Ein spannendes „Lesebuch“ von Bernhart Jähnig
Der Autor hat sich und uns zu seinem 80. Geburtstag ein Geschenk gemacht, indem er ältere Aufsätze überarbeitet und ergänzt hat und in neuem Gewand vorlegt. Er bringt den neuesten Kenntnisstand entsprechender Themen und zeigt, dass Forschungsinteresse und Bereitschaft zur Kommunikation über den engsten Forschungskreis hinaus bei ihm keineswegs erloschen sind. Dafür ein herzlicher Dank!
Seit seiner Dissertation über den Priesterbruder des Deutschen Ordens, Erzbischof von Riga und Bischof von Lüttich Johann von Wallenrode (1968) ist er der Deutschordensgeschichte treu geblieben. Erleichtert wurde dies durch die Tätigkeit am ehemaligen Staatsarchiv Königsberg, zuerst im Staatlichen Archivlager in Göttingen, dann eingegliedert in das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin. Das bedeutete, dass sein Interesse regional einen großen Raum umfasst, wie die Verbreitung des Deutschen Ordens auch. Der vorliegende Band spiegelt dies eindrucksvoll wider.
Der Band ist nicht regional gegliedert, sondern sachlich: »Zur Verfassung und Verwaltung«, »Persönlichkeiten und Personengruppen im Orden«, »Örtlichkeiten des Ordens im Preußenland« lauten die Gliederungsvorgaben. Unter dieser Sachgliederung finden sich 16 Beiträge, in deren erster Anmerkung stets der Erstdruck angegeben ist. Eine ganz wesentliche Besonderheit dieses Bandes ist jedoch, dass es sich nicht um einen reinen Abdruck älterer Beiträge handelt, sondern dass der Autor sich mit den Themen und der seit der Erstveröffentlichung erschienenen Literatur erneut auseinandergesetzt hat.
Schon bei den Titeln der Beiträge ist leicht zu erkennen, dass der Buchtitel eher etwas tiefstapelt, denn die Arbeiten enden keineswegs an den Grenzen des preußischen Ordensterritoriums, sondern schließen sehr wohl den Ordenszweig in Livland wie den im Deutschen Reich ein, auch wenn der Schwerpunkt auf Preußen liegt. Das zeigt bereits der erste Beitrag über die stauferzeitlichen Anfänge des Ordens. Er belegt gleichzeitig die ungeheure Belesenheit des Autors, der neue Literatur bis 2020, bis zur Drucklegung des eigenen Bandes, verarbeitet hat. Die darin erkennbare Quellen- und Literaturkenntnis, verbunden mit einem umwerfenden Gedächtnis, ist immer aufs Neue bewunderns- und beneidenswert.
Einen ähnlichen Überblick gibt der zweite Beitrag über den Entwicklungsstand der Deutschordensherrschaften in Preußen und Livland in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Dabei hat sich der Rezensent erneut festgelesen, obwohl er die Erstfassung kannte. Das liegt am weiten Blickwinkel des Autors und an seiner Schreibweise. Sie ist wissenschaftlich, doch im Vorwort nennt er auch die sprachliche Intention: Er wollte ein »Lesebuch« schaffen. Das ist ihm voll gelungen.
Wie spielte sich im 14. Jahrhundert Diplomatie ab? Waren es die Herrscher in persönlicher Begegnung oder deren Gesandte, die wesentlich zur politischen Entwicklung beitrugen? Dem geht Jähnig in seinem Beitrag über Kaiser Karl IV. und Hochmeister Winrich von Kniprode nach – haben sie sich persönlich getroffen? –, wobei er wieder ein Bespiel dafür liefert, wieviel ein genaues Herrscheritinerar zum Erkenntnisgewinn historischer Vorgänge beiträgt.
Die Chronik Johanns von Posilge wird untersucht auf ihre Aussagen zu Innenpolitik und Verwaltung des Ordenslandes Preußen. Dabei werden auch wichtige Erkenntnisse zur Chronik selbst erarbeitet.
Welche Auswirkung hatte der Tod von über 200 Ordensbrüdern in der Schlacht von Tannenberg 1410? Es war nicht nur der Hochmeister gefallen, sondern auch ein großer Teil der führenden Amtsträger des gesamten Landes. Daher mussten fast die gesamten Leitungsfunktionen innerhalb Preußens einschließlich Mitarbeiterstab neu besetzt werden. Wieviel an Know-how mag dabei unwiederbringlich verlorengegangen sein?
Das leitet über zum großen Komplex der Untersuchung von Personen und Gruppen im Orden. Die Hochmeister des 14. Jahrhunderts brachten u. a. der Marienburg ein höfisches Leben wie an anderen Fürstenhöfen, machten aber auch Königsberg als Ausgangspunkt der Feldzüge gegen Litauen zu einem wichtigen Zentrum. Am Beispiel des Thorner Komturs Dietrich von Brandenburg wird die Bedeutung prosopographisch vertiefter Untersuchungen erkennbar. Die Leiter der Hochmeisterkanzlei 1309–1457 spielten natürlich eine wichtige Rolle in der Politik des Ordenslandes. Mit Erzbischof Johann von Wallenrode wendet Jähnig sich erneut dem Dissertationsthema zu. Mit dem Bischof von Kulm Johannes Trunzmann, dem Thorner Pfarrer Andreas Pfaffendorf und dem Hochmeisterkaplan Andreas Santberg als Diplomat werden weitere bedeutende Persönlichkeiten vorgestellt, womit die wichtige Rolle der Ordenspriester erkennbar wird.
Im letzten Komplex stehen Elbing, Graudenz, Bütow, Tuchel, Berent und Danzig im Zentrum – Städte ganz unterschiedlicher Größe mit unterschiedlichen Problemen: die Sakraltopographie, die Stadtgründungsurkunde mit ihren Bestimmungen, eine Kleinstadtsituation neben der großen Fernhandelsstadt.
Abgeschlossen wird der Band von einem Quellen- und Literaturverzeichnis für alle Beiträge und einem Personen‑, Orts- und Sachregister (Bücher ohne Register sollten verboten werden). Insgesamt ein äußerst lesenswertes Buch.
Udo Arnold