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Begeistert, aber nicht immer zufrieden

Bereits seit dem 19. Jahrhundert zog Danzig viele Touristen an. Denen, die ab den 1920er Jahren schon mit einer Kamera reisten, half ein spezieller Plan dabei, die Stadt wunschgemäß abzulichten.

Der Grund­riss der Dan­zi­ger Recht­stadt lässt sich auf dem etwas ver­gilb­ten Plan noch direkt erken­nen. Wäre man aller­dings nicht in der Lage, die deutsch­spra­chi­gen Erläu­te­run­gen auf die­sem Doku­ment zu lesen – sei­ne Funk­ti­on lie­ße sich heu­te womög­lich nicht mehr auf Anhieb erra­ten. Ein wenig erin­nert das aus zwei über­ein­an­der geleg­ten Blät­tern bestehen­de Stück, das zur Samm­lung des klei­nen, pri­vat betrie­be­nen Muse­ums der Frei­en Stadt Dan­zig (Muze­um Wol­ne Mias­to Gdańsk) gehört, an eine Stern­kar­te. Zumin­dest der Lauf der Son­ne spielt hier auch tat­säch­lich eine ent­schei­den­de Rolle.

Dan­zig im bes­ten Licht ist der Titel die­ses in den 1930er Jah­ren auf­ge­leg­ten Stadt­plans, der sich auf­ge­klappt bequem in einer Hand hal­ten lässt. Erst in der Unter­zei­le offen­bart die Kar­te schließ­lich ihren Sinn :  Sie ist gedacht als ein »Füh­rer für Licht­bild­freun­de«, war also an Ama­teur­fo­to­gra­fen gerich­tet. Deut­lich im Vor­der­grund ste­hen in die­sem Weg­wei­ser die bekann­tes­ten his­to­ri­schen Bau­wer­ke in der Recht­stadt, als rote Sil­hou­et­ten sind sie in den unte­ren Plan ein­ge­fügt. Sei­ne Beson­der­heit sind die dün­nen Lini­en auf der obe­ren, trans­pa­ren­ten Schicht, mit denen an den ver­schie­de­nen Orten gute Blick­win­kel ange­deu­tet wer­den. Dane­ben ist jeweils eine Uhr­zeit ver­merkt, zu der der Son­nen­stand gelun­ge­ne Bil­der der Attrak­tio­nen ver­spricht. Hart­ge­sot­te­ne konn­ten nach Anwei­sung der Kar­te bereits ab 5 Uhr mor­gens das Upha­gen­haus vor den Fokus rücken.

Wer aber waren die flei­ßi­gen »Licht­bild­freun­de«, denen sich die­ser Rat­ge­ber anemp­fahl ?  Wenn sich etwas über die­se Grup­pe sagen lässt, dann, dass sie damals ste­tig grö­ßer wur­de. In den zwan­zi­ger Jah­ren wur­de die Foto­gra­fie zu einem Mas­sen­me­di­um, und das gleich in dop­pel­ter Hin­sicht. Einer­seits waren in der Pres­se immer mehr foto­gra­fi­sche Bil­der zu sehen, die klas­si­sche Illus­trier­te, also eine mit auf­wen­di­gen Gra­fi­ken bebil­der­te Zeit­schrift, wur­de durch den neu­en Bild­jour­na­lis­mus zu einem Foto­ma­ga­zin. Vor­bil­der für die­je­ni­gen, die selbst Bil­der machen woll­ten, gab es also genug. Als mit der Lei­ca I 1925 die ers­te Klein­bild­ka­me­ra auf den Markt kam und die­se Tech­nik sich immer mehr ver­brei­te­te, gab es dann auch ein hand­li­ches Bild-Werkzeug, das sowohl von Lai­en als auch von Pro­fis benutzt wurde.

Wer im Jahr 1930 nach Dan­zig reis­te, hat­te womög­lich schon das gera­de erschie­ne­ne Buch »Nord­deut­sche Back­stein­do­me« mit den Fotos von Albert Renger-Patzsch gese­hen, einem Pio­nier künst­le­ri­scher Doku­men­tar­fo­to­gra­fie, des­sen Bil­der heu­te in den wich­tigs­ten Muse­en der Welt zu sehen sind. Ent­hal­ten sind in dem Bild­band zahl­rei­che sachlich-strenge Ansich­ten von Dan­zi­ger Kir­chen, vor allem natür­lich von St. Mari­en. »Licht­bild­freun­de«, die Ähn­li­ches bewerk­stel­li­gen woll­ten, wer­den an Renger-Patzsch wahr­schein­lich über­wie­gend geschei­tert sein und muss­ten fest­stel­len, dass sie des­sen Stan­dards in Sachen Bild­qua­li­tät und Aus­sa­ge­kraft nicht errei­chen konn­ten. Die Fir­ma Kod­ak hat­te zwar schon Ende des 19. Jahr­hun­derts kas­ten­för­mi­ge Kame­ras mit dem Wer­be­spruch »Sie drü­cken den Knopf, wir erle­di­gen den Rest« ver­mark­tet, das aber stimm­te nur im Hin­blick auf den tech­ni­schen Ablauf.

Dass die Ergeb­nis­se auch vor­zeig­bar gerie­ten, war mit den vor­han­de­nen Appa­ra­ten kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit. Begeis­tert von ihrem Hob­by, aber nicht immer zufrie­den mit dem eige­nen Kön­nen, ange­wie­sen auf Fil­me mit noch sehr gerin­ger Licht­emp­find­lich­keit und im Bewusst­sein, dass – anders als mit der heu­ti­gen Digi­tal­tech­no­lo­gie – jeder Abzug einen Preis hat, wer­den vie­le rei­sen­de Ama­teur­fo­to­gra­fen ger­ne jeden Rat­schlag ange­nom­men haben. Wer sich aber der Auto­ri­tät des Danzig-im-­besten-­Licht-Faltplans unter­warf, wur­de leicht vom Erho­lung und Abwechs­lung suchen­den Rei­sen­den zu einem gehetz­ten Jäger und Samm­ler von Foto­mo­ti­ven. Muss man sich also vor­stel­len, dass in Dan­zig etli­che ambi­tio­nier­te Dilet­tan­ten unter­wegs waren, die genau dar­auf ach­te­ten, dass ihre durch­ge­plan­te Foto-Safari um 15 Uhr an der Niko­lai­kir­che Sta­ti­on mach­te, um dann um 16 Uhr vor dem Artus­hof ste­hen zu kön­nen ?  Wir wis­sen es nicht. Klar ist nur :  Wer es tat, war bereit, sei­ne Auf­merk­sam­keit haupt­säch­lich auf eini­ge weni­ge Orte zu beschrän­ken, die schon als Sehens­wür­dig­kei­ten aner­kannt waren. Der Rest der Stadt blieb dann wohl eher Bei­werk. Auf Safa­ris zäh­len eben vor allem die Löwen und die Elefanten.

Waren die Fotos geschos­sen, bot Schil­ling & Co. sei­ne Diens­te an, ein »Spe­zi­al­ge­schäft für Pho­to­gra­phie«, das prak­ti­scher­wei­se unter ande­rem im Hotel Deut­sches Haus am Holz­markt eine Filia­le unter­hielt. Dort wur­den »Ama­teur­ar­bei­ten in kür­zes­ter Zeit sach­ge­mäß und pein­lich sau­ber erle­digt«, so ver­spricht es zumin­dest ein Inse­rat des Unter­neh­mens in einem 1920 ver­öf­fent­lich­ten Gäs­te­füh­rer der Dan­zi­ger Verkehrs-Zentrale. Was wird auf den Abzü­gen zu sehen gewe­sen sein, die die »Licht­bild­freun­de« dort aus­ge­hän­digt beka­men ?  Im bes­ten Fall per­fekt in Sze­ne gesetz­te his­to­ri­sche Fas­sa­den. Nicht im Bild fest­zu­hal­ten war die damals schwie­ri­ge poli­ti­sche Situa­ti­on Dan­zigs als »Freie Stadt«. Selbst den Wan­del der alten Han­se­stadt zu einer – nicht zuletzt auch durch den Tou­ris­mus gepräg­ten – Me­tropole lie­ßen die Fotos wohl nur erah­nen. Zum Bei­spiel, wenn auch der pünkt­lich zur Jahr­hun­dert­wen­de errich­te­te beein­dru­cken­de Haupt­bahn­hof abge­bil­det wur­de. Von sei­ner schöns­ten Sei­te zeigt er sich, auch heu­te noch, kurz nach Sonnenaufgang.

Alex­an­der Kleinschrodt