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Besichtigung einer Heldengeschichte

Vor 550 Jahren wurde in Thorn der Astronom Nicolaus Copernicus geboren

Von Alexander Kleinschrodt

Dass es Coper­ni­cus war, der die Erde »aus dem Mit­tel­punkt des Uni­ver­sums ver­trie­ben« hat, gilt als Teil der All­ge­mein­bil­dung. Zu sei­nem Leben und sei­ner Arbeit sind nach rund zwei­hun­dert Jah­ren inten­si­ver For­schung vie­le Fak­ten bekannt. Dafür drän­gen sich inzwi­schen neue Fra­gen auf: Wel­ches Wis­sen hat die Gesell­schaft von der Wis­sen­schaft und deren Geschich­te? Und wel­che Bedeu­tung erhielt Coper­ni­cus in den Jahr­hun­der­ten nach sei­nem Tod zugeschrieben?

Eine Figur der Weltgeschichte

Zumin­dest in einem Punkt sind sich bei die­sem The­ma nahe­zu alle einig: Der Astro­nom Nico­laus Coper­ni­cus, gebo­ren am 19. Febru­ar 1473 in Thorn im König­li­chen Preu­ßen, ist eine Figur der Welt­ge­schich­te. Coper­ni­cus begrün­de­te den Helio­zen­tris­mus, er setz­te die Son­ne in den Mit­tel­punkt unse­res Pla­ne­ten­sys­tems, den man bis dahin in Euro­pa genau­so wie im Nahen Osten und in Chi­na selbst­ver­ständ­lich der Erde ein­ge­räumt hat­te. In der Bibel, im Psalm 104,5, heißt es: »Du hast die Erde auf Pfei­ler gegrün­det, in alle Ewig­keit wird sie nicht wan­ken.« Doch Coper­ni­cus beschrieb die Erde als einen beweg­ten Him­mels­kör­per, der die Son­ne umkreist, obwohl die­se Bewe­gung mit den mensch­li­chen Sin­nen nicht direkt wahr­ge­nom­men wer­den kann. So wur­de es ihm mög­lich, alle die »schein­bar so ver­schie­de­nen Bewe­gun­gen am Him­mel« nur »durch die Bewe­gun­gen der Erde« zu erklä­ren, wie er in dem soge­nann­ten Com­men­ta­rio­lus dar­leg­te, einer klei­nen, zu sei­nen Leb­zei­ten unver­öf­fent­lich­ten Schrift, von der erst Ende des 19. Jahr­hun­derts Kopien ent­deckt wurden.

Heu­te, im Zeit­al­ter der Glo­ba­li­sie­rung und der Raum­fahrt, scheint Coper­ni­cus prä­sen­ter zu sein denn je: Por­träts des früh­neu­zeit­li­chen Gelehr­ten, der im Jahr 1543 gestor­ben ist, fin­den sich in vie­len Staa­ten auf Brief­mar­ken oder Mün­zen. Im Jahr 2010 erhielt das che­mi­sche Ele­ment mit der Ord­nungs­num­mer 112 im Peri­oden­sys­tem den Namen »Coper­ni­ci­um«, und seit eini­ger Zeit wird die Erde von den Satel­li­ten des euro­päi­schen Copernicus-Programms umkreist. Zum 550. Geburts­tag des bahn­bre­chen­den Astro­no­men sind in die­sem Jahr zahl­rei­che Ver­an­stal­tun­gen und Medi­en­bei­trä­ge zu erwarten.

Der historische Rahmen

Doch wer oder was wird hier eigent­lich gefei­ert? Was hat Coper­ni­cus tat­säch­lich geleis­tet? Wie wur­den sei­ne wis­sen­schaft­li­chen Ergeb­nis­se im 16. Jahr­hun­dert auf­ge­fasst? Um hier zu Ant­wor­ten zu kom­men, braucht es eine genaue­re Betrach­tung, die dann aber häu­fig quer­steht zum popu­lä­ren Coper­ni­cus der Welt­ge­schichts­schrei­bung. Ein Bei­spiel dafür lie­fer­te der Theo­lo­ge Joseph Ratz­in­ger, der spä­te­re Papst Bene­dikt XVI., wäh­rend sei­ner Zeit an der Uni­ver­si­tät Regens­burg. 1969 setz­te er sich in einem noch heu­te lesens­wer­ten Arti­kel mit dem Ver­hält­nis von Schöp­fungs­glau­ben und moder­nen Natur­wis­sen­schaf­ten aus­ein­an­der. Coper­ni­cus sah Ratz­in­ger hier­bei – eben­so wie Charles Dar­win, den Begrün­der der Evo­lu­ti­ons­theo­rie – als ver­ant­wort­lich für »eine Revo­lu­ti­on des Welt­bil­des«: Mit ihr habe er nicht nur die Erde ent­thront, son­dern auch »die Dimen­sio­nen des Welt­alls immer mehr ins Gren­zen­lo­se« erweitert.

Doch das ist so nicht rich­tig. Zwar erfand Coper­ni­cus gewis­ser­ma­ßen das Son­nen­sys­tem in der heu­te bekann­ten Form, jen­seits davon aber blieb er beim tra­dier­ten Wis­sen sei­ner Vor­gän­ger: Die Pla­ne­ten soll­ten laut die­ser Leh­re von einer Kugel­scha­le umge­ben sein, an der sich alle Ster­ne befän­den und mit der der Kos­mos abge­schlos­sen sei. Von Gren­zen­lo­sig­keit kann also kei­ne Rede sein. Die Idee eines extrem aus­ge­dehn­ten Uni­ver­sums, wie es die heu­ti­ge Astro­phy­sik beschreibt, dräng­te sich zur Zeit von Coper­ni­cus ohne­hin nicht auf. Fern­roh­re kamen erst nach 1600 in Gebrauch, so dass ihm aus­schließ­lich die soge­nann­te »frei­äu­gi­ge Beob­ach­tung« ohne opti­sche Hilfs­mit­tel mög­lich war. Unter bes­ten Bedin­gun­gen hät­te Coper­ni­cus so am Him­mel der Nord­halb­ku­gel rund 3.000 Ster­ne erken­nen kön­nen, die man gedank­lich wohl noch recht gut in einer umgrenz­ten Welt unter­brin­gen konn­te. Tat­säch­lich wer­den für ihn noch deut­lich weni­ger Ster­ne sicht­bar gewe­sen sein. In sei­ner Schrift De Revo­lu­tio­ni­bus Orbi­um Coeles­ti­um (Über die himm­li­schen Umschwün­ge), mit der er das helio­zen­tri­sche Modell an die Öffent­lich­keit brach­te, beklag­te sich Coper­ni­cus über das Wet­ter im erm­län­di­schen Küs­ten­ort Frau­en­burg, wo er den größ­ten Teil sei­nes Lebens ver­brach­te: Die häu­fi­gen Nebel über dem Fri­schen Haff hät­ten ihm die Arbeit schwe­rer gemacht als den anti­ken Astro­no­men, die in tro­cke­ne­ren Regio­nen hät­ten arbei­ten dürfen.

Ob Coper­ni­cus tat­säch­lich das Welt­bild der katho­li­schen Kir­che auf den Kopf gestellt hat, wie noch heu­te immer wie­der behaup­tet wird, kann man bezwei­feln. Coper­ni­cus selbst war ein Mann der Kir­che; in sei­nem Dienst als Kano­ni­ker des erm­län­di­schen Dom­ka­pi­tels erwarb er sich gro­ßes Anse­hen. Zwi­schen sei­ner neu­en Kos­mo­lo­gie und den Leh­ren der Kir­che bestand für Coper­ni­cus kein Wider­spruch. Dass De Revo­lu­tio­ni­bus erst 1543, im Todes­jahr von Coper­ni­cus, ver­öf­fent­licht wur­de, ist der heu­ti­gen For­schung zufol­ge eher nicht auf eine Angst vor der Inqui­si­ti­on zurück­zu­füh­ren. Der ame­ri­ka­ni­sche Astro­nom und Copernicus-Spezialist Owen Gin­ge­rich geht viel­mehr davon aus, dass Coper­ni­cus sein Modell mög­lichst weit per­fek­tio­nie­ren woll­te, um sich nicht durch anfecht­ba­re Annah­men vor der Gelehr­ten­welt zu bla­mie­ren. In Rom hat­te man noch über Jahr­zehn­te kei­nen ein­deu­ti­gen Stand­punkt zur koper­ni­ka­ni­schen Leh­re. Das änder­te sich erst mit dem Kon­flikt um Gali­leo Gali­lei, in des­sen Zusam­men­hang die katho­li­sche Kir­che 1616 schließ­lich auch De Revo­lu­tio­ni­bus auf ihren Index ver­bo­te­ner Schrif­ten setzte. 

Das alles zeigt: Die Begeis­te­rung über Nico­laus Coper­ni­cus ist nur mit etwas Vor­sicht zu genie­ßen. Die Astro­phy­si­ke­rin Sibyl­le Anderl, die bei der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung das Wis­sen­schafts­res­sort lei­tet, sieht Coper­ni­cus als den Prot­ago­nis­ten einer immer wie­der neu erzähl­ten »Hel­den­ge­schich­te«, in der sich vie­le Men­schen wie­der­fin­den könn­ten. Doch »das Bild, das man sich von den gro­ßen his­to­ri­schen Wis­sen­schaft­lern macht, hat mit den his­to­ri­schen Fak­ten meist wenig zu tun«, sagt Anderl: Die unüber­sicht­li­chen Kon­tex­te der jewei­li­gen Zeit wür­den ten­den­zi­ell aus­ge­blen­det, statt­des­sen präg­ten unver­meid­li­cher­wei­se die Inter­es­sen der Gegen­wart den Blick in die Vergangenheit.

Heldengeschichten  der  Erinnerungskultur

Auf die­se Wei­se wer­den zu einer his­to­ri­schen Per­sön­lich­keit wie Coper­ni­cus nach und nach neue Ver­knüp­fun­gen her­ge­stellt – ein Pro­zess, den man als die For­mie­rung einer »Erin­ne­rungs­kul­tur« ver­ste­hen kann. Im Fall von Coper­ni­cus trat hier­bei für lan­ge Zeit eine ein­zel­ne Fra­ge stark in den Vor­der­grund, die mit Astro­no­mie wenig zu tun hat­te: War Coper­ni­cus Pole oder Deut­scher? Von heu­te her erscheint die­se Fra­ge falsch gestellt, nicht nur weil sie in einem ver­ein­ten Euro­pa viel­leicht gar nicht so wich­tig sein müss­te; viel­mehr gab es zur Zeit von Coper­ni­cus kei­ne Natio­nal­staa­ten im moder­nen Sin­ne, mit einer als homo­gen ange­se­he­nen und nur eine ein­zi­ge Lan­des­spra­che spre­chen­den Bevöl­ke­rung. Coper­ni­cus ent­stamm­te einer deutsch­spra­chi­gen Kauf­manns­fa­mi­lie, er wuchs auf in der Stadtrepu­blik Thorn, die sich als Teil des könig­li­chen Preu­ßen frei­wil­lig der pol­ni­schen Kro­ne unter­stellt hat­te, und beherrsch­te selbst­ver­ständ­lich auch die pol­ni­sche Spra­che. Das Fürst­bis­tum Erm­land mit Coper­ni­cus’ spä­te­rem Wohn­ort Frau­en­burg war eben­falls an das König­reich Polen angebunden.

Den­noch nahm in der ers­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts ein Kon­flikt um die Natio­na­li­tät des Coper­ni­cus Fahrt auf. Nach der Zwei­ten Tei­lung Polen-Litauens Ende des 18. Jahr­hun­derts gehör­ten die Städ­te Thorn und Frau­en­burg zum König­reich Preu­ßen der Hohen­zol­lern, lagen in den Pro­vin­zen West- bezie­hungs­wei­se Ost­preu­ßen. Polen dage­gen gab es als Staat nicht mehr, wes­halb sich die nun in Russ­land, Preu­ßen und der Habs­bur­ger­mon­ar­chie leben­den Polen ihrer eige­nen Iden­ti­tät zu ver­ge­wis­sern such­ten. Dabei fiel der Blick auf die Geschich­te – und nahe­lie­gen­der­wei­se auch auf Nico­laus Coper­ni­cus. Für den Gelehr­ten aus dem alten Preu­ßen­land bür­ger­te sich in der pol­nisch­spra­chi­gen Öffent­lich­keit die Namens­schreib­wei­se Mikołaj Koper­nik ein, er wur­de zu einem Merk­punkt im kol­lek­ti­ven Gedächt­nis der Polen, so dass auch das Bedürf­nis nach einem greif­ba­ren Erin­ne­rungs­ort ent­stand. Im Jahr 1830 kam es zur Auf­stel­lung des Copernicus-Denkmals in War­schau. Den Ent­wurf lie­fer­te der däni­schen Künst­ler Ber­tel Thor­vald­sen, die Inschrift auf dem Sockel brach­te auf Latei­nisch »den Dank des Vater­lan­des« an Coper­ni­cus zum Aus­druck – des pol­ni­schen natür­lich, wie eine zwei­te Inschrift auf Pol­nisch zu ver­ste­hen gab: »Dem Nico­laus Coper­ni­cus von sei­nen Landsleuten«.

Ein deut­scher Zugriff auf Coper­ni­cus ließ nicht lan­ge auf sich war­ten, er bil­de­te sich eben­falls erst mit dem ent­ste­hen­den Natio­nal­be­wusst­sein her­aus. In der vom baye­ri­schen König Lud­wig I. in Auf­trag gege­be­nen Wal­hal­la bei Regens­burg, gedacht als Ruh­mes­hal­le einer als Staat noch nicht bestehen­den deut­schen Nati­on, war seit der Eröff­nung im Jahr 1842 auch eine Copernicus-Büste zu sehen, die der Ber­li­ner Bild­hau­er Johann Gott­fried Scha­dow ange­fer­tigt hat­te. In Thorn hat­te sich weni­ge Jah­re zuvor ein »Copernicus-Verein« zur Auf­stel­lung eines Denk­mals gegrün­det. Er erreich­te sein Ziel im Jahr 1853, als an einer Ecke des Thor­ner Rat­hau­ses ein bron­ze­nes Copernicus-Standbild nach einem Ent­wurf von Chris­ti­an Fried­rich Tieck errich­tet wur­de. Im Gegen­satz zu sei­nem Pen­dant in War­schau kam das Thor­ner Denk­mal noch ohne einen Hin­weis auf eine Natio­na­li­tät des Coper­ni­cus aus.

Aus dem Thor­ner Denk­mal­ko­mi­tee war nach der Erfül­lung sei­nes Zwe­ckes der »Copernicus-Verein für Wis­sen­schaft und Kunst zu Thorn« her­vor­ge­gan­gen. Zur trei­ben­den Kraft des Ver­eins wur­de der Gym­na­si­al­leh­rer Leo­pold Pro­we, der 1883/84 eine zwei­bän­di­ge Copernicus-Biographie vor­le­gen konn­te. Die umfang­rei­chen Bän­de waren eine bemer­kens­wer­te wis­sen­schaft­li­che Errun­gen­schaft. Der preu­ßi­sche Kul­tus­mi­nis­ter hat­te Pro­we »nicht nur die nöti­ge Muße, son­dern auch die erfor­der­li­chen Geld­mit­tel« gewährt, um unter ande­rem in Schwe­den Archiv­stu­di­en zu betrei­ben, wohin vie­le Doku­men­te zum Leben von Coper­ni­cus im 17. Jahr­hun­dert gelangt waren. Pro­wes Arbeit gilt, wie der Mün­che­ner Wis­sen­schafts­his­to­ri­ker Andre­as Küh­ne anmerkt, »bis heu­te als das Stan­dard­werk der Copernicus-Biographik«, das sich zudem durch »den libe­ra­len, kei­ner natio­na­len oder kon­fes­sio­nel­len Ideo­lo­gie ver­pflich­te­ten Stand­ort des Autors« auszeichne.

Als sich nach Grün­dung des Deut­schen Kai­ser­reichs die Bemü­hun­gen um eine Domi­nanz der deut­schen Kul­tur in den »Grenz­mar­ken« im Osten inten­si­vier­ten, wur­de auch im Umfeld des Thor­ner »Coppernicus-Vereins« – er ver­wen­de­te nun die Schreib­wei­se mit Doppel‑p als die ver­meint­lich authen­ti­sche­re – mehr und mehr eine ein­deu­ti­ge deut­sche Her­kunft des Astro­no­men behaup­tet. Im 20. Jahr­hun­dert kam es dann, wie die Kul­tur­wis­sen­schaft­le­rin Eli­sa­beth Rit­ter schreibt, auf deut­scher wie auf pol­ni­scher Sei­te zu einer wei­te­ren »Radi­ka­li­sie­rung der Aneig­nungs­stra­te­gien« in Bezug auf Coper­ni­cus. Die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Füh­rung schließ­lich ließ im Zuge ihres Erobe­rungs­krie­ges in Polen mit Publi­ka­tio­nen und Ver­an­stal­tun­gen plan­mä­ßig das »Deutsch­tum« des Coper­ni­cus her­aus­stel­len. Über sei­ne Zuge­hö­rig­keit bestand auch für die Dich­te­rin Agnes Mie­gel nicht der gerings­te Zwei­fel. In einem 1940 ver­öf­fent­lich­ten Gedicht leg­te sie Coper­ni­cus die Wor­te in den Mund: »Kennt Ihr so wenig den Stamm, dar­aus ich ent­spros­sen? / Mei­nes Grenz­landes Geschick – kennt Ihr es nicht?« Wer hier sprach, konn­te im Rah­men einer Gedicht­samm­lung, die den Titel Ost­land trug, nie­mand ande­res sein als »Niklaus Kop­per­nigk ich, Deut­sche, ein Deut­scher wie ihr!« Von dem his­to­ri­schen Nico­laus Coper­ni­cus ist aller­dings eine ganz ande­re Aus­sa­ge über­lie­fert: Als das Bis­tum Erm­land im Rah­men des »Rei­ter­krie­ges« 1520 vom Deut­schen Orden ange­grif­fen wur­de, bat Coper­ni­cus in einem Brief an den pol­ni­schen König Sigis­mund I. als treu­er Unter­tan um Schutz und Unterstützung. 

Copernicus  als Westpreuße

Nach dem Zwei­ten Welt­krieg mil­der­te sich die­ser deutsch-polnische Kon­flikt um Coper­ni­cus ab. Die alten Gegen­sät­ze blie­ben jedoch wei­ter­hin wirk­sam, wie ins­be­son­de­re ein Blick auf die Fei­ern zum 500. Geburts­tag des Gelehr­ten im Jahr 1973 zeigt. Die Volks­re­pu­blik Polen fei­er­te das Jubi­lä­um mit gro­ßem Auf­wand. Die Quel­len­for­schung wur­de vor­an­ge­bracht, Autoren wie der His­to­ri­ker Mari­an Bisk­up schu­fen damit eine neue Grund­la­ge für die Beschäf­ti­gung mit Coper­ni­cus. Durch­aus mit Nach­druck ver­wies Bisk­up dabei auf die Bele­ge, die dafür sprä­chen, dass Coper­ni­cus sich »voll und ganz den Namen eines guten Staats­bür­gers sei­nes Hei­mat­lan­des« – womit das König­li­che Preu­ßen gemeint ist – »und damit auch des gesam­ten pol­ni­schen Staa­tes ver­dient« habe. Polen soll­te als das »Hei­mat­land von Coper­ni­cus« auch inter­na­tio­nal an Repu­ta­ti­on gewin­nen, wie zahl­rei­che ins Eng­li­sche über­setz­te Publi­ka­tio­nen bele­gen. Zu den Höhe­punk­ten des Jubi­lä­ums­jah­res gehör­te außer­dem ein auf­wän­di­ger Spiel­film, an dem Mari­an Bisk­up als Bera­ter mit­ge­wirkt hatte.

In der DDR, wo Coper­ni­cus mit Rück­sicht auf das »Bru­der­land« Polen unmiss­ver­ständ­lich als »pol­ni­scher Gelehr­ter« zu gel­ten hat­te, waren vie­le For­scher zudem bemüht, Coper­ni­cus als Vor­läu­fer der staat­lich vor­ge­ge­be­nen mate­ria­lis­ti­schen Welt­an­schau­ung dar­zu­stel­len. Die herr­schen­de kirch­li­che Dok­trin sei­ner Zeit habe Coper­ni­cus dem­zu­fol­ge mit­tels empi­ri­scher Wis­sen­schaft anstel­le von gelehr­ter Spe­ku­la­ti­on über­wun­den. Was dabei über­gan­gen wur­de: Das helio­zen­tri­sche Modell hat­te der Kir­chen­mann Coper­ni­cus aus geo­me­tri­schen Über­le­gun­gen abge­lei­tet, die mit ver­gleichs­wei­se weni­gen astro­no­mi­schen Beob­ach­tun­gen aus­ka­men. Bewei­sen konn­te er sei­ne Annah­men nicht – das wur­de erst im 19. Jahr­hun­dert möglich.

Bei den eben­falls umfang­rei­chen Copernicus-Feierlichkeiten in der Bun­des­re­pu­blik gab es kei­ne der­art ein­deu­ti­gen Schwer­punk­te. Als all­ge­mei­ner Rah­men bot sich in der wirt­schafts­star­ken Bon­ner Repu­blik die Idee des wissenschaftlich-technischen Fort­schrit­tes an. Auch das ame­ri­ka­ni­sche Raum­fahrt­pro­gramm und die bis in das Jahr 1972 fort­ge­setz­ten Mond­lan­dun­gen der NASA schei­nen ein Inter­es­se an Coper­ni­cus geför­dert zu haben. Für einen Akteur aber war das Jubi­lä­um von gera­de­zu exis­ten­zi­el­ler Bedeu­tung: Die Lands­mann­schaft West­preu­ßen erkann­te dar­in eine Chan­ce, um ihr nun zu Polen gehö­ren­des Bezugs­ge­biet ver­mit­telt über den in Thorn gebo­re­nen Coper­ni­cus aufs Neue im kol­lek­ti­ven Gedächt­nis der Bun­des­re­pu­blik zu ver­an­kern. In lands­mann­schaft­li­chen Krei­sen wur­de daher bereits ab Mit­te der sech­zi­ger Jah­re dis­ku­tiert, wel­che Mit­tel dafür genutzt wer­den könn­ten. In der in Müns­ter ange­sie­del­ten Copernicus-Vereinigung, die sich auch als Nach­fol­ge­rin des alten Thor­ner Ver­eins eta­blier­te, war zunächst an ein neu­es Copernicus-Denkmal gedacht wor­den. Bald dar­auf glaub­te man aber zu erken­nen, dass »die Zeit Denk­mä­lern abhold war« und die­se Art des Erin­nerns nicht zu der gewünsch­ten moder­nen »Öffent­lich­keits­ar­beit« passte.

In den ver­schie­de­nen Gre­mi­en, die zur Vor­be­rei­tung des Jubi­lä­ums­jah­res 1973 gegrün­det wur­den, waren immer auch lands­mann­schaft­li­che Ver­tre­ter prä­sent. Bei Fei­er­stun­den und Vor­trä­gen über Coper­ni­cus tra­ten lands­mann­schaft­li­che Grup­pie­run­gen als loka­le Ver­an­stal­ter auf. Son­der­dru­cke des Copernicus-Schwerpunktes aus dem Westpreußen-Jahrbuch wur­den Schu­len zur Ver­fü­gung gestellt, und der Mün­che­ner Astro­nom Felix Schmeid­ler erhielt 1973 den Kul­tur­preis der Lands­mann­schaft West­preu­ßen. Schmeid­lers fach­wis­sen­schaft­li­che For­schung wur­de von der Lands­mann­schaft als »Ehrung und Wür­di­gung unse­res Lands­man­nes« Coper­ni­cus ver­stan­den. Für Feli­ci­an Prill, den dama­li­gen Bun­des­spre­cher der Lands­mann­schaft West­preu­ßen, war Coper­ni­cus der »größ­te Sohn des Weich­sel­lan­des« und damit zugleich ein Ver­tre­ter der »lan­gen Geschich­te West­preu­ßens« – obwohl die­ses West­preu­ßen, die Hei­mat, auf die die Lands­mann­schaft sich bezog, erst mehr als 200 Jah­re nach dem Tod von Coper­ni­cus Gestalt annahm. 

Sogar eine Art Copernicus-Denkmal brach­te das Jubi­lä­ums­jahr schließ­lich noch her­vor. Bei dem Bild­hau­er Georg Fuhg gab die Lands­mann­schaft ein zwei Meter brei­tes Bron­ze­re­li­ef in Auf­trag. Fuhg pass­te auch in Bezug auf sei­ne Her­kunft zu die­ser Auf­ga­be, er stamm­te aus dem ost­preu­ßi­schen Mehl­sack. Nico­laus Coper­ni­cus hat sich dort häu­fig auf­ge­hal­ten, als er sich im Auf­trag des erm­län­di­schen Dom­ka­pi­tels um Besit­zun­gen in die­ser Gegend zu küm­mern hat­te – eine der vie­len Ver­wal­tungs­auf­ga­ben, die in sei­nem Leben wahr­schein­lich mehr Zeit ein­nah­men als die Astro­no­mie. Fuhgs Reli­ef wur­de dem Land­schafts­ver­band Westfalen-Lippe als Leih­ga­be über­reicht und ist noch heu­te im Lan­des­haus in Müns­ter zu sehen. Die eigen­tüm­li­che Dar­stel­lung zeigt die Son­ne und die fünf in der Frü­hen Neu­zeit bekann­ten Pla­ne­ten Mer­kur, Venus, Mars, Jupi­ter und Saturn. Die Erde jedoch, die Coper­ni­cus unter die Pla­ne­ten ein­ge­reiht hat­te, sie fehlt hier. Statt­des­sen lau­fen von der Son­ne aus­ge­hen­de Strah­len auf klei­ne Stadt­sil­hou­et­ten zu. Sie reprä­sen­tie­ren die Lebens­sta­tio­nen von Coper­ni­cus, dar­un­ter Kra­kau und die ita­lie­ni­schen Uni­ver­si­täts­städ­te Bolo­gna, Padua und Fer­ra­ra. Als maß­geb­li­che Anfangs- und End­punk­te die­ser Rei­he sind aber natür­lich Thorn in West- und Frau­en­burg in Ost­preu­ßen erkenn­bar, zudem noch Allen­stein und Heils­berg im his­to­ri­schen Bis­tum Erm­land, wo Coper­ni­cus sich eben­falls für län­ge­re Zeit auf­ge­hal­ten hat.

Im Copernicus-Jubiläumsjahr 2023 kann man sich ein­mal mehr fra­gen: Was ist hier eigent­lich zu sehen? Über die Geschich­te der Astro­no­mie sagt das Reli­ef wenig aus. Dafür kann man hier etwas ler­nen über die Arbeit an einer Erin­ne­rungs­kul­tur. Unbe­ab­sich­tigt und doch sehr deut­lich zeigt die Dar­stel­lung von Georg Fuhg: Hier wer­den Ver­knüp­fun­gen her­ge­stellt, die Per­son des Nico­laus Coper­ni­cus, der Kos­mos und das kul­tu­rel­le Erbe West- und Ost­preu­ßen haben in die­ser Sicht­wei­se etwas Wesent­li­ches mit­ein­an­der zu tun. Fast erscheint es, als über­strahl­te die­ses Bild sogar den eigent­li­chen Inhalt der koper­ni­ka­ni­schen Revo­lu­ti­on, den astro­no­mi­schen Per­spek­tiv­wech­sel. – Viel­leicht stärkt auch solch eine Beob­ach­tung das Ver­ständ­nis für die »neue« Geschich­te, deren Zeit heu­te gekom­men ist: Sie han­delt von einem bewuss­te­ren Umgang mit alten Heldenerzählungen.