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»Bauen an der Karriere«. Herrenhäuser und adlige Stiftungen im Preußenland des 17. und 18. Jahrhunderts

Sabi­ne Jagod­zinski hat erforscht, wie sich ein auf Preu­ßen bezo­ge­ner Patrio­tis­mus in reprä­sen­ta­ti­ven Kunst- und Archi­tek­tur­zeug­nis­sen nie­der­ge­schla­gen hat. In Bezug auf das der pol­ni­schen Kro­ne zuge­hö­ri­ge König­li­che Preu­ßen hat sie sich damit einer Lücke in der bis­he­ri­gen For­schung zur Reprä­sen­ta­ti­ons­kul­tur des Adels in der Frü­hen Neu­zeit zugewandt.

Der nüch­ter­ne grü­ne Ein­band lässt noch nicht ahnen, dass es in die­sem Buch durch­aus opu­lent zugeht: Statt­li­che Her­ren­häu­ser, ver­gol­de­te Barock­al­tä­re und auf­wen­dig gewirk­te Grab­fah­nen sind eini­ge der Gegen­stän­de, mit denen sich die Kunst­his­to­ri­ke­rin Sabi­ne Jagod­zinski hier beschäf­tigt – und alles dies gibt es in einem Tafel­teil mit über 100 far­bi­gen Abbil­dun­gen auch zu sehen.

Jagod­zinskis Arbeit ist in einer Publi­ka­ti­ons­rei­he des Deut­schen His­to­ri­schen Insti­tuts War­schau erschie­nen. Sie ist das Ergeb­nis ­eines Teil­pro­jek­tes im dort ange­sie­del­ten For­schungs­be­reich »Regio­na­li­tät und Regi­ons­bil­dung«. Preu­ßen­land, die Regi­on, um die es hier geht, stell­te schon im 16. Jahr­hun­dert kein ein­heit­li­ches Ter­ri­to­ri­um mehr dar. Der west­li­che Lan­des­teil, das »König­li­che Preu­ßen«, war mit der pol­ni­schen Kro­ne ver­bun­den, aus dem öst­lich angren­zen­den Her­zog­tum Preu­ßen ent­wi­ckel­te sich in der Fol­ge das König­reich Preußen.

In den Mit­tel­punkt gestellt hat die Autorin in Prus­siae suae bis pater – zu Deutsch etwa »zwei­fach der Vater sei­nes Preu­ßens« – die Fra­ge nach dem »Lan­des­be­wusst­sein« des Adels wäh­rend des 17. und 18. Jahr­hun­derts. Den Eli­ten von Preu­ßen­land ist immer wie­der zuge­schrie­ben wor­den, dass sie sich in beson­de­rer Wei­se mit ihrer Her­kunfts­re­gi­on iden­ti­fi­ziert hät­ten. Jagod­zinski hat des­halb unter­sucht, wie sich das Selbst­ver­ständ­nis der Adli­gen in der »mate­ri­el­len Reprä­sen­ta­ti­ons­kul­tur, also in Beauf­tra­gung von Bau- und Kunst­wer­ken«, spie­gel­te. Dabei ist gera­de auch der Ver­gleich zwi­schen den bei­den Lan­des­tei­len wich­tig, zumal die dies­be­züg­li­chen Akti­vi­tä­ten des Adels im König­li­chen Preu­ßen bis­her wenig beschrie­ben wor­den sind. In der kom­ple­xen poli­ti­schen Gemenge­la­ge der Regi­on war die­ses »Bau­en an der Kar­rie­re«, wie Jagod­zinski es anschau­lich nennt, aber zugleich immer auch Teil eines noch grö­ße­ren Span­nungs­fel­des, in dem »die Lan­de­si­den­ti­tät durch ande­re Iden­ti­fi­ka­ti­ons­ebe­nen wie z. B. Stand oder Geschlecht, Kon­fes­si­on oder Bin­dung an die Kro­ne ergänzt, ver­stärkt oder über­la­gert wurde«.

Panorama adliger Lebenswelten

Prus­siae suae bis pater zeigt zunächst die typi­schen Merk­ma­le einer hoch­spe­zia­li­sier­ten Fach­pu­bli­ka­ti­on. Es gibt aus­führ­li­che metho­di­sche Vor­über­le­gun­gen, der Fuß­no­ten­ap­pa­rat mit Ver­wei­sen auf die bis­he­ri­ge wis­sen­schaft­li­che Lite­ra­tur nimmt im Ein­füh­rungs­teil häu­fig mehr als die Hälf­te der Druck­sei­ten ein. Die Kennt­nis vie­ler Begrif­fe und Zusam­men­hän­ge wird vor­aus­ge­setzt. Gewis­ser­ma­ßen zwi­schen den Zei­len ent­ste­hen aber auch Ein­drü­cke, die sich zu einem Pan­ora­ma einer his­to­ri­schen Lebens­welt zusam­men­fü­gen. Wie in einem Gesell­schafts­ro­man ist man mit einer Viel­zahl von Namen und Akteu­ren kon­fron­tiert. Exem­pla­risch hat Sabi­ne Jagod­zinski für ihre Arbeit eini­ge ein­fluss­rei­che Adels­fa­mi­li­en aus bei­den Tei­len Preu­ßens aus­ge­wählt. Im König­li­chen Preu­ßen sind das die Häu­ser Prz­eben­dow­ski, Czap­ski und Działyń­ski, im Her­zog­tum die Fami­li­en Doh­na, Finck und Dön­hoff. Von Inter­es­se sind dabei auch die »preußisch-preußischen Kon­tak­te inner­halb der adli­gen Netz­wer­ke über territorial-politische Gren­zen hinweg«.

Unter den Her­ren­häu­sern in bei­den Tei­len Preu­ßens nimmt Adlig Neu­dorf der Fami­lie Czap­ski im Buch recht brei­ten Raum ein, ist es doch eines der weni­gen Bei­spie­le, des­sen »Bau­ge­schich­te rela­tiv lücken­los nach­voll­zo­gen wer­den kann«. Der Ursprungs­bau war ein wehr­haf­ter Wohn­turm des 15. Jahr­hun­derts. Bis zur zwei­ten Hälf­te des 18. Jahr­hun­derts war dar­aus durch mehr­fa­che Um- und Aus­bau­ten eine baro­cker Anla­ge mit einem H‑förmigen Grund­riss gewor­den. Bau­herr Jan Ans­ga­ry Czap­ski habe damit zwar einer­seits auf eine höhe­re reprä­sen­ta­ti­ve Wir­kung gezielt, um »sei­ner wach­sen­den Bedeu­tung« Aus­druck zu ver­lei­hen, doch ande­rer­seits sei stets am Mus­ter eines »ein­fa­chen Land­sit­zes« fest­ge­hal­ten wor­den, um den Ein­druck der »Boden­stän­dig­keit« zu wah­ren. Für die Fra­ge nach der Iden­ti­tät des Adels ist Adlig Neu­dorf des­halb ein cha­rak­te­ris­ti­sches Fall­bei­spiel. Der­sel­be Jan Ans­ga­ry Czap­ski, der im König­li­chen Preu­ßen die Stel­lung eines Kron­schatz­meis­ters inne­hat­te, ließ in Gzin bei Thorn aber bis 1742 auch einen Neu­bau errich­ten, der heu­te nicht mehr erhal­ten ist. Es han­del­te sich um ein Schloss nach Art eines ita­lie­ni­schen Palaz­zo, an dem Jagod­zinski »direk­te Anlei­hen bei römi­schen sakra­len Vor­bil­dern« fest­stellt: Der Gie­bel des Mit­tel­ri­sa­lits gleicht in für die Regi­on unge­wöhn­li­cher Wei­se dem der römi­schen Jesui­ten­kir­che Il Gesú.

Nicht weni­ger aus­sa­ge­kräf­tig war die Aus­stat­tung der Her­ren­häu­ser, so zum Bei­spiel in Schlobit­ten im König­reich Preu­ßen. Auf dem Fami­li­en­sitz der Doh­na sei­en Por­trät­ga­le­rien genutzt wor­den, um »die Ver­knüp­fung von Land und Fami­lie beson­ders auf­fäl­lig« wer­den zu las­sen. Alex­an­der zu Doh­na zeig­te in Schlobit­ten die Por­träts von Fami­li­en­mit­glie­dern zusam­men mit Ange­hö­ri­gen der Hohen­zol­lern, um die ver­wandt­schaft­li­chen Bezie­hun­gen zum Herr­scher­haus zu beto­nen. Auch Gegen­stän­de, deren Sinn heu­te nicht mehr auf Anhieb zu erken­nen ist, spiel­ten eine wich­ti­ge reprä­sen­ta­ti­ve Rol­le. Dazu gehör­ten die unter den adli­gen Eli­ten der Zeit popu­lä­ren Grab­fah­nen, mit denen das Zere­mo­ni­ell eines Begräb­nis­ses fei­er­lich aus­ge­stal­tet wur­de und die danach der Memo­ria dien­ten, der stan­des­be­wusst geplan­ten Erin­ne­rung an den Ver­stor­be­nen. Die latei­ni­sche Losung, die dem Buch den Titel gege­ben hat, stammt von einem sol­chen Stück, das für den 1643 ver­stor­be­nen Paweł Jan Działyń­ski gefer­tigt wor­den ist und sich heu­te im Diö­ze­san­mu­se­um in Thron befindet.

Gleiche Strategien, doch Unterschiede im Detail

Ange­sichts des viel­schich­ti­gen The­mas und der »hete­ro­ge­nen«, also nicht ganz ein­fa­chen Quel­len­la­ge geht es in einer Stu­die wie die­ser nicht ohne Spe­ku­la­ti­on. Die Moti­ve der Adli­gen für Bau­pro­jek­te und Stif­tun­gen las­sen sich in der Regel nur indi­rekt erschlie­ßen. So bewe­gen sich vie­le The­sen der Autorin im unge­si­cher­ten Ter­rain zwi­schen »sicher­lich« und »ist zu bezwei­feln«, bemü­hen sich aber um Zurück­hal­tung, wo zuvor ande­re For­scher »wohl zu weit« gegan­gen sei­en. Die Ergeb­nis­se gestal­ten sich dann auch so klein­tei­lig, dass sie sich hier nicht im Ein­zel­nen wie­der­ge­ben oder gar dis­ku­tie­ren lassen.

Der Ver­gleich zwi­schen den Reprä­sen­ta­ti­ons­kul­tu­ren des Adels im König­li­chen Preu­ßen und dem  Her­zog­tum bzw. spä­te­ren König­reich Preu­ßen zeigt aber, dass in bei­den Ter­ri­to­ri­en nach den »glei­chen Grund­mus­tern« vor­ge­gan­gen wor­den sei, die Dif­fe­ren­zen sich dage­gen in »unter­schied­li­chen Details und unter­schied­li­cher Inten­si­tät« bei der Beauf­tra­gung von Bau- und Kunst­wer­ken zeig­ten. Recht ein­deu­tig fällt der Befund aus, dass es im öst­li­chen Lan­des­teil nach des­sen Erhe­bung zum König­reich Preu­ßen im Jahr 1701 eine inten­si­ve­re Bau­tä­tig­keit gege­ben habe: Die Stan­des­er­hö­hung habe dazu geführt, dass auch adli­ge Fami­li­en mit Bezug zum Herr­scher­haus ihren dem­entspre­chend erhöh­ten Rang dar­zu­stel­len such­ten. Die grö­ße­re sti­lis­ti­sche Viel­falt der adli­gen Bau­ten im König­li­chen Preu­ßen bringt die Autorin mit einer stär­ker aus­ge­präg­ten Unab­hän­gig­keit der Bau­her­ren von der Pol­ni­schen Kro­ne, aber auch mit deren gerin­ge­rer gesamt­staat­li­cher Bedeu­tung zusammen.

Auf­fäl­lig sei­en auch die Unter­schie­de bei den adli­gen Stadt­häu­sern in den Haupt­städ­ten Dan­zig und Königs­berg, obwohl genaue Daten zu den Wohn­sit­zen für bei­de Städ­te nur mit Schwie­rig­kei­ten zu erhe­ben sei­en. In Dan­zig wohn­ten der Adel und die städ­ti­schen Patri­zi­er gewis­ser­ma­ßen als »Nach­barn« neben­ein­an­der, bevor­zugt im sym­bo­li­schen Zen­trum um den Lan­gen Markt her­um. In Königs­berg dage­gen lässt sich – trotz des Ver­lus­tes aller Bau­sub­stanz aus der Frü­hen Neu­zeit – noch nach­wei­sen, dass die adli­gen Fami­li­en ihre Stadt­hö­fe nahe am Schloss des Lan­des­her­ren errich­te­ten. Dem­entspre­chend »domi­nier­te in Königs­berg höfi­sche Kul­tur im städ­ti­schen Rah­men«. Nichts davon jedoch in Dan­zig: Eine fürst­li­che Resi­denz als Zen­trum gab es nicht. War der pol­ni­sche König in der Stadt, was im Lau­fe des 17. und 18. Jahr­hun­derts immer sel­te­ner vor­kam, wur­de ihm sei­tens des Rates eine stan­des­ge­mä­ße Unter­kunft am Lan­gen Markt zur Ver­fü­gung gestellt.

Auch im kirch­li­chen Kon­text ver­such­ten die adli­gen Fami­li­en ihre Posi­tio­nen zu mar­kie­ren. Das geschah in bei­den Tei­len des Preu­ßen­lan­des weni­ger in den gro­ßen Städ­ten als viel­mehr in den Guts- oder Dorf­kir­chen. Im König­li­chen Preu­ßen ent­fal­te­te sich dabei ein »regionsprägende[s] Stif­ter­wir­ken«. Bekennt­nis­se zur katho­li­schen Gegen­re­for­ma­ti­on waren dabei ein wesent­li­cher Inhalt, und der katho­li­sche Adel för­der­te auch den Mari­en­kult, um einer »über­grei­fen­den adli­gen und katho­li­schen Grup­pen­iden­ti­tät« Aus­druck zu ver­lei­hen. Ins­ge­samt schu­fen die adli­gen Fami­li­en damit »einen katho­li­schen Wirk­raum, der Aus­druck ihrer geist­li­chen wie klein-regionalen Iden­ti­fi­ka­ti­on inner­halb des König­li­chen Preu­ßen war«. Die Ver­schie­den­heit der Kon­fes­sio­nen zwi­schen Auf­trag­ge­ber und Künst­ler spiel­te nur eine gerin­ge Rol­le, pro­tes­tan­ti­sche Gold­schmie­de stell­ten zum Bei­spiel präch­ti­ge Strah­len­mons­tran­zen für zah­lungs­kräf­ti­ge katho­li­sche Auf­trag­ge­ber her.

Auch im Her­zog­tum bzw. König­reich Preu­ßen gab es in luthe­ri­schen oder refor­mier­ten Kir­chen Stif­tun­gen der Doh­na, Dön­hoff und Finck, dar­un­ter Kunst­wer­ke, Altä­re und Glo­cken. Eben­so wie im König­li­chen Preu­ßen ent­stan­den Patro­nats­kir­chen, in denen die Adli­gen eine Schirm­herr­schaft über­nah­men, für die Unter­hal­tung der Kir­chen und zum Teil auch die Besol­dung der Pfar­rer auf­ka­men und im Gegen­zug beson­de­re Sitz­plät­ze im Kir­chen­raum sowie gut sicht­ba­re Grab­le­gen erhiel­ten. Ein­fa­che Pfarr­kir­chen konn­ten so zu Mit­tel­punk­ten loka­ler Herr­schaft wer­den. Im Wesent­li­chen – fol­gert die Autorin – sei »die jewei­li­ge kon­fes­sio­nel­le Iden­ti­tät mit Hil­fe der­sel­ben Struk­tu­ren abge­grenzt«, und sie hält fest, dass im »Grenz­ge­biet zwi­schen dem König­li­chen und dem Her­zog­li­chen Preu­ßen […] die loka­le Demons­tra­ti­on der Herr­schafts­ver­hält­nis­se und gesell­schaft­li­chen Struk­tu­ren offen­bar beson­ders wich­tig« gewe­sen sei. 

Preu­ßen­land wur­de schon im 17. Jahr­hun­dert längst nicht mehr als Ein­heit wahr­ge­nom­men, gleich­wohl sei­en »die Bin­dun­gen der Adels­spit­zen an den jewei­li­gen Lan­des­teil erhal­ten« geblie­ben, lau­tet ein Fazit Jagod­zinskis. Ins­ge­samt sei aber der »Lokal­pa­trio­tis­mus der Adels­eli­te« im Her­zog­tum stär­ker aus­ge­prägt gewe­sen als im König­li­chen Preu­ßen und dort in der Fol­ge durch die Rang­erhö­hung zum König­reich Preu­ßen noch ver­stärkt wor­den. Auf einer ganz ande­ren Ebe­ne bewegt sich dage­gen die Ein­sicht, mit der das Buch schließt: wie wich­tig »die Inven­ta­ri­sie­rung von Kunst- und Bau­wer­ken ist, um wei­ter­ge­hen­de Fra­gen über­haupt stel­len und bear­bei­ten zu kön­nen«. Hier­bei hofft Sabi­ne Jagod­zinski auf inter­na­tio­na­le Koope­ra­ti­ons­pro­jek­te, »bevor noch mehr der gefähr­de­ten mate­ri­el­len Sub­stanz ver­lo­ren ist«.

Alex­an­der Kleinschrodt