Auf goldener Treppe nach oben

Vorhandene Gebäude umbauen statt ständig neu zu bauen: In der gegen­wär­tigen Architektur-Szene findet dieser Ansatz zunehmend Unter­stützung. In Danzig wurde so aus dem auf den ersten Blick unauf­fäl­ligen Theater am Kohlen­markt von 1967 ein neues Aushän­ge­schild mit moderner Bühnen­technik. Bereits die zwei Jahrhun­derte umfas­sende Vorge­schichte zeigt, wie Vorhan­denes baulich immer wieder neu inter­pre­tiert worden ist.

Seit dem EU-Beitritt Polens im Jahr 2004 sind im ganzen Land zahlreiche neue Kultur­bauten eröffnet worden. Mit den hinzu­ge­kom­menen Museen, Konzert­häusern und Theatern hat die polnische Kultur­szene auch inter­na­tional an Sicht­barkeit gewonnen. Während der acht Jahre, in denen die PiS-Partei die Regierung stellte, bestimmte – insbe­sondere bei den Museen – aller­dings oft ein Streit um die inhalt­liche Ausrichtung die öffent­liche Wahrnehmung. Als im Jahr 2017 Paweł Machcewicz, Gründungs­di­rektor im Danziger Museum des Zweiten Weltkrieges, aus offen­sichtlich politi­schen Gründen entlassen wurde, berich­teten auch deutsche Medien ausführlich darüber.

Mit etwas Abstand kann man die vielen neuen Häuser nun auch einmal aus baukul­tu­reller Sicht in Augen­schein nehmen. Der Archi­tek­tur­jour­nalist Florian Heilmeyer hat das vor Kurzem getan und ist zu dem Schluss gekommen, dass mit der Welle von Kultur­bauten in Polen aus den letzten Jahren etwas Bleibendes entstanden ist: Sie seien von »zumeist hoher archi­tek­to­ni­scher Qualität«. Die Auftrag­nehmer waren häufig inter­na­tionale Archi­tek­tur­büros. Renato Rizzi, ein italie­ni­scher Archi­tek­tur­pro­fessor, der eher als Theore­tiker bekannt war, konnte in Danzig das Shakespeare-Theater reali­sieren, dessen Dach sich dank einer beein­dru­ckenden Mechanik zum Himmel öffnen lässt. In Stettin war kurz zuvor die neue Philhar­monie eröffnet worden, ein Bau des spani­schen Archi­tek­tur­büros Barozzi Veiga, der sich als strahlend weiße Krone mit vielen Giebel­zacken in die Umgebung einfügt und nachts von innen zu leuchten beginnt. Diese Entwicklung setzt sich weiter fort; in Thorn zum Beispiel entsteht gerade nach Plänen des Voral­berger Büros Baumschlager Eberle das Filmzentrum Camerimage.

Neue Umbaukultur findet zunehmend Unterstützung

Einfach weiter wie bisher geht es mit der baulichen Expansion im Kultur­sektor jedoch nicht. Nach zwei Jahrzehnten scheint sich eine neue Tendenz abzuzeichnen. Florian Heilmeyer speku­liert über den Beginn einer »posti­ko­ni­schen« Phase, soll heißen: Die aktuell in Bau gehenden Projekte zielten nicht mehr auf große archi­tek­to­nische Gesten. Überwiegend kommen jetzt Archi­tek­tur­büros aus Polen zum Zug. Sie nähern sich der jewei­ligen Bauaufgabe beschei­dener, nachdenk­licher und sind damit ganz auf der Höhe der inter­na­tio­nalen Diskussion. Im deutsch­spra­chigen Raum heißt das diesbe­züg­liche, zurzeit immer geläu­figer werdende Schlagwort »Umbau­kultur«, und es geht dabei um die Frage, wie vorhandene Gebäude neuen Bedürf­nissen angepasst werden können. Lange galten Abriss und Neubau oder das von bestehenden Gegeben­heiten völlig entlastete Neubau­projekt »auf der grünen Wiese« fast wie selbst­ver­ständlich als beste Lösungen. Dabei liegen die Vorteile des Umbauens auf der Hand: Vorhandene Poten­tiale werden aktiviert, im besten Fall zügig und kosten­günstig, gegenüber dem Neubau werden Ressourcen einge­spart und Umwelt­be­las­tungen gemindert. Die Erfahrung zeigt inzwi­schen, dass aus dem Wechsel­spiel von alter Substanz und neuen Konzepten auch bemer­kens­werte Bauten entstehen können.

Im Gebiet des ehema­ligen Westpreußen findet sich ein erstes signi­fi­kantes Beispiel für diesen Ansatz in Gdingen. Das Archi­tek­turbüro Fusion Studio aus Krakau hat bis 2017 ein ehema­liges Fährter­minal so umgebaut, dass dort – inhaltlich naheliegend – das Polnische Emigra­ti­ons­museum einziehen konnte. Am anderen Ende der Dreistadt kam vor einiger Zeit ein Umbau­projekt zum Abschluss, bei dem es zwar nicht um die zu verän­dernde Funktion eines Gebäudes ging, das aber dennoch eine inter­es­sante Umwandlung vorführt. Aus einem etwas in die Jahre gekom­menen Theaterbau am Danziger Kohlen­markt wurde: ein neues Theater mit Anzie­hungs­kraft und auf der Höhe der Zeit. 

Mit der Sanierung und dem Umbau des Danziger »Küsten­theaters« (Teatr Wybrzeże) wird an mehr als 200 Jahre Theater­be­trieb am Kohlen­markt angeschlossen, nicht zuletzt in archi­tek­to­ni­scher Hinsicht, denn schon die Geschichte der Vorgän­ger­bauten an selber Stelle ist eigentlich eine Umbau­ge­schichte. Sie beginnt im Jahr 1801 mit der Eröffnung des ersten Theater­hauses als nördlichem Abschluss der Platz­fläche. Den mit wenig Fassa­den­dekor auskom­menden klassi­zis­ti­schen Entwurf lieferte der Danziger Stadt­bau­meister Carl Samuel Held. Die Eingangs­seite des Theaters bildete einen rechten Winkel zur rückwär­tigen Fassade des Großen Zeughauses. So entstand eine städte­bau­liche Situation, die das Umfeld noch bis heute prägt. Das von Held entworfene Haus scheint, was durchaus typisch für die Bauaufgabe Theater ist, immer wieder an jeweils aktuelle Bedürf­nisse des Bühnen­be­triebes angepasst worden zu sein. Auf Abbil­dungen deutlich zu erkennen ist der Umbau der Schau­seite um die Jahrhun­dert­wende: Der antiki­sie­rende Portikus wurde zu einer weiter aus der Fassade vorsprin­genden Eingangs­halle, an den Längs­seiten kamen Anbauten hinzu.

Die Kontinuität der »Kaffeemühle« 

Die bis 1935 erfolgte »Umgestaltung« des Theaters, das ab 1933 als »Staats­theater« bezeichnet wurde, war dann aller­dings tiefgreifend: Es handelte sich um einen Abbruch und »Wieder­aufbau des ganzen Hauses«. Die neuen Fassaden in zeitty­pisch neoklas­si­zis­ti­schem, wenn auch nicht übermäßig monumen­talem Stil entwarf Otto ­Kloeppel, der parallel dazu auch die laufende Restau­rierung der Danziger Marien­kirche betreute. Die Planung des Innen­ausbaus wurde von Otto Frick übernommen, Direktor der Königs­berger Staats­bau­schule und Mitver­fasser eines weit verbrei­teten Lehrbuchs zur Baukon­struktion, das noch heute in aktua­li­sierten Auflagen erscheint. Anstelle des ehemals runden Zuschau­er­raums im alten Theater am Kohlen­markt entwi­ckelte Frick einen moder­neren Grundriss auf Basis der seinerzeit als archi­tek­to­nische Form beliebten Parabel-Kurve. Dennoch wurde auch bei diesem Neubau­projekt auf die »Wahrung der alten Gestaltung« Wert gelegt: Als Erken­nungs­zeichen erhielt der Neubau wie sein Vorgänger aus dem frühen 19. Jahrhundert eine flache Kuppel über dem Zuschau­erraum. Angesichts der Form, die sich aus dem Zusam­men­spiel des breit lagernden Baus mit dem gerun­deten oberen Abschluss ergab, hatten die Danziger schon das alte Theater als »Kaffee­mühle« bezeichnet. Günter Grass hat diesen Spitz­namen in der »Blech­trommel« überliefert.

Von dem am Ende des Zweiten Weltkrieges erst zehn Jahre alten Theater blieb nur eine Ruine erhalten. Der Innenraum war ausge­brannt, Fotos von 1945 zeigen die völlig zerschossene, teilweise einge­stürzte Fassade am Kohlen­markt. Unter Einbe­ziehung von Resten des Vorgän­gerbaus plante Lech Kadłu­bowski in den 1960er Jahren einen Neubau. Zwischen 1954 und 1958 war er als General­planer für den Wieder­aufbau der Danziger Recht­stadt verant­wortlich gewesen. Mit der neuen Bühne am Kohlen­markt, die jetzt den Namen Teatr Wybrzeże erhielt, setzte er dagegen einen moder­nis­ti­schen Akzent. Kadłu­bowski griff die Maße des Vorgän­gerbaus wieder auf, entwi­ckelte aber eine glatte Fassa­den­ge­staltung, bei der die fein changie­renden Farben der Natur­stein­ver­kleidung den Bauschmuck bildeten. Auch der 1967 einge­weihte Bau hat wieder eine flache Kuppel, zum bestim­menden Element der Gebäu­de­kontur wurde jedoch der dahinter aufra­gende recht­eckige Bühnenturm. Dank vielfäl­tigen Insze­nie­rungen und der Mitwirkung bekannter Schau­spieler wurde das »Küsten­theater«, wie der Histo­riker und Danzig-Kenner Peter Oliver Loew schreibt, bald »zu einer festen Größe in der polni­schen Theaterlandschaft«.

Rund fünfzig Jahre später konnte das bestehende Haus verständ­li­cher­weise nicht mehr allen Ansprüchen gerecht werden. Bei einem Archi­tek­tur­wett­bewerb zur Sanierung und Aufwertung des »Küsten­theaters« im Jahr 2015 wurde das Archi­tek­turbüro WAPA aus Zoppot ausge­wählt. Seitdem hat sich WAPA mit weiteren Kultur­bauten einen Namen gemacht: Ein Neubau für das mit der Schlacht von Tannenberg befasste Grunwald Museum in Masuren konnte 2022 fertig­ge­stellt werden, eine Erwei­terung für das Opernhaus in Bromberg ist zurzeit im Bau. 

In Danzig vermochte das Theaterhaus am Kohlen­markt den Spiel­be­trieb nach einer dreijäh­rigen Bauphase im Herbst 2023 wieder aufzu­nehmen. Die Kosten beliefen sich auf insgesamt 106 Millionen Złoty, also rund 25 Millionen Euro. Mit den zur Wieder­eröffnung verbrei­teten Fotos des runderneu­erten »Küsten­theaters«, wirkungsvoll insze­niert von dem aus den USA stammenden und in Warschau lebenden Fotografen Nate Cook, konnte die Stadt Danzig durchaus Aufsehen erregen – und das ganz ohne ein ebenso spekta­ku­läres wie teures Neubauprojekt.

Leichte, aber deutlich spürbare Veränderung

Beim Umbau wurde die Gebäu­de­hülle aus den 1960er Jahren weitgehend erhalten, so dass die Farbigkeit der Fassaden aus Sandstein weiterhin den ersten Eindruck bestimmt. Leicht, aber doch spürbar verändert wurde jedoch die Eingangs­seite am Kohlen­markt. Eine neue gläserne Front erlaubt einen ungehin­derten Durch­blick in die Foyers, so dass hinter diesem trans­pa­renten Vorhang die das Dach tragenden Stützen sichtbar werden und man erkennt, dass die Gliederung der neuen Fassade genau deren Rhythmus folgt. Im oberen Foyer sind drei große Leuchter instal­liert worden, die sich aus vielen einzelnen Licht­bändern zusam­men­setzen und die gediegene Atmosphäre auch noch auf den Platz ausstrahlen lassen. So erscheint das »Küsten­theater« jetzt ganz frisch, verwischt aber nicht die Spuren der inter­na­tio­nalen Archi­tek­tur­mo­derne aus der Nachkriegszeit. Nach der Neuge­staltung wird die Schau­seite gerade Besucher aus dem Ruhrgebiet womöglich an das Gelsen­kir­chener Musik­theater im Revier erinnern, Baujahr 1959. Was es in Gelsen­kirchen jedoch nicht gibt: Das Flachdach des Küsten­theaters ist zur Dachter­rasse geworden. Über dem Haupt­eingang stehen die Besucher nun auf Höhe der Giebel des benach­barten Zeughauses. Dieser Außen­be­reich wird sicher zu einer zusätz­lichen Attraktion des Theaters werden und kann im Sommer­halbjahr auch für Veran­stal­tungen genutzt werden.

Innen wurde das Gebäude weitgehend auf den Rohbau aus Stahl­beton zurück­ge­führt. Durch die Entfernung von Einbauten im Erdge­schoss ist das Entrée viel großzü­giger geworden. Überhaupt wirkt jetzt alles »sehr aufge­räumt«, wie Archi­tekten gerne sagen. Damit wurde auch Platz geschaffen für einen neuen Blickfang: Auf der linken Seite des Eingangs­bau­werks verbindet nun eine breite Wendel­treppe die Geschosse. Ihre Brüstungen sind mit Blattgold verkleidet worden, das außerdem auch an der Garderobe einge­setzt wurde und zusammen mit roten Teppichen eine für das Haus charak­te­ris­tische Farbkom­bi­nation bildet.

Der große Saal des Küsten­theaters verfügt nach dem Umbau über 341 Plätze in einer steil aufra­genden, kinoähn­lichen Anordnung. Die Verbes­serung der Akustik für das Sprech­theater war ein wichtiges Anliegen und auch in Sachen Bühnen­technik ist jetzt alles auf dem neuesten Stand. In einem im Internet verbrei­teten Video hat das Theater vorge­führt, was das bedeutet: Kein einziger Schau­spieler betritt in dem Film die Bühne, statt­dessen wird die ganze Maschi­nerie in Bewegung gesetzt und führt eine Art mecha­ni­schen Balletts auf. Man verfüge nun über »eine der modernsten Bühnen in Europa«, erklärt dazu der Sprecher.

Noch zu wünschen übrig lässt am ehesten das städte­bau­liche Umfeld. Der Vorplatz gibt dem Theater nur etwa 20 Meter Raum, die restliche Fläche des Kohlen­marktes dient seit der Nachkriegszeit als Parkplatz – und wird das auch bis auf Weiteres noch tun. Diskus­sionen um einen Kohlen­markt mit mehr Aufent­halts­qua­lität gibt es in Danzig aber schon seit über zehn Jahren. Zeitweilig wurde der Platz für Autos gesperrt und mit Beeten und Liege­stühlen ausge­stattet. Auch in der Adventszeit wandelt sich das Bild immerhin vorüber­gehend. Das Theater bietet dann Rundgänge durch das Haus an, die auf der Dachter­rasse und mit dem Blick auf Lichter­glanz enden: Der Parkplatz vor dem Eingang ist dann zum Schau­platz eines großen Weihnachts­marktes geworden.

Alexander Klein­schrodt