Vor 550 Jahren wurde in Thorn der Astronom Nicolaus Copernicus geboren
Von Alexander Kleinschrodt
Dass es Copernicus war, der die Erde »aus dem Mittelpunkt des Universums vertrieben« hat, gilt als Teil der Allgemeinbildung. Zu seinem Leben und seiner Arbeit sind nach rund zweihundert Jahren intensiver Forschung viele Fakten bekannt. Dafür drängen sich inzwischen neue Fragen auf: Welches Wissen hat die Gesellschaft von der Wissenschaft und deren Geschichte? Und welche Bedeutung erhielt Copernicus in den Jahrhunderten nach seinem Tod zugeschrieben?
Eine Figur der Weltgeschichte
Zumindest in einem Punkt sind sich bei diesem Thema nahezu alle einig: Der Astronom Nicolaus Copernicus, geboren am 19. Februar 1473 in Thorn im Königlichen Preußen, ist eine Figur der Weltgeschichte. Copernicus begründete den Heliozentrismus, er setzte die Sonne in den Mittelpunkt unseres Planetensystems, den man bis dahin in Europa genauso wie im Nahen Osten und in China selbstverständlich der Erde eingeräumt hatte. In der Bibel, im Psalm 104,5, heißt es: »Du hast die Erde auf Pfeiler gegründet, in alle Ewigkeit wird sie nicht wanken.« Doch Copernicus beschrieb die Erde als einen bewegten Himmelskörper, der die Sonne umkreist, obwohl diese Bewegung mit den menschlichen Sinnen nicht direkt wahrgenommen werden kann. So wurde es ihm möglich, alle die »scheinbar so verschiedenen Bewegungen am Himmel« nur »durch die Bewegungen der Erde« zu erklären, wie er in dem sogenannten Commentariolus darlegte, einer kleinen, zu seinen Lebzeiten unveröffentlichten Schrift, von der erst Ende des 19. Jahrhunderts Kopien entdeckt wurden.
Heute, im Zeitalter der Globalisierung und der Raumfahrt, scheint Copernicus präsenter zu sein denn je: Porträts des frühneuzeitlichen Gelehrten, der im Jahr 1543 gestorben ist, finden sich in vielen Staaten auf Briefmarken oder Münzen. Im Jahr 2010 erhielt das chemische Element mit der Ordnungsnummer 112 im Periodensystem den Namen »Copernicium«, und seit einiger Zeit wird die Erde von den Satelliten des europäischen Copernicus-Programms umkreist. Zum 550. Geburtstag des bahnbrechenden Astronomen sind in diesem Jahr zahlreiche Veranstaltungen und Medienbeiträge zu erwarten.
Der historische Rahmen
Doch wer oder was wird hier eigentlich gefeiert? Was hat Copernicus tatsächlich geleistet? Wie wurden seine wissenschaftlichen Ergebnisse im 16. Jahrhundert aufgefasst? Um hier zu Antworten zu kommen, braucht es eine genauere Betrachtung, die dann aber häufig quersteht zum populären Copernicus der Weltgeschichtsschreibung. Ein Beispiel dafür lieferte der Theologe Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., während seiner Zeit an der Universität Regensburg. 1969 setzte er sich in einem noch heute lesenswerten Artikel mit dem Verhältnis von Schöpfungsglauben und modernen Naturwissenschaften auseinander. Copernicus sah Ratzinger hierbei – ebenso wie Charles Darwin, den Begründer der Evolutionstheorie – als verantwortlich für »eine Revolution des Weltbildes«: Mit ihr habe er nicht nur die Erde entthront, sondern auch »die Dimensionen des Weltalls immer mehr ins Grenzenlose« erweitert.
Doch das ist so nicht richtig. Zwar erfand Copernicus gewissermaßen das Sonnensystem in der heute bekannten Form, jenseits davon aber blieb er beim tradierten Wissen seiner Vorgänger: Die Planeten sollten laut dieser Lehre von einer Kugelschale umgeben sein, an der sich alle Sterne befänden und mit der der Kosmos abgeschlossen sei. Von Grenzenlosigkeit kann also keine Rede sein. Die Idee eines extrem ausgedehnten Universums, wie es die heutige Astrophysik beschreibt, drängte sich zur Zeit von Copernicus ohnehin nicht auf. Fernrohre kamen erst nach 1600 in Gebrauch, so dass ihm ausschließlich die sogenannte »freiäugige Beobachtung« ohne optische Hilfsmittel möglich war. Unter besten Bedingungen hätte Copernicus so am Himmel der Nordhalbkugel rund 3.000 Sterne erkennen können, die man gedanklich wohl noch recht gut in einer umgrenzten Welt unterbringen konnte. Tatsächlich werden für ihn noch deutlich weniger Sterne sichtbar gewesen sein. In seiner Schrift De Revolutionibus Orbium Coelestium (Über die himmlischen Umschwünge), mit der er das heliozentrische Modell an die Öffentlichkeit brachte, beklagte sich Copernicus über das Wetter im ermländischen Küstenort Frauenburg, wo er den größten Teil seines Lebens verbrachte: Die häufigen Nebel über dem Frischen Haff hätten ihm die Arbeit schwerer gemacht als den antiken Astronomen, die in trockeneren Regionen hätten arbeiten dürfen.
Ob Copernicus tatsächlich das Weltbild der katholischen Kirche auf den Kopf gestellt hat, wie noch heute immer wieder behauptet wird, kann man bezweifeln. Copernicus selbst war ein Mann der Kirche; in seinem Dienst als Kanoniker des ermländischen Domkapitels erwarb er sich großes Ansehen. Zwischen seiner neuen Kosmologie und den Lehren der Kirche bestand für Copernicus kein Widerspruch. Dass De Revolutionibus erst 1543, im Todesjahr von Copernicus, veröffentlicht wurde, ist der heutigen Forschung zufolge eher nicht auf eine Angst vor der Inquisition zurückzuführen. Der amerikanische Astronom und Copernicus-Spezialist Owen Gingerich geht vielmehr davon aus, dass Copernicus sein Modell möglichst weit perfektionieren wollte, um sich nicht durch anfechtbare Annahmen vor der Gelehrtenwelt zu blamieren. In Rom hatte man noch über Jahrzehnte keinen eindeutigen Standpunkt zur kopernikanischen Lehre. Das änderte sich erst mit dem Konflikt um Galileo Galilei, in dessen Zusammenhang die katholische Kirche 1616 schließlich auch De Revolutionibus auf ihren Index verbotener Schriften setzte.
Das alles zeigt: Die Begeisterung über Nicolaus Copernicus ist nur mit etwas Vorsicht zu genießen. Die Astrophysikerin Sibylle Anderl, die bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das Wissenschaftsressort leitet, sieht Copernicus als den Protagonisten einer immer wieder neu erzählten »Heldengeschichte«, in der sich viele Menschen wiederfinden könnten. Doch »das Bild, das man sich von den großen historischen Wissenschaftlern macht, hat mit den historischen Fakten meist wenig zu tun«, sagt Anderl: Die unübersichtlichen Kontexte der jeweiligen Zeit würden tendenziell ausgeblendet, stattdessen prägten unvermeidlicherweise die Interessen der Gegenwart den Blick in die Vergangenheit.
Heldengeschichten der Erinnerungskultur
Auf diese Weise werden zu einer historischen Persönlichkeit wie Copernicus nach und nach neue Verknüpfungen hergestellt – ein Prozess, den man als die Formierung einer »Erinnerungskultur« verstehen kann. Im Fall von Copernicus trat hierbei für lange Zeit eine einzelne Frage stark in den Vordergrund, die mit Astronomie wenig zu tun hatte: War Copernicus Pole oder Deutscher? Von heute her erscheint diese Frage falsch gestellt, nicht nur weil sie in einem vereinten Europa vielleicht gar nicht so wichtig sein müsste; vielmehr gab es zur Zeit von Copernicus keine Nationalstaaten im modernen Sinne, mit einer als homogen angesehenen und nur eine einzige Landessprache sprechenden Bevölkerung. Copernicus entstammte einer deutschsprachigen Kaufmannsfamilie, er wuchs auf in der Stadtrepublik Thorn, die sich als Teil des königlichen Preußen freiwillig der polnischen Krone unterstellt hatte, und beherrschte selbstverständlich auch die polnische Sprache. Das Fürstbistum Ermland mit Copernicus’ späterem Wohnort Frauenburg war ebenfalls an das Königreich Polen angebunden.
Dennoch nahm in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Konflikt um die Nationalität des Copernicus Fahrt auf. Nach der Zweiten Teilung Polen-Litauens Ende des 18. Jahrhunderts gehörten die Städte Thorn und Frauenburg zum Königreich Preußen der Hohenzollern, lagen in den Provinzen West- beziehungsweise Ostpreußen. Polen dagegen gab es als Staat nicht mehr, weshalb sich die nun in Russland, Preußen und der Habsburgermonarchie lebenden Polen ihrer eigenen Identität zu vergewissern suchten. Dabei fiel der Blick auf die Geschichte – und naheliegenderweise auch auf Nicolaus Copernicus. Für den Gelehrten aus dem alten Preußenland bürgerte sich in der polnischsprachigen Öffentlichkeit die Namensschreibweise Mikołaj Kopernik ein, er wurde zu einem Merkpunkt im kollektiven Gedächtnis der Polen, so dass auch das Bedürfnis nach einem greifbaren Erinnerungsort entstand. Im Jahr 1830 kam es zur Aufstellung des Copernicus-Denkmals in Warschau. Den Entwurf lieferte der dänischen Künstler Bertel Thorvaldsen, die Inschrift auf dem Sockel brachte auf Lateinisch »den Dank des Vaterlandes« an Copernicus zum Ausdruck – des polnischen natürlich, wie eine zweite Inschrift auf Polnisch zu verstehen gab: »Dem Nicolaus Copernicus von seinen Landsleuten«.
Ein deutscher Zugriff auf Copernicus ließ nicht lange auf sich warten, er bildete sich ebenfalls erst mit dem entstehenden Nationalbewusstsein heraus. In der vom bayerischen König Ludwig I. in Auftrag gegebenen Walhalla bei Regensburg, gedacht als Ruhmeshalle einer als Staat noch nicht bestehenden deutschen Nation, war seit der Eröffnung im Jahr 1842 auch eine Copernicus-Büste zu sehen, die der Berliner Bildhauer Johann Gottfried Schadow angefertigt hatte. In Thorn hatte sich wenige Jahre zuvor ein »Copernicus-Verein« zur Aufstellung eines Denkmals gegründet. Er erreichte sein Ziel im Jahr 1853, als an einer Ecke des Thorner Rathauses ein bronzenes Copernicus-Standbild nach einem Entwurf von Christian Friedrich Tieck errichtet wurde. Im Gegensatz zu seinem Pendant in Warschau kam das Thorner Denkmal noch ohne einen Hinweis auf eine Nationalität des Copernicus aus.
Aus dem Thorner Denkmalkomitee war nach der Erfüllung seines Zweckes der »Copernicus-Verein für Wissenschaft und Kunst zu Thorn« hervorgegangen. Zur treibenden Kraft des Vereins wurde der Gymnasiallehrer Leopold Prowe, der 1883/84 eine zweibändige Copernicus-Biographie vorlegen konnte. Die umfangreichen Bände waren eine bemerkenswerte wissenschaftliche Errungenschaft. Der preußische Kultusminister hatte Prowe »nicht nur die nötige Muße, sondern auch die erforderlichen Geldmittel« gewährt, um unter anderem in Schweden Archivstudien zu betreiben, wohin viele Dokumente zum Leben von Copernicus im 17. Jahrhundert gelangt waren. Prowes Arbeit gilt, wie der Münchener Wissenschaftshistoriker Andreas Kühne anmerkt, »bis heute als das Standardwerk der Copernicus-Biographik«, das sich zudem durch »den liberalen, keiner nationalen oder konfessionellen Ideologie verpflichteten Standort des Autors« auszeichne.
Als sich nach Gründung des Deutschen Kaiserreichs die Bemühungen um eine Dominanz der deutschen Kultur in den »Grenzmarken« im Osten intensivierten, wurde auch im Umfeld des Thorner »Coppernicus-Vereins« – er verwendete nun die Schreibweise mit Doppel‑p als die vermeintlich authentischere – mehr und mehr eine eindeutige deutsche Herkunft des Astronomen behauptet. Im 20. Jahrhundert kam es dann, wie die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Ritter schreibt, auf deutscher wie auf polnischer Seite zu einer weiteren »Radikalisierung der Aneignungsstrategien« in Bezug auf Copernicus. Die nationalsozialistische Führung schließlich ließ im Zuge ihres Eroberungskrieges in Polen mit Publikationen und Veranstaltungen planmäßig das »Deutschtum« des Copernicus herausstellen. Über seine Zugehörigkeit bestand auch für die Dichterin Agnes Miegel nicht der geringste Zweifel. In einem 1940 veröffentlichten Gedicht legte sie Copernicus die Worte in den Mund: »Kennt Ihr so wenig den Stamm, daraus ich entsprossen? / Meines Grenzlandes Geschick – kennt Ihr es nicht?« Wer hier sprach, konnte im Rahmen einer Gedichtsammlung, die den Titel Ostland trug, niemand anderes sein als »Niklaus Koppernigk ich, Deutsche, ein Deutscher wie ihr!« Von dem historischen Nicolaus Copernicus ist allerdings eine ganz andere Aussage überliefert: Als das Bistum Ermland im Rahmen des »Reiterkrieges« 1520 vom Deutschen Orden angegriffen wurde, bat Copernicus in einem Brief an den polnischen König Sigismund I. als treuer Untertan um Schutz und Unterstützung.
Copernicus als Westpreuße
Nach dem Zweiten Weltkrieg milderte sich dieser deutsch-polnische Konflikt um Copernicus ab. Die alten Gegensätze blieben jedoch weiterhin wirksam, wie insbesondere ein Blick auf die Feiern zum 500. Geburtstag des Gelehrten im Jahr 1973 zeigt. Die Volksrepublik Polen feierte das Jubiläum mit großem Aufwand. Die Quellenforschung wurde vorangebracht, Autoren wie der Historiker Marian Biskup schufen damit eine neue Grundlage für die Beschäftigung mit Copernicus. Durchaus mit Nachdruck verwies Biskup dabei auf die Belege, die dafür sprächen, dass Copernicus sich »voll und ganz den Namen eines guten Staatsbürgers seines Heimatlandes« – womit das Königliche Preußen gemeint ist – »und damit auch des gesamten polnischen Staates verdient« habe. Polen sollte als das »Heimatland von Copernicus« auch international an Reputation gewinnen, wie zahlreiche ins Englische übersetzte Publikationen belegen. Zu den Höhepunkten des Jubiläumsjahres gehörte außerdem ein aufwändiger Spielfilm, an dem Marian Biskup als Berater mitgewirkt hatte.
In der DDR, wo Copernicus mit Rücksicht auf das »Bruderland« Polen unmissverständlich als »polnischer Gelehrter« zu gelten hatte, waren viele Forscher zudem bemüht, Copernicus als Vorläufer der staatlich vorgegebenen materialistischen Weltanschauung darzustellen. Die herrschende kirchliche Doktrin seiner Zeit habe Copernicus demzufolge mittels empirischer Wissenschaft anstelle von gelehrter Spekulation überwunden. Was dabei übergangen wurde: Das heliozentrische Modell hatte der Kirchenmann Copernicus aus geometrischen Überlegungen abgeleitet, die mit vergleichsweise wenigen astronomischen Beobachtungen auskamen. Beweisen konnte er seine Annahmen nicht – das wurde erst im 19. Jahrhundert möglich.
Bei den ebenfalls umfangreichen Copernicus-Feierlichkeiten in der Bundesrepublik gab es keine derart eindeutigen Schwerpunkte. Als allgemeiner Rahmen bot sich in der wirtschaftsstarken Bonner Republik die Idee des wissenschaftlich-technischen Fortschrittes an. Auch das amerikanische Raumfahrtprogramm und die bis in das Jahr 1972 fortgesetzten Mondlandungen der NASA scheinen ein Interesse an Copernicus gefördert zu haben. Für einen Akteur aber war das Jubiläum von geradezu existenzieller Bedeutung: Die Landsmannschaft Westpreußen erkannte darin eine Chance, um ihr nun zu Polen gehörendes Bezugsgebiet vermittelt über den in Thorn geborenen Copernicus aufs Neue im kollektiven Gedächtnis der Bundesrepublik zu verankern. In landsmannschaftlichen Kreisen wurde daher bereits ab Mitte der sechziger Jahre diskutiert, welche Mittel dafür genutzt werden könnten. In der in Münster angesiedelten Copernicus-Vereinigung, die sich auch als Nachfolgerin des alten Thorner Vereins etablierte, war zunächst an ein neues Copernicus-Denkmal gedacht worden. Bald darauf glaubte man aber zu erkennen, dass »die Zeit Denkmälern abhold war« und diese Art des Erinnerns nicht zu der gewünschten modernen »Öffentlichkeitsarbeit« passte.
In den verschiedenen Gremien, die zur Vorbereitung des Jubiläumsjahres 1973 gegründet wurden, waren immer auch landsmannschaftliche Vertreter präsent. Bei Feierstunden und Vorträgen über Copernicus traten landsmannschaftliche Gruppierungen als lokale Veranstalter auf. Sonderdrucke des Copernicus-Schwerpunktes aus dem Westpreußen-Jahrbuch wurden Schulen zur Verfügung gestellt, und der Münchener Astronom Felix Schmeidler erhielt 1973 den Kulturpreis der Landsmannschaft Westpreußen. Schmeidlers fachwissenschaftliche Forschung wurde von der Landsmannschaft als »Ehrung und Würdigung unseres Landsmannes« Copernicus verstanden. Für Felician Prill, den damaligen Bundessprecher der Landsmannschaft Westpreußen, war Copernicus der »größte Sohn des Weichsellandes« und damit zugleich ein Vertreter der »langen Geschichte Westpreußens« – obwohl dieses Westpreußen, die Heimat, auf die die Landsmannschaft sich bezog, erst mehr als 200 Jahre nach dem Tod von Copernicus Gestalt annahm.
Sogar eine Art Copernicus-Denkmal brachte das Jubiläumsjahr schließlich noch hervor. Bei dem Bildhauer Georg Fuhg gab die Landsmannschaft ein zwei Meter breites Bronzerelief in Auftrag. Fuhg passte auch in Bezug auf seine Herkunft zu dieser Aufgabe, er stammte aus dem ostpreußischen Mehlsack. Nicolaus Copernicus hat sich dort häufig aufgehalten, als er sich im Auftrag des ermländischen Domkapitels um Besitzungen in dieser Gegend zu kümmern hatte – eine der vielen Verwaltungsaufgaben, die in seinem Leben wahrscheinlich mehr Zeit einnahmen als die Astronomie. Fuhgs Relief wurde dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe als Leihgabe überreicht und ist noch heute im Landeshaus in Münster zu sehen. Die eigentümliche Darstellung zeigt die Sonne und die fünf in der Frühen Neuzeit bekannten Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn. Die Erde jedoch, die Copernicus unter die Planeten eingereiht hatte, sie fehlt hier. Stattdessen laufen von der Sonne ausgehende Strahlen auf kleine Stadtsilhouetten zu. Sie repräsentieren die Lebensstationen von Copernicus, darunter Krakau und die italienischen Universitätsstädte Bologna, Padua und Ferrara. Als maßgebliche Anfangs- und Endpunkte dieser Reihe sind aber natürlich Thorn in West- und Frauenburg in Ostpreußen erkennbar, zudem noch Allenstein und Heilsberg im historischen Bistum Ermland, wo Copernicus sich ebenfalls für längere Zeit aufgehalten hat.
Im Copernicus-Jubiläumsjahr 2023 kann man sich einmal mehr fragen: Was ist hier eigentlich zu sehen? Über die Geschichte der Astronomie sagt das Relief wenig aus. Dafür kann man hier etwas lernen über die Arbeit an einer Erinnerungskultur. Unbeabsichtigt und doch sehr deutlich zeigt die Darstellung von Georg Fuhg: Hier werden Verknüpfungen hergestellt, die Person des Nicolaus Copernicus, der Kosmos und das kulturelle Erbe West- und Ostpreußen haben in dieser Sichtweise etwas Wesentliches miteinander zu tun. Fast erscheint es, als überstrahlte dieses Bild sogar den eigentlichen Inhalt der kopernikanischen Revolution, den astronomischen Perspektivwechsel. – Vielleicht stärkt auch solch eine Beobachtung das Verständnis für die »neue« Geschichte, deren Zeit heute gekommen ist: Sie handelt von einem bewussteren Umgang mit alten Heldenerzählungen.