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Eine Danziger Schriftstellerin der Kaiserzeit

Die Karriere der Elise Püttner

Elise Püttner – ist sie nicht die Dichterin des Märchens vom Thorner Pfefferkuchen? Tatsächlich ist bei einigen dieser Name immer noch nicht gänzlich verklungen. Alle anderen Veröffentlichungen von ihr, deren Todestag sich 2023 zum 100. Male jährt, werden von der Nachwelt jedoch kaum noch erinnert. Es erscheint aber durchaus lohnend, sich eingehender mit dem Œuvre dieser Frau zu beschäftigen, die sich immerhin über Jahrzehnte am Buchmarkt zu behaupten verstand.

Die Biographie der am 5. August 1839 in Danzig geborenen und am 14. Juni 1923 in Zoppot gestor­benen Johanna Augustina Elise Püttner bleibt in Bezug auf ihr privates Leben und ihre Persön­lichkeit weitgehend schat­tenhaft, und zwar in den beiden, jeweils etwa 40 Jahre umfas­senden Zeitab­schnitten ihres Lebens, von denen sie den ersten mit kürzeren Unter­bre­chungen in Danzig und den zweiten in Zoppot zugebracht hat; sie blieb ehe- und kinderlos, in ihrem Nachlass fand sich kein Tagebuch, und weitere Dokumente sind ebenfalls nicht überliefert. Aller­dings hat sie als bekannte und erfolg­reiche Schrift­stel­lerin sowie aufgrund ihres inten­siven zivil­ge­sell­schaft­lichen Engage­ments in verschie­denen Frauen­ver­einen ein öffent­liches Leben geführt, so dass sie für die Nachwelt zumindest als Autorin und Patriotin deutli­chere Konturen gewinnt.

Von der höheren Tochter zur freien Autorin

Elise Püttner kam in der Heilige-Geist-Gasse, im Haus Nr. 62, zur Welt. Sie war die älteste Tochter des aus Preußisch Friedland stammenden Robert Hilmar Leopold Püttner und der in Marien­werder geborenen Johanna Marie Louise Knopmuss. Von der Kindheit weiß man nichts Näheres. Vage Infor­ma­tionen beziehen sich erst auf die schulische Bildung und die anschlie­ßenden Studi­en­jahre und finden sich z. B. in Franz Brümmers Lexikon der deutschen Dichter und Prosa­isten vom Beginn des 19. Jahrhun­derts bis zur Gegenwart. Dort heißt es – in der 1913 erschie­nenen 6. Auflage – im 5. Bd. (S. 370), dass Elise Püttner »infolge der öfteren Verset­zungen ihres Vaters« sowohl in Marien­werder als auch auf den höheren Töchter­schulen in Danzig und Thorn unter­richtet worden sei und ab 1859 wieder in Danzig lebte, dass sie einige Zeit später für ein Jahr bei einer befreun­deten Familie in Thüringen weilte und dann nach Paris ging, wo sie Franzö­sisch lernte und an der Sorbonne kunst­his­to­rische Vorle­sungen hörte.

1868 war Elise jedoch plötzlich gezwungen, den ihr vorge­zeich­neten Weg einer »höheren Tochter« aus großbür­ger­lichen Kreisen zu verlassen: In diesem Jahr starb ihre Mutter, und der Vater erwartete von seiner ältesten Tochter, dass sie ihm den Haushalt führte und sich um die Geschwister kümmerte. In Danzig besuchte sie zwar noch das Lehrer­se­minar und absol­vierte sogar die Abschluss­prüfung, aber diesen Beruf, den unver­hei­ratete Frauen regel­mäßig erlernten, weil er ihnen ein hinläng­liches Auskommen sichern konnte, nahm sie gar nicht erst auf. 

Statt­dessen begann sie nun ab den 1870er Jahren eine Art Privat­studium der Geschichte und Kultur ihrer Heimat­stadt und fand dabei Mentoren in dem evange­li­schen Pfarrer und Stadt-Archivar Ernst August Karl Bertling (1838–1893) und dem (1857 in Berlin habili­tierten) Volks­kundler, Mytho­logen und Biblio­thekar Johann Wilhelm Emanuel Mannhardt (1831–1880). In dieser Zeit hatte sie 1869 auch bereits ihr erstes Buch veröf­fent­licht: das Danziger Weihnachts­märchen Was ein Pomuchel der Großmama für seine lieben kleinen Lands­leute erzählt hat

Diese stilsicher geschriebene, stimmungs­volle Geschichte gewinnt die Autorin aus einer origi­nellen Kombi­nation und Bearbeitung von Motiven des Danziger Sagen­schatzes. Der antike Mythos vom Eridanos, vom großen Fluss am Ende der Welt, den schon das griechische Altertum nicht eindeutig zu lokali­sieren wusste, wird späterhin auch auf die Radaune proji­ziert. Hier sollen – wie es Elise Püttner dann 1887 in ihrem Reise­führer durch das Ostseebad Zoppot formu­liert – die Heliaden, die ihren Bruder Phaeton beweinen, »zu ›Pappeln‹ und die ihnen unauf­haltsam entströ­menden Thränen zu Bernstein verwandelt worden sein« (S. 7). Auf diese Zusam­men­hänge spielt die Geschichte der phöni­zi­schen Königs­tochter Erida an, die die Großmutter von ihrem »Gewährsmann«, einem – in der Kaschubei als Speise­fisch äußerst beliebten – Pomuchel, erfahren haben will und nun kurz vor Weihnachten ihrer Enkelin erzählt: Erida, die auf Hela erscheint und in die Gestalt eines Hundes verzaubert wurde, besteht eine Reihe von Abenteuern, kann dabei die Tochter des Herzogs von Danzig retten und wird, als ihr der glück­liche Vater als Dankes­zeichen eine Bernstein­kette umhängt, von ihrem Bann erlöst. Nach einem kurzen Aufenthalt in Phönizien kehrt die Prinzessin mit ihrem Vater an die Ostsee zurück, gründet auf Hela ein Gemein­wesen und errichtet dort ein statt­liches Schloss.

Mit dieser Veröf­fent­li­chung hatte Elise Püttner für die Zukunft den entschei­denden Schritt von der gesell­schaft­lichen Sicherheit des Lehre­rin­nen­berufs zu einer weniger gebun­denen Existenz einer freien Autorin vollzogen – wobei das damit einher­ge­hende Risiko des wirtschaft­lichen Schei­terns durch ihr Leben innerhalb des väter­lichen Haushalts deutlich gemindert wurde. Auf diesen Rückhalt war sie aller­dings kaum angewiesen, weil bereits ihre erste Publi­kation große Resonanz fand. 

Eine erfolgreiche Dichterin

Der Erfolg ihres Erstlings­werks bestärkte Elise Püttner darin, der Gattung des Märchens weitere Facetten abzuge­winnen. Dabei wählte sie ein typisch westpreu­ßi­sches Gebäck zum Ausgangs­punkt ihrer nächsten Geschichte: die berühmten und gerade bei Kindern höchst beliebten »Thorner Kathrinchen«, die Elise Püttner gewiss während ihrer Zeit, in der sie in Thorn zur Schule gegangen war, vor Ort kennen­ge­lernt hatte. Sie lässt ein Waisenkind, den Jungen Gottlieb, der charak­terlich noch ungefestigt ist und Musikant werden soll, eine Reihe von Abenteuern bestehen. Dank diesen »Aventures« durch­läuft Gottlieb einen Bildungs­prozess; bei ihm wächst der Wunsch, den Beruf eines Konditors zu erlernen, und als er auf einer der Stationen seiner märchen­haften Reise bis in die Schweiz der Elfen­kö­nigin einen großen Dienst erweisen kann und sie ihm aus Dankbarkeit das Geheimnis der Pfefferkuchen-Produktion anver­traut, lässt er sich in Thorn nieder und begründet dort die Tradition der Lebkuchen-Bäcker:

Bald war Gottlieb weit über die Grenzen seines Vater­landes berühmt. Die Könige und Fürsten, die Armen und Geringen priesen ihn gleich sehr und feierten kein Fest, besonders nicht das liebe Weihnachtsfest, ohne sein Fabrikat, das ihn die Elfen gelehrt, und so ist es bis auf den heutigen Tag geblieben.

Elise Püttner: Das Märchen vom Thorner Pfeffer­kuchen, Danzig, 2. Aufl. 1912 (= Erzäh­lungen aus der Ostmark. VII.), S. 93.

Dieses Märchen vom Thorner Pfeffer­kuchen erschien 1872. Es fand beim Lesepu­blikum begeis­terte Aufnahme und wurde zu Lebzeiten der Verfas­serin mehrmals nachge­druckt. Mit diesem Büchlein konnte sie sich in der Öffent­lichkeit als Dichterin fest etablieren. 2019 wurde in Thorn sogar eine polnische Übersetzung publi­ziert (»Baśń o toruńskich piernikach«).

Zugleich trat Elise Püttner nun aber auch durch ihr karita­tives Wirken hervor. Schon während des Deutsch-Französischen Krieges sorgte sie sich um die Familien der Soldaten, sie engagierte sich im Vater­län­di­schen Frauen­verein sowie in weiteren Frauen­or­ga­ni­sa­tionen und arbeitete innerhalb der Danziger Abteilung des Deutschen Roten Kreuzes mit. Für ihr Wirken erhielt sie die »Kriegs­denk­münze für die Feldzüge 1870/71 für Nicht­kom­bat­tanten«. Dass sich Elise Püttner wohltä­tigen Aufgaben auch weiterhin stetig und mit großer Hingabe widmete, zeigt sich darin, dass sie 1887 – inzwi­schen in Zoppot heimisch geworden – die dortige Abteilung des Vater­län­di­schen Frauen­vereins mitbe­gründete und ihr die 1897 bzw. 1898 gestif­teten Auszeich­nungen der »Zenten­ar­me­daille« und der »Rote Kreuz-Medaille« verliehen wurden.

Litera­risch versuchte Elise Püttner, ihr Profil als Märchen-­Autorin noch weiter zu schärfen, und legte 1873 nach dem Pomuchel ein zweites »Weihnachts­märchen« vor. Anscheinend hat sich der Verlag von Theodor Bertling, der ihre ersten beiden Bücher betreut hatte, daran aber nicht inter­es­siert gezeigt; denn Ein Herz von Marzipan, so der Titel, erschien im Selbst­verlag – was wiederum auf eine respek­table Höhe der Einkünfte aus den bishe­rigen Tantiemen zu schließen erlaubt. In dieser didak­ti­schen Geschichte geht es um Alma, ein störri­sches und undank­bares Mädchen, das ein ihr geschenktes Marzi­panherz missachtet. Nachdem es aber in einem bedrän­genden Traum in Gefan­gen­schaft geraten ist und Zwänge und Demüti­gungen durchlebt hat, wandelt es sich zum Guten und weiß das Präsent nun wertzuschätzen.

Eine kundige Kulturvermittlerin

Parallel zu ihrer Märchen-Produktion kulti­vierte die Autorin einen weiteren Zweig ihrer schrift­stel­le­ri­schen Neigungen und Fähig­keiten: das Feuil­leton. Schon während ihrer Zeit in Paris hatte sie – nach Ausweis des schon zitierten Lexiko­graphen Franz Brümmer – zuweilen Beiträge für die Danziger Zeitung verfasst, und ihre kunst­his­to­ri­schen Kompe­tenzen sowie ihre ergän­zenden privaten histo­ri­schen Studien gaben ihr als begabter Schrift­stel­lerin nun die Möglichkeit, kultu­relle Themen fachlich durchaus anspruchsvoll, aber auch unter­haltsam zu erschließen. So erschien 1875 (S. 271–274, H. 16) ein Aufsatz von ihr in jenem Illus­trirten [!] Famili­en­blatt, das den anhei­melnden Titel Die Garten­laube trug und als erstes Massen­blatt der Kaiserzeit in diesem Jahr die für diese Zeit schwin­del­erre­gende Aufla­genhöhe von 382.000 Exemplaren erreichte. Dass Elise Püttner einen Beitrag in dieser Zeitschrift veröf­fent­lichte, trug somit nicht unerheblich zu ihrem Renommee bei.

In ihrem Beitrag schlägt sie ein Thema an, bei dem sie ihre detail­lierten kunst­his­to­ri­schen und stadt­ge­schicht­lichen Kennt­nisse vorzüglich mitein­ander zu verschmelzen vermag. Sie wendet sich dem inzwi­schen wieder­erstan­denen Bauwerk des früheren Danziger Franzis­ka­ner­klosters zu, in dem am 1. März 1873 feierlich das Stadt­museum Danzig eröffnet worden war. Dabei geben ihre Ausfüh­rungen zu erkennen, mit welcher Leich­tigkeit und Geschick­lichkeit Elise Püttner einen redak­tionell zwar begrenzten, aber doch großzügig dispo­nierten Text von vier Druck­seiten abwechs­lungs­reich gestaltet und wie souverän ihr Stil zwischen Ausdrucks­weisen eines Berichts, Essays oder Kommentars changiert. 

Zudem signa­li­siert schon der Titel – Pracht­stück altdeut­scher Archi­tectur im Norden –, dass die Autorin ihre Leserinnen und Leser für ihre Stadt zu gewinnen sucht. Zunächst preist sie die Vorteile des erheb­lichen Moder­ni­sie­rungs­schubs, der durch den Bau der Kanali­sation sowie der Prange­nauer Wasser­leitung ausgelöst worden ist, bedenkt dabei aller­dings auch, dass aus Rücksicht auf den »drängenden treibenden Verkehr der Jetztzeit« auch »eine charak­te­ris­tische Schönheit der Stadt zum Opfer gefallen« ist:

So schmerzvoll Danzig seine Beischläge mit den kunst­vollen Balus­traden von Stein und messing­ge­zierten Eisen­gittern, den gewal­tigen Löwen und Granit­kugeln an den Ausläufern ihrer Stein­stufen dem allge­meinen Interesse geopfert hat, so schmerzlich wird sie der Gast vermissen, der Auge und Verständniß für diese seltenen archi­tek­to­ni­schen Schätze hatte, die stolz-trotzig den Sinn des alten Danziger Patri­cier­thums illus­trirten. (S. 271)

Des Weiteren widmet sich die Autorin der Aufgabe, ihre Leser­schaft für das Franzis­ka­ner­kloster zu inter­es­sieren, weil von ihm »bisher kein kunst­ge­schicht­liches Werk« berichtet hat. »Und das ist natürlich, denn erst der neuen Zeit war die Entde­ckung seiner kunst­his­to­ri­schen Bedeutung, der aller­neu­esten sein Aufer­wecken aus Schutt und Graus zu verjüngter Schönheit vorbe­halten« (ebda).

Zunächst aber heißt es: »Blättern wir, ehe wir seine Hallen betreten, einen Augen­blick in den geschicht­lichen Aufzeich­nungen dieses Klosters« (ebda). Mit diesen Worten werden die Leser nicht nur einge­laden, die Entwicklung der Ordens­nie­der­lassung in Danzig, sondern vor allem auch die wechsel­hafte Geschichte des Bauwerks bis zu seinem Niedergang durch die Nutzung als preußische Garnison kennen­zu­lernen. Sodann aber erklingt – mit der Geste einer freund­lichen Fremden­füh­rerin – die Auffor­derung: »Treten wir näher« (S. 273). Nun steht das Gebäude im Mittel­punkt und kann von den Lesern bzw. virtu­ellen Besuchern Stockwerk für Stockwerk und Raum für Raum erkundet werden. Auf diesem Wege erfahren sie beispielsweise:

Der herrlichste und durch seine Schicksale merkwür­digste Raum des Klosters ist der Conven­tremter. Man gelangt zu ihm durch den Treppen­haus­anbau und die Vorhalle, auf welche das große Refec­torium mündet. Wie eine Lilie anmuthig entfaltet sich sein imposantes Gewölbe auf einer einzigen Säule. Und hier in diesem köstlichen Saale waren die Lazareth­küchen eingebaut gewesen! (S. 274)

Solch einen verbind­lichen, zugewandten Ton anzuschlagen, kompetent und begriffs­sicher komplexe Zusam­men­hänge zu erschließen und dabei zugleich so maßvoll vorzu­gehen, dass die gespannte Aufmerk­samkeit der Leser, besser: virtu­ellen Besucher, nicht erlahmt – damit quali­fi­zierte sich Elise Püttner als Autorin für einen Texttypus, der ihr später ein weiteres Feld ihrer schrift­stel­le­ri­schen Tätig­keiten eröffnen sollte.

Eine neue, lukrative Sparte des regionalen Buchmarkts 

1881 oder 1882 übersie­delte Elise Püttner mit ihrem inzwi­schen pensio­nierten Vater und drei Schwestern nach Zoppot. Dort griff sie auf einen Roman zurück, den sie schon 1880 in der höchst populären Form des Fortset­zungs­romans in der Danziger Zeitung veröf­fent­licht hatte und der den Titel Konrad Letzkau und seine Tochter trug. Diesen »Roman aus dem Anfange des 15. Jahrhun­derts« ließ die Autorin 1887 in drei Bänden erscheinen. Mit dieser geschlos­senen Präsen­tation eines anspruchs­vollen Werks suchte sie anscheinend Anschluss an ein beliebtes Genre der Belle­tristik in der Kaiserzeit zu finden: an den histo­ri­schen Roman. In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhun­derts veröf­fent­lichten ihre in Westpreußen lebenden Alters­ge­nos­sinnen Julie Burow (d. i. Pfannen­schmidt [1806–1868]) (Ein Bürger­meister, 1862), Clara Quandt (1841–1919) (Johannes Knades Selbst­er­kenntnis, 1880; Die Polen in Danzig, 1881) und Anna Conwentz (1858–1912) (Aufzeich­nungen eines Danziger Kloster­bruders, 1891) auch histo­rische Romane über Danzig, und von Ernst Wichert (1831–1902) war 1881 der dreibändige Roman Heinrich von Plauen erschienen, in dessen Plot der Danziger Bürger­meister Konrad Letzkau ebenfalls als handelnde Figur auftaucht und auch der hinter­hältige Mord, dem er, Bürger­meister Arnold Hecht sowie der Ratsherr Bartho­lomäus Groß am 5. April 1411 auf der Komtu­reiburg zu Danzig zum Opfer fielen, wird hier natur­gemäß thema­ti­siert. Eine weitere Parallele ergibt sich sogar bei der Wahl des Verlegers: Elise Püttner vertraute ihren Roman dem Leipziger Carl Reißner Verlag an, in dem sechs Jahre zuvor bereits Wicherts Heinrich von Plauen erschienen war.

Die Publi­kation entsprach somit gänzlich dem Zeitgeist und folgte auch den geläu­figen Erzähl­stra­tegien. Zudem hatte die Autorin die Grund­struktur der vielfältig ausge­stal­teten epischen Handlung korrekt an den Schil­de­rungen und Wertungen der älteren Stadt­his­to­riker orien­tiert und setzte durch die eigens entfaltete Geschichte von Letzkaus Tochter einen origi­nellen zusätz­lichen Akzent. Gleichwohl fand dieser Roman keine ungeteilte Zustimmung und dürfte seine Verfas­serin kaum ermutigt haben, den Weg einer Roman­cière weiterzuverfolgen.

Dieser Verzicht ist der Autorin gewiss nicht schwer­ge­fallen, denn im gleichen Jahr, in dem die Buchversion des »Letzkau«-Romans veröf­fent­licht wurde, 1887, erschien Elise Püttners Publi­kation zum Ostseebad Zoppot bei Danzig, mit der – als № 1 – zugleich das Danziger Verlags- und Druckhaus von A. W. Kafemann seine Reihe Nordost­deutsche Städte und Landschaften eröffnete. Das Buch über Zoppot richtet sich an die Sommer­gäste, die aus dem ganzen Reichs­gebiet kommen, weil sie, anders als frühere Genera­tionen, nun »mit Bewusstsein und weiterer Macht streben, Leib und Seele gesund zu baden im Urquelle des Schönen, – in der Natur« (S. 63). Das Büchlein hat aller­dings noch vornehmlich den Charakter einer Ortsmo­no­graphie, denn die Autorin erläutert »Das moderne Zoppot« – illus­triert mit acht ganzsei­tigen Fotografien – auf nur knapp 30 Prozent der reinen Textseiten. Die übrigen verwendet sie für die histo­rische Darstellung der »Küste von Zoppot in ältester und alter Zeit« sowie für die Schil­derung von »Zoppot im Mittel­alter« und von »Zoppots neuere[r] Geschichte«. 

Im folgenden Jahr vollzog Elise Püttner den Übergang zu einem »Reise­führer« im engeren Sinne, und zwar mit dem Titel Danzig – ehemalige Freie Reichs- und Hanse­stadt, jetzt Haupt­stadt der Provinz Westpreussen, den der Verlag A. W. Kafemann als № 2 seiner neuen Buchreihe veröf­fent­lichte. Hier stellt sie als »Erste Abtheilung« einen in vier Abschnitte geglie­derten und 26 Seiten benöti­genden »Abriss der Geschichte Danzigs von seinem Ursprung bis auf die neueste Zeit« voran. Daraufhin folgt die »Zweite Abtheilung« – »Die Sehens­wür­dig­keiten Danzigs« –, die ihrer­seits nun in einer deutlich verscho­benen Proportion 84 Seiten (einschließlich 19 Illus­tra­tionen) umfasst und damit hinläng­lichen Raum bietet für die Beschreibung von sieben unter­schied­lichen Routen, auf denen sich die Besucher die Stadt in ihrer Vielfalt erschließen können – sei es auf einem Rundgang oder einer Wanderung, sei es auf einem Wallspa­ziergang oder sei es bei einer Boots­fahrt auf der Mottlau und Weichsel. Abgerundet werden diese Stadt­er­kun­dungen durch zwei Abschnitte, die Hans Memlings Jüngstem Gericht sowie »Einige[n] Inschriften an Privat­häusern« gewidmet sind. 

Im Jahre 1888 begann der Verlag mit dem Erscheinen dieses zweiten Bands zugleich, die Reihe der Nordost­deut­schen Städte und Landschaften zügig zu erweitern und westpreu­ßische »Reise­führer« als feste Größe innerhalb des Buchan­gebots zu etablieren. In kurzer Folge erschienen nun beispiels­weise Führer zu Elbing (№ 3) und Königsberg (№ 4), zum Samlän­di­schen Ostsee­strand (№ 5) und zum Kurischen Haff (№ 6) sowie zu Marienburg (№ 7), so dass nur zwei Jahren später schon die – wiederum von Elise Püttner verfasste – № 8, Jäsch­kental und der Johan­nisberg bei Danzig, heraus­ge­geben werden konnte. (Unter dem Titel »Jaśkowa Dolina i Góra Jana nieopodal Gdańska« wurde das Buch übrigens 2015 in einer polni­schen Übersetzung neuerlich publi­ziert.) Mit dieser Serie reagierte der Kafemann-Verlag auf die sich deutlich abzeich­nende Tendenz der 1880er Jahre, im Zuge der breiteren Nachfrage von Sommer­frischlern nach lohnenden Reise­zielen den einzelnen Orten und Städten ein klares Profil zu verleihen und ihre Attrak­ti­vität hervor­zu­heben. Vor diesem Hinter­grund wird unmit­telbar plausibel, warum sich im »Danzig«-Führer auch ein ausge­dehnter, farblich abgesetzter Teil findet, in dem über 20 Seiten lang Danziger Fabri­kanten, Händler und Dienst­leister für ihre Produkte und Angebote werben. Im Prozess der Kommer­zia­li­sierung von Freizeit übernahmen die Inserenten damit eine eigen­ständige Rolle.

Nicht zuletzt zeigt diese rasch expan­die­rende Buchreihe freilich auch, dass in diesen Jahren »Westpreußen« gezielt und geradezu syste­ma­tisch als Reiseland erschlossen wurde; – und an diesem Vorhaben nahm Elise Püttner in den folgenden mehr als zwei Jahrzehnten regen Anteil. 1901 erschien ein Kleiner Führer durch Danzig […] mit 12 Illus­tra­tionen und Plänen von Stadt und Umgebung, der das »Geschicht­liche« auf gut drei Seiten abhandelt und dann innerhalb des umfang­reichen Kapitels über die »Stadt mit ihren Sehens­wür­dig­keiten« die Inter­essen von Gästen mit einem begrenzten Zeitkon­tingent berück­sichtigt und ihnen die Möglichkeit eröffnet, die wichtigsten Punkte Danzigs und seiner Umgebung in vier Tages­touren aufzu­suchen. Zusätzlich bietet das Büchlein nicht nur einen Anzei­genteil, der nahezu die Hälfte des Gesamt­um­fangs ausmacht, sondern zusätzlich einen redak­tio­nellen sieben­sei­tigen »Anhang« mit mannig­fachen Infor­ma­tionen: von »Hôtels«, Bierhallen oder »Cafés und Condi­to­reien« über Bäder, Garten­lokale, Kunst- und wissen­schaft­liche Sammlungen oder Theater bis zu »Consu­laten«, Banken, Kranken­häusern und »Danziger Specia­li­täten«. Das gesamte Konzept ist folglich erheblich direkter auf die konkreten indivi­du­ellen Bedürf­nisse eines Besuchers hin zugeschnitten.

Einen weiteren Beitrag zum einschlä­gigen Sortiment des Verlages A. W. Kafemann leistete Elise Püttner mit ihrem Führer durch Luftkurort und Seebad Oliva – mit der ehema­ligen Zisterzienser-­Abtei gleichen Namens, der 1904 als № 14 in die Reihe der Nordost­deut­schen Städte und Landschaften aufge­nommen wurde. Zwei Jahre später (1906) legte die Autorin schließlich eine Neufassung ihres Danzig-Führers – der № 2 – vor, in der sie eine Fülle prakti­scher Hinweise gibt und zugleich einge­hende Erläu­te­rungen der Sehens­wür­dig­keiten und der histo­ri­schen Grund­lagen bietet. Zudem konzen­triert sie sich nicht allein auf die Haupt­stadt, sondern nimmt auch andere bedeu­tende Kreis­städte kurz in den Blick. Dadurch gelang es der Autorin, aus ihren bishe­rigen publi­zis­ti­schen Ansätzen gleichsam die Summe zu ziehen und einen unter­schied­lichen Inter­essen genügenden und die ganze Provinz erfas­senden Reise- und Fremden­führer durch Westpreussen zu veröffentlichen.

Nicht gänzlich übergangen werden soll, dass Elise Püttner zu dieser Zeit auch noch einmal einen poeti­schen Text verfasst hat: das Libretto für das Oratorium Das Schloß am Meer, das von Franz Johann Carl Joetze (1839–1914) vertont und am 15. Februar 1906 im Zoppoter Kurhaus urauf­ge­führt wurde. Dabei zeigte sich die Dichterin durchaus als experimentier- und nicht zuletzt risiko­freudig, denn bis dahin hatte sie sich noch niemals mit den Möglich­keiten und Anfor­de­rungen der Versform auseinandergesetzt.

* * *

Mit dem vielge­le­senen Märchen vom Thorner Pfeffer­kuchen und den Reise- und Fremden­führern, an deren Entwicklung Elise Püttner sich rege betei­ligte, verfügte die Autorin über einen Fundus, der ihr den Zufluss von Tantiemen garan­tierte: allein der Danzig-­Führer erlebte bis zum Jahre 1910 sechs Auflagen. Gleichwohl setzte sie auch nach der Jahrhun­dert­wende die stets weiter­be­triebene journa­lis­tische Tätigkeit – vornehmlich in der Danziger Zeitung, späterhin auch in der Zoppoter Zeitung – fort und sicherte sich dank den Honoraren regel­mäßige Einnahmen für ihren Lebens­un­terhalt – und vermutlich auch für denje­nigen einiger ihrer Schwestern, mit denen sie nach dem Tode des Vaters (1892) über lange Zeit zusammenlebte.

Greifbar sind in den Zeitungs­ar­chiven beispiels­weise die Jahrgänge 1920 bis 1923 der Zoppoter Zeitung, die die Beiträge aus den letzten Lebens­jahren der nun schon hochbe­tagten Publi­zistin umfassen. Die Themen der Artikel reichen von schwärmerisch-­poetischen Schil­de­rungen einer »Farben­sym­phonie am Himmel bei Sonnen­un­tergang« über verglei­chende Betrach­tungen zwischen dem alten und dem neue Zoppot bis zu patrio­ti­schen Appellen, sich den sozialen Problemen der Gegenwart zu stellen und dabei vor allem die Arbeit der Frauen­vereine zu unter­stützen – denn, so stellte Elise Püttner fest, nach dem Kriege liege der Wieder­aufbau des Vater­landes nun in der Hand der deutschen Frau. Im Spektrum der politi­schen Positionen schließlich blieb sie weiterhin – und als Westpreußin nach der Umsetzung der in Versailles beschlos­senen »Vierteilung« der Provinz erst recht – ihren deutsch­na­tio­nalen Überzeu­gungen treu. So gab sie in einem Beitrag der zuver­sicht­lichen Hoffnung Ausdruck, dass »die Marienburg nicht nur ein hervor­ra­gendes Bau- und Kunst­denkmal im Osten«, sondern »auch als Wahrzeichen des Deutschtums immerdar ein Kleinod der Ostmark« bleiben möge.

Bei aller Unter­schied­lichkeit der Themen und Inten­tionen bestätigt die Lektüre dieser späten journa­lis­ti­schen Arbeiten das vertraute Bild einer stilsi­cheren, diffe­ren­ziert wie prägnant formu­lie­renden Schrift­stel­lerin, die trotz ihres sprach­lichen Anspruchs ihre Leser nie aus dem Blick verliert. Elise Püttner gelang es somit, bis zum Ende ihres Lebens als Publi­zistin im öffent­lichen Diskurs präsent zu bleiben. Sicherlich: Einer Autorin von Romanen, die dem Zeitge­schmack gehorchten, einer Journa­listin sowie auch ­einer Verfas­serin von Reise­führern, die natur­gemäß rasch veralten, flicht die Nachwelt – um Friedrich Schillers Wort aus dem Prolog zu Wallen­steins Lager zu variieren – ebenso wenig Kränze wie dem Mimen (wenngleich sich heutzutage in Polen ein neues kultur­ge­schicht­liches Interesse zu formieren scheint). Gleichwohl bildet diese ­Autorin eine bedeu­tende Reprä­sen­tantin für den engeren Bereich einer spezi­fisch westpreu­ßi­schen Litera­tur­ge­schichte sowie ein anschau­liches Beispiel für die Möglich­keiten von Frauen in der Kaiserzeit, den – einge­stan­de­ner­maßen noch engen – Spielraum für ihre kreativen Begabungen als Grundlage für eine sozial respek­tierte und wirtschaftlich eigen­ständige Existenz zu nutzen.

Janusz Mosakowski