nach­kom­men? Nach­dem die EU-Kommission die Mino­ri­ty Safepack-Initiative der FUEN – und somit die Ver­an­ke­rung der Min­der­hei­ten­rech­te und ‑poli­tik auf über­staat­li­cher Ebe­ne – zurück­ge­wie­sen hat, bleibt man wei­ter auf den guten Wil­len von natio­na­len Regie­run­gen ange­wie­sen. Über das Schei­tern der ­FUEN-Initiative wird noch vor dem Euro­päi­schen Gerichts­hof gestrit­ten, doch selbst der neue FUEN-Präsident äußer­te sich skep­tisch, ob die EU selbst über­haupt mehr Kom­pe­tenz in der Min­der­hei­ten­po­li­tik anstrebt. Alter­na­tiv zur EU führ­te ein Ver­tre­ter des Aus­wär­ti­gen Amtes die OSZE als Part­ner an, weil sich auf­grund von deren Beru­fungs­grund­la­gen wie der Helsinki-Schlussakte Min­der­hei­ten an die inter­na­tio­na­le Öffent­lich­keit wen­den kön­nen. In die­sem Zusam­men­hang kün­digt auch der neue FUEN-Präsident inten­si­ve­re Lob­by­ar­beit im poli­ti­schen Raum und eine ver­stärk­te Medien- und Öffent­lich­keits­ar­beit an.

Man darf gespannt sein, ob die FUEN unter der neu­en Füh­rung einen ver­söhn­li­chen Ton anschlägt wie bis­her, oder ihre Anlie­gen kon­fron­ta­tiv vor­bringt. Der Bres­lau­er Kon­gress offen­bar­te zumin­dest trotz allen Stre­bens nach Ver­stän­di­gung auch erkenn­ba­re Konfliktpotentiale.