Die Karriere der Elise Püttner
Elise Püttner – ist sie nicht die Dichterin des Märchens vom Thorner Pfefferkuchen? Tatsächlich ist bei einigen dieser Name immer noch nicht gänzlich verklungen. Alle anderen Veröffentlichungen von ihr, deren Todestag sich 2023 zum 100. Male jährt, werden von der Nachwelt jedoch kaum noch erinnert. Es erscheint aber durchaus lohnend, sich eingehender mit dem Œuvre dieser Frau zu beschäftigen, die sich immerhin über Jahrzehnte am Buchmarkt zu behaupten verstand.
Die Biographie der am 5. August 1839 in Danzig geborenen und am 14. Juni 1923 in Zoppot gestorbenen Johanna Augustina Elise Püttner bleibt in Bezug auf ihr privates Leben und ihre Persönlichkeit weitgehend schattenhaft, und zwar in den beiden, jeweils etwa 40 Jahre umfassenden Zeitabschnitten ihres Lebens, von denen sie den ersten mit kürzeren Unterbrechungen in Danzig und den zweiten in Zoppot zugebracht hat; sie blieb ehe- und kinderlos, in ihrem Nachlass fand sich kein Tagebuch, und weitere Dokumente sind ebenfalls nicht überliefert. Allerdings hat sie als bekannte und erfolgreiche Schriftstellerin sowie aufgrund ihres intensiven zivilgesellschaftlichen Engagements in verschiedenen Frauenvereinen ein öffentliches Leben geführt, so dass sie für die Nachwelt zumindest als Autorin und Patriotin deutlichere Konturen gewinnt.
Von der höheren Tochter zur freien Autorin
Elise Püttner kam in der Heilige-Geist-Gasse, im Haus Nr. 62, zur Welt. Sie war die älteste Tochter des aus Preußisch Friedland stammenden Robert Hilmar Leopold Püttner und der in Marienwerder geborenen Johanna Marie Louise Knopmuss. Von der Kindheit weiß man nichts Näheres. Vage Informationen beziehen sich erst auf die schulische Bildung und die anschließenden Studienjahre und finden sich z. B. in Franz Brümmers Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Dort heißt es – in der 1913 erschienenen 6. Auflage – im 5. Bd. (S. 370), dass Elise Püttner »infolge der öfteren Versetzungen ihres Vaters« sowohl in Marienwerder als auch auf den höheren Töchterschulen in Danzig und Thorn unterrichtet worden sei und ab 1859 wieder in Danzig lebte, dass sie einige Zeit später für ein Jahr bei einer befreundeten Familie in Thüringen weilte und dann nach Paris ging, wo sie Französisch lernte und an der Sorbonne kunsthistorische Vorlesungen hörte.
1868 war Elise jedoch plötzlich gezwungen, den ihr vorgezeichneten Weg einer »höheren Tochter« aus großbürgerlichen Kreisen zu verlassen: In diesem Jahr starb ihre Mutter, und der Vater erwartete von seiner ältesten Tochter, dass sie ihm den Haushalt führte und sich um die Geschwister kümmerte. In Danzig besuchte sie zwar noch das Lehrerseminar und absolvierte sogar die Abschlussprüfung, aber diesen Beruf, den unverheiratete Frauen regelmäßig erlernten, weil er ihnen ein hinlängliches Auskommen sichern konnte, nahm sie gar nicht erst auf.
Stattdessen begann sie nun ab den 1870er Jahren eine Art Privatstudium der Geschichte und Kultur ihrer Heimatstadt und fand dabei Mentoren in dem evangelischen Pfarrer und Stadt-Archivar Ernst August Karl Bertling (1838–1893) und dem (1857 in Berlin habilitierten) Volkskundler, Mythologen und Bibliothekar Johann Wilhelm Emanuel Mannhardt (1831–1880). In dieser Zeit hatte sie 1869 auch bereits ihr erstes Buch veröffentlicht: das Danziger Weihnachtsmärchen Was ein Pomuchel der Großmama für seine lieben kleinen Landsleute erzählt hat.
Diese stilsicher geschriebene, stimmungsvolle Geschichte gewinnt die Autorin aus einer originellen Kombination und Bearbeitung von Motiven des Danziger Sagenschatzes. Der antike Mythos vom Eridanos, vom großen Fluss am Ende der Welt, den schon das griechische Altertum nicht eindeutig zu lokalisieren wusste, wird späterhin auch auf die Radaune projiziert. Hier sollen – wie es Elise Püttner dann 1887 in ihrem Reiseführer durch das Ostseebad Zoppot formuliert – die Heliaden, die ihren Bruder Phaeton beweinen, »zu ›Pappeln‹ und die ihnen unaufhaltsam entströmenden Thränen zu Bernstein verwandelt worden sein« (S. 7). Auf diese Zusammenhänge spielt die Geschichte der phönizischen Königstochter Erida an, die die Großmutter von ihrem »Gewährsmann«, einem – in der Kaschubei als Speisefisch äußerst beliebten – Pomuchel, erfahren haben will und nun kurz vor Weihnachten ihrer Enkelin erzählt: Erida, die auf Hela erscheint und in die Gestalt eines Hundes verzaubert wurde, besteht eine Reihe von Abenteuern, kann dabei die Tochter des Herzogs von Danzig retten und wird, als ihr der glückliche Vater als Dankeszeichen eine Bernsteinkette umhängt, von ihrem Bann erlöst. Nach einem kurzen Aufenthalt in Phönizien kehrt die Prinzessin mit ihrem Vater an die Ostsee zurück, gründet auf Hela ein Gemeinwesen und errichtet dort ein stattliches Schloss.
Mit dieser Veröffentlichung hatte Elise Püttner für die Zukunft den entscheidenden Schritt von der gesellschaftlichen Sicherheit des Lehrerinnenberufs zu einer weniger gebundenen Existenz einer freien Autorin vollzogen – wobei das damit einhergehende Risiko des wirtschaftlichen Scheiterns durch ihr Leben innerhalb des väterlichen Haushalts deutlich gemindert wurde. Auf diesen Rückhalt war sie allerdings kaum angewiesen, weil bereits ihre erste Publikation große Resonanz fand.
Eine erfolgreiche Dichterin
Der Erfolg ihres Erstlingswerks bestärkte Elise Püttner darin, der Gattung des Märchens weitere Facetten abzugewinnen. Dabei wählte sie ein typisch westpreußisches Gebäck zum Ausgangspunkt ihrer nächsten Geschichte: die berühmten und gerade bei Kindern höchst beliebten »Thorner Kathrinchen«, die Elise Püttner gewiss während ihrer Zeit, in der sie in Thorn zur Schule gegangen war, vor Ort kennengelernt hatte. Sie lässt ein Waisenkind, den Jungen Gottlieb, der charakterlich noch ungefestigt ist und Musikant werden soll, eine Reihe von Abenteuern bestehen. Dank diesen »Aventures« durchläuft Gottlieb einen Bildungsprozess; bei ihm wächst der Wunsch, den Beruf eines Konditors zu erlernen, und als er auf einer der Stationen seiner märchenhaften Reise bis in die Schweiz der Elfenkönigin einen großen Dienst erweisen kann und sie ihm aus Dankbarkeit das Geheimnis der Pfefferkuchen-Produktion anvertraut, lässt er sich in Thorn nieder und begründet dort die Tradition der Lebkuchen-Bäcker:
Bald war Gottlieb weit über die Grenzen seines Vaterlandes berühmt. Die Könige und Fürsten, die Armen und Geringen priesen ihn gleich sehr und feierten kein Fest, besonders nicht das liebe Weihnachtsfest, ohne sein Fabrikat, das ihn die Elfen gelehrt, und so ist es bis auf den heutigen Tag geblieben.
Elise Püttner: Das Märchen vom Thorner Pfefferkuchen, Danzig, 2. Aufl. 1912 (= Erzählungen aus der Ostmark. VII.), S. 93.
Dieses Märchen vom Thorner Pfefferkuchen erschien 1872. Es fand beim Lesepublikum begeisterte Aufnahme und wurde zu Lebzeiten der Verfasserin mehrmals nachgedruckt. Mit diesem Büchlein konnte sie sich in der Öffentlichkeit als Dichterin fest etablieren. 2019 wurde in Thorn sogar eine polnische Übersetzung publiziert (»Baśń o toruńskich piernikach«).
Zugleich trat Elise Püttner nun aber auch durch ihr karitatives Wirken hervor. Schon während des Deutsch-Französischen Krieges sorgte sie sich um die Familien der Soldaten, sie engagierte sich im Vaterländischen Frauenverein sowie in weiteren Frauenorganisationen und arbeitete innerhalb der Danziger Abteilung des Deutschen Roten Kreuzes mit. Für ihr Wirken erhielt sie die »Kriegsdenkmünze für die Feldzüge 1870/71 für Nichtkombattanten«. Dass sich Elise Püttner wohltätigen Aufgaben auch weiterhin stetig und mit großer Hingabe widmete, zeigt sich darin, dass sie 1887 – inzwischen in Zoppot heimisch geworden – die dortige Abteilung des Vaterländischen Frauenvereins mitbegründete und ihr die 1897 bzw. 1898 gestifteten Auszeichnungen der »Zentenarmedaille« und der »Rote Kreuz-Medaille« verliehen wurden.
Literarisch versuchte Elise Püttner, ihr Profil als Märchen-Autorin noch weiter zu schärfen, und legte 1873 nach dem Pomuchel ein zweites »Weihnachtsmärchen« vor. Anscheinend hat sich der Verlag von Theodor Bertling, der ihre ersten beiden Bücher betreut hatte, daran aber nicht interessiert gezeigt; denn Ein Herz von Marzipan, so der Titel, erschien im Selbstverlag – was wiederum auf eine respektable Höhe der Einkünfte aus den bisherigen Tantiemen zu schließen erlaubt. In dieser didaktischen Geschichte geht es um Alma, ein störrisches und undankbares Mädchen, das ein ihr geschenktes Marzipanherz missachtet. Nachdem es aber in einem bedrängenden Traum in Gefangenschaft geraten ist und Zwänge und Demütigungen durchlebt hat, wandelt es sich zum Guten und weiß das Präsent nun wertzuschätzen.
Eine kundige Kulturvermittlerin
Parallel zu ihrer Märchen-Produktion kultivierte die Autorin einen weiteren Zweig ihrer schriftstellerischen Neigungen und Fähigkeiten: das Feuilleton. Schon während ihrer Zeit in Paris hatte sie – nach Ausweis des schon zitierten Lexikographen Franz Brümmer – zuweilen Beiträge für die Danziger Zeitung verfasst, und ihre kunsthistorischen Kompetenzen sowie ihre ergänzenden privaten historischen Studien gaben ihr als begabter Schriftstellerin nun die Möglichkeit, kulturelle Themen fachlich durchaus anspruchsvoll, aber auch unterhaltsam zu erschließen. So erschien 1875 (S. 271–274, H. 16) ein Aufsatz von ihr in jenem Illustrirten [!] Familienblatt, das den anheimelnden Titel Die Gartenlaube trug und als erstes Massenblatt der Kaiserzeit in diesem Jahr die für diese Zeit schwindelerregende Auflagenhöhe von 382.000 Exemplaren erreichte. Dass Elise Püttner einen Beitrag in dieser Zeitschrift veröffentlichte, trug somit nicht unerheblich zu ihrem Renommee bei.
In ihrem Beitrag schlägt sie ein Thema an, bei dem sie ihre detaillierten kunsthistorischen und stadtgeschichtlichen Kenntnisse vorzüglich miteinander zu verschmelzen vermag. Sie wendet sich dem inzwischen wiedererstandenen Bauwerk des früheren Danziger Franziskanerklosters zu, in dem am 1. März 1873 feierlich das Stadtmuseum Danzig eröffnet worden war. Dabei geben ihre Ausführungen zu erkennen, mit welcher Leichtigkeit und Geschicklichkeit Elise Püttner einen redaktionell zwar begrenzten, aber doch großzügig disponierten Text von vier Druckseiten abwechslungsreich gestaltet und wie souverän ihr Stil zwischen Ausdrucksweisen eines Berichts, Essays oder Kommentars changiert.
Zudem signalisiert schon der Titel – Prachtstück altdeutscher Architectur im Norden –, dass die Autorin ihre Leserinnen und Leser für ihre Stadt zu gewinnen sucht. Zunächst preist sie die Vorteile des erheblichen Modernisierungsschubs, der durch den Bau der Kanalisation sowie der Prangenauer Wasserleitung ausgelöst worden ist, bedenkt dabei allerdings auch, dass aus Rücksicht auf den »drängenden treibenden Verkehr der Jetztzeit« auch »eine charakteristische Schönheit der Stadt zum Opfer gefallen« ist:
So schmerzvoll Danzig seine Beischläge mit den kunstvollen Balustraden von Stein und messinggezierten Eisengittern, den gewaltigen Löwen und Granitkugeln an den Ausläufern ihrer Steinstufen dem allgemeinen Interesse geopfert hat, so schmerzlich wird sie der Gast vermissen, der Auge und Verständniß für diese seltenen architektonischen Schätze hatte, die stolz-trotzig den Sinn des alten Danziger Patricierthums illustrirten. (S. 271)
Des Weiteren widmet sich die Autorin der Aufgabe, ihre Leserschaft für das Franziskanerkloster zu interessieren, weil von ihm »bisher kein kunstgeschichtliches Werk« berichtet hat. »Und das ist natürlich, denn erst der neuen Zeit war die Entdeckung seiner kunsthistorischen Bedeutung, der allerneuesten sein Auferwecken aus Schutt und Graus zu verjüngter Schönheit vorbehalten« (ebda).
Zunächst aber heißt es: »Blättern wir, ehe wir seine Hallen betreten, einen Augenblick in den geschichtlichen Aufzeichnungen dieses Klosters« (ebda). Mit diesen Worten werden die Leser nicht nur eingeladen, die Entwicklung der Ordensniederlassung in Danzig, sondern vor allem auch die wechselhafte Geschichte des Bauwerks bis zu seinem Niedergang durch die Nutzung als preußische Garnison kennenzulernen. Sodann aber erklingt – mit der Geste einer freundlichen Fremdenführerin – die Aufforderung: »Treten wir näher« (S. 273). Nun steht das Gebäude im Mittelpunkt und kann von den Lesern bzw. virtuellen Besuchern Stockwerk für Stockwerk und Raum für Raum erkundet werden. Auf diesem Wege erfahren sie beispielsweise:
Der herrlichste und durch seine Schicksale merkwürdigste Raum des Klosters ist der Conventremter. Man gelangt zu ihm durch den Treppenhausanbau und die Vorhalle, auf welche das große Refectorium mündet. Wie eine Lilie anmuthig entfaltet sich sein imposantes Gewölbe auf einer einzigen Säule. Und hier in diesem köstlichen Saale waren die Lazarethküchen eingebaut gewesen! (S. 274)
Solch einen verbindlichen, zugewandten Ton anzuschlagen, kompetent und begriffssicher komplexe Zusammenhänge zu erschließen und dabei zugleich so maßvoll vorzugehen, dass die gespannte Aufmerksamkeit der Leser, besser: virtuellen Besucher, nicht erlahmt – damit qualifizierte sich Elise Püttner als Autorin für einen Texttypus, der ihr später ein weiteres Feld ihrer schriftstellerischen Tätigkeiten eröffnen sollte.
Eine neue, lukrative Sparte des regionalen Buchmarkts
1881 oder 1882 übersiedelte Elise Püttner mit ihrem inzwischen pensionierten Vater und drei Schwestern nach Zoppot. Dort griff sie auf einen Roman zurück, den sie schon 1880 in der höchst populären Form des Fortsetzungsromans in der Danziger Zeitung veröffentlicht hatte und der den Titel Konrad Letzkau und seine Tochter trug. Diesen »Roman aus dem Anfange des 15. Jahrhunderts« ließ die Autorin 1887 in drei Bänden erscheinen. Mit dieser geschlossenen Präsentation eines anspruchsvollen Werks suchte sie anscheinend Anschluss an ein beliebtes Genre der Belletristik in der Kaiserzeit zu finden: an den historischen Roman. In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts veröffentlichten ihre in Westpreußen lebenden Altersgenossinnen Julie Burow (d. i. Pfannenschmidt [1806–1868]) (Ein Bürgermeister, 1862), Clara Quandt (1841–1919) (Johannes Knades Selbsterkenntnis, 1880; Die Polen in Danzig, 1881) und Anna Conwentz (1858–1912) (Aufzeichnungen eines Danziger Klosterbruders, 1891) auch historische Romane über Danzig, und von Ernst Wichert (1831–1902) war 1881 der dreibändige Roman Heinrich von Plauen erschienen, in dessen Plot der Danziger Bürgermeister Konrad Letzkau ebenfalls als handelnde Figur auftaucht und auch der hinterhältige Mord, dem er, Bürgermeister Arnold Hecht sowie der Ratsherr Bartholomäus Groß am 5. April 1411 auf der Komtureiburg zu Danzig zum Opfer fielen, wird hier naturgemäß thematisiert. Eine weitere Parallele ergibt sich sogar bei der Wahl des Verlegers: Elise Püttner vertraute ihren Roman dem Leipziger Carl Reißner Verlag an, in dem sechs Jahre zuvor bereits Wicherts Heinrich von Plauen erschienen war.
Die Publikation entsprach somit gänzlich dem Zeitgeist und folgte auch den geläufigen Erzählstrategien. Zudem hatte die Autorin die Grundstruktur der vielfältig ausgestalteten epischen Handlung korrekt an den Schilderungen und Wertungen der älteren Stadthistoriker orientiert und setzte durch die eigens entfaltete Geschichte von Letzkaus Tochter einen originellen zusätzlichen Akzent. Gleichwohl fand dieser Roman keine ungeteilte Zustimmung und dürfte seine Verfasserin kaum ermutigt haben, den Weg einer Romancière weiterzuverfolgen.
Dieser Verzicht ist der Autorin gewiss nicht schwergefallen, denn im gleichen Jahr, in dem die Buchversion des »Letzkau«-Romans veröffentlicht wurde, 1887, erschien Elise Püttners Publikation zum Ostseebad Zoppot bei Danzig, mit der – als № 1 – zugleich das Danziger Verlags- und Druckhaus von A. W. Kafemann seine Reihe Nordostdeutsche Städte und Landschaften eröffnete. Das Buch über Zoppot richtet sich an die Sommergäste, die aus dem ganzen Reichsgebiet kommen, weil sie, anders als frühere Generationen, nun »mit Bewusstsein und weiterer Macht streben, Leib und Seele gesund zu baden im Urquelle des Schönen, – in der Natur« (S. 63). Das Büchlein hat allerdings noch vornehmlich den Charakter einer Ortsmonographie, denn die Autorin erläutert »Das moderne Zoppot« – illustriert mit acht ganzseitigen Fotografien – auf nur knapp 30 Prozent der reinen Textseiten. Die übrigen verwendet sie für die historische Darstellung der »Küste von Zoppot in ältester und alter Zeit« sowie für die Schilderung von »Zoppot im Mittelalter« und von »Zoppots neuere[r] Geschichte«.
Im folgenden Jahr vollzog Elise Püttner den Übergang zu einem »Reiseführer« im engeren Sinne, und zwar mit dem Titel Danzig – ehemalige Freie Reichs- und Hansestadt, jetzt Hauptstadt der Provinz Westpreussen, den der Verlag A. W. Kafemann als № 2 seiner neuen Buchreihe veröffentlichte. Hier stellt sie als »Erste Abtheilung« einen in vier Abschnitte gegliederten und 26 Seiten benötigenden »Abriss der Geschichte Danzigs von seinem Ursprung bis auf die neueste Zeit« voran. Daraufhin folgt die »Zweite Abtheilung« – »Die Sehenswürdigkeiten Danzigs« –, die ihrerseits nun in einer deutlich verschobenen Proportion 84 Seiten (einschließlich 19 Illustrationen) umfasst und damit hinlänglichen Raum bietet für die Beschreibung von sieben unterschiedlichen Routen, auf denen sich die Besucher die Stadt in ihrer Vielfalt erschließen können – sei es auf einem Rundgang oder einer Wanderung, sei es auf einem Wallspaziergang oder sei es bei einer Bootsfahrt auf der Mottlau und Weichsel. Abgerundet werden diese Stadterkundungen durch zwei Abschnitte, die Hans Memlings Jüngstem Gericht sowie »Einige[n] Inschriften an Privathäusern« gewidmet sind.
Im Jahre 1888 begann der Verlag mit dem Erscheinen dieses zweiten Bands zugleich, die Reihe der Nordostdeutschen Städte und Landschaften zügig zu erweitern und westpreußische »Reiseführer« als feste Größe innerhalb des Buchangebots zu etablieren. In kurzer Folge erschienen nun beispielsweise Führer zu Elbing (№ 3) und Königsberg (№ 4), zum Samländischen Ostseestrand (№ 5) und zum Kurischen Haff (№ 6) sowie zu Marienburg (№ 7), so dass nur zwei Jahren später schon die – wiederum von Elise Püttner verfasste – № 8, Jäschkental und der Johannisberg bei Danzig, herausgegeben werden konnte. (Unter dem Titel »Jaśkowa Dolina i Góra Jana nieopodal Gdańska« wurde das Buch übrigens 2015 in einer polnischen Übersetzung neuerlich publiziert.) Mit dieser Serie reagierte der Kafemann-Verlag auf die sich deutlich abzeichnende Tendenz der 1880er Jahre, im Zuge der breiteren Nachfrage von Sommerfrischlern nach lohnenden Reisezielen den einzelnen Orten und Städten ein klares Profil zu verleihen und ihre Attraktivität hervorzuheben. Vor diesem Hintergrund wird unmittelbar plausibel, warum sich im »Danzig«-Führer auch ein ausgedehnter, farblich abgesetzter Teil findet, in dem über 20 Seiten lang Danziger Fabrikanten, Händler und Dienstleister für ihre Produkte und Angebote werben. Im Prozess der Kommerzialisierung von Freizeit übernahmen die Inserenten damit eine eigenständige Rolle.
Nicht zuletzt zeigt diese rasch expandierende Buchreihe freilich auch, dass in diesen Jahren »Westpreußen« gezielt und geradezu systematisch als Reiseland erschlossen wurde; – und an diesem Vorhaben nahm Elise Püttner in den folgenden mehr als zwei Jahrzehnten regen Anteil. 1901 erschien ein Kleiner Führer durch Danzig […] mit 12 Illustrationen und Plänen von Stadt und Umgebung, der das »Geschichtliche« auf gut drei Seiten abhandelt und dann innerhalb des umfangreichen Kapitels über die »Stadt mit ihren Sehenswürdigkeiten« die Interessen von Gästen mit einem begrenzten Zeitkontingent berücksichtigt und ihnen die Möglichkeit eröffnet, die wichtigsten Punkte Danzigs und seiner Umgebung in vier Tagestouren aufzusuchen. Zusätzlich bietet das Büchlein nicht nur einen Anzeigenteil, der nahezu die Hälfte des Gesamtumfangs ausmacht, sondern zusätzlich einen redaktionellen siebenseitigen »Anhang« mit mannigfachen Informationen: von »Hôtels«, Bierhallen oder »Cafés und Conditoreien« über Bäder, Gartenlokale, Kunst- und wissenschaftliche Sammlungen oder Theater bis zu »Consulaten«, Banken, Krankenhäusern und »Danziger Specialitäten«. Das gesamte Konzept ist folglich erheblich direkter auf die konkreten individuellen Bedürfnisse eines Besuchers hin zugeschnitten.
Einen weiteren Beitrag zum einschlägigen Sortiment des Verlages A. W. Kafemann leistete Elise Püttner mit ihrem Führer durch Luftkurort und Seebad Oliva – mit der ehemaligen Zisterzienser-Abtei gleichen Namens, der 1904 als № 14 in die Reihe der Nordostdeutschen Städte und Landschaften aufgenommen wurde. Zwei Jahre später (1906) legte die Autorin schließlich eine Neufassung ihres Danzig-Führers – der № 2 – vor, in der sie eine Fülle praktischer Hinweise gibt und zugleich eingehende Erläuterungen der Sehenswürdigkeiten und der historischen Grundlagen bietet. Zudem konzentriert sie sich nicht allein auf die Hauptstadt, sondern nimmt auch andere bedeutende Kreisstädte kurz in den Blick. Dadurch gelang es der Autorin, aus ihren bisherigen publizistischen Ansätzen gleichsam die Summe zu ziehen und einen unterschiedlichen Interessen genügenden und die ganze Provinz erfassenden Reise- und Fremdenführer durch Westpreussen zu veröffentlichen.
Nicht gänzlich übergangen werden soll, dass Elise Püttner zu dieser Zeit auch noch einmal einen poetischen Text verfasst hat: das Libretto für das Oratorium Das Schloß am Meer, das von Franz Johann Carl Joetze (1839–1914) vertont und am 15. Februar 1906 im Zoppoter Kurhaus uraufgeführt wurde. Dabei zeigte sich die Dichterin durchaus als experimentier- und nicht zuletzt risikofreudig, denn bis dahin hatte sie sich noch niemals mit den Möglichkeiten und Anforderungen der Versform auseinandergesetzt.
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Mit dem vielgelesenen Märchen vom Thorner Pfefferkuchen und den Reise- und Fremdenführern, an deren Entwicklung Elise Püttner sich rege beteiligte, verfügte die Autorin über einen Fundus, der ihr den Zufluss von Tantiemen garantierte: allein der Danzig-Führer erlebte bis zum Jahre 1910 sechs Auflagen. Gleichwohl setzte sie auch nach der Jahrhundertwende die stets weiterbetriebene journalistische Tätigkeit – vornehmlich in der Danziger Zeitung, späterhin auch in der Zoppoter Zeitung – fort und sicherte sich dank den Honoraren regelmäßige Einnahmen für ihren Lebensunterhalt – und vermutlich auch für denjenigen einiger ihrer Schwestern, mit denen sie nach dem Tode des Vaters (1892) über lange Zeit zusammenlebte.
Greifbar sind in den Zeitungsarchiven beispielsweise die Jahrgänge 1920 bis 1923 der Zoppoter Zeitung, die die Beiträge aus den letzten Lebensjahren der nun schon hochbetagten Publizistin umfassen. Die Themen der Artikel reichen von schwärmerisch-poetischen Schilderungen einer »Farbensymphonie am Himmel bei Sonnenuntergang« über vergleichende Betrachtungen zwischen dem alten und dem neue Zoppot bis zu patriotischen Appellen, sich den sozialen Problemen der Gegenwart zu stellen und dabei vor allem die Arbeit der Frauenvereine zu unterstützen – denn, so stellte Elise Püttner fest, nach dem Kriege liege der Wiederaufbau des Vaterlandes nun in der Hand der deutschen Frau. Im Spektrum der politischen Positionen schließlich blieb sie weiterhin – und als Westpreußin nach der Umsetzung der in Versailles beschlossenen »Vierteilung« der Provinz erst recht – ihren deutschnationalen Überzeugungen treu. So gab sie in einem Beitrag der zuversichtlichen Hoffnung Ausdruck, dass »die Marienburg nicht nur ein hervorragendes Bau- und Kunstdenkmal im Osten«, sondern »auch als Wahrzeichen des Deutschtums immerdar ein Kleinod der Ostmark« bleiben möge.
Bei aller Unterschiedlichkeit der Themen und Intentionen bestätigt die Lektüre dieser späten journalistischen Arbeiten das vertraute Bild einer stilsicheren, differenziert wie prägnant formulierenden Schriftstellerin, die trotz ihres sprachlichen Anspruchs ihre Leser nie aus dem Blick verliert. Elise Püttner gelang es somit, bis zum Ende ihres Lebens als Publizistin im öffentlichen Diskurs präsent zu bleiben. Sicherlich: Einer Autorin von Romanen, die dem Zeitgeschmack gehorchten, einer Journalistin sowie auch einer Verfasserin von Reiseführern, die naturgemäß rasch veralten, flicht die Nachwelt – um Friedrich Schillers Wort aus dem Prolog zu Wallensteins Lager zu variieren – ebenso wenig Kränze wie dem Mimen (wenngleich sich heutzutage in Polen ein neues kulturgeschichtliches Interesse zu formieren scheint). Gleichwohl bildet diese Autorin eine bedeutende Repräsentantin für den engeren Bereich einer spezifisch westpreußischen Literaturgeschichte sowie ein anschauliches Beispiel für die Möglichkeiten von Frauen in der Kaiserzeit, den – eingestandenermaßen noch engen – Spielraum für ihre kreativen Begabungen als Grundlage für eine sozial respektierte und wirtschaftlich eigenständige Existenz zu nutzen.
Janusz Mosakowski