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Wirtschaft und Kultur – Einblicke in das Leben der Mennoniten in Westpreußen

Von Astrid von Schlachta

1635 schrieb der hol­län­di­sche Legations­sekretär Charles Ogier auf einer Rei­se durch Preu­ßen könig­li­chen Anteils: „Die Hol­län­der sind’s, die jene Land­schaf­ten tro­cken­leg­ten und die nutz­lo­sen Sümp­fe mit­tels gegra­be­ner lan­ger Kanä­le und Was­ser­läu­fe in Acker­land, Wie­sen und Gär­ten vol­ler Früch­te ver­wan­del­ten.“ Unter die­sen Hol­län­dern waren vie­le Täu­fer, die im 16. Jahr­hun­dert aus den ver­schie­dens­ten Grün­den nach Dan­zig, in den Mari­en­bur­ger Wer­der sowie nach Elb­ing und Thorn ein­ge­wan­dert waren. Obwohl, oder gera­de weil die poli­ti­schen Struk­tu­ren auf­grund der unter­schied­li­chen Herr­schafts­rech­te sehr ver­schach­telt und kom­plex waren, ent­wi­ckel­ten sich natür­li­che Schutz­räu­me für die Täu­fer. Denn die Städ­te ver­such­ten nicht sel­ten, die Täu­fer zu instru­men­ta­li­sie­ren, um ihre Eigen­stän­dig­keit gegen­über dem pol­ni­schen König zu unter­strei­chen und ihre Eman­zi­pa­ti­on zu för­dern. Der Zuzug der Täu­fer war, wie gene­rell in der Frü­hen Neu­zeit, durch Pri­vi­le­gi­en gere­gelt: Tole­rie­rung gegen Auf­la­gen. Beson­ders wich­tig und fast über­all beglei­tend zu den Pri­vi­le­gi­en fest­ge­legt wur­de das Ver­bot für die Täu­fer, Kon­ver­ti­ten zu machen. Doch die­se Tole­rie­rung durch Pri­vi­le­gi­en war stets eine Tole­rie­rung auf Zeit und auf Wider­ruf. Und meist war sie ver­bun­den mit hohen Geld­zah­lun­gen, etwa der dop­pel­ten Accise, oder Schutz- und Schirmgeld.

Dan­zig spielt für die täu­fe­ri­sche Geschich­te als eine der bedeu­tends­ten Han­dels­städ­te der Ost­see­re­gi­on eine beson­de­re Rol­le. Sie war ver­gleich­bar mit jener der nie­der­län­di­schen Städ­te oder Kre­felds, wo sich die Täu­fer in das auf­stre­ben­de Wirtschafts- und Han­dels­sys­tem der Stadt ein­pass­ten und erfolg­rei­che Hand­wer­ke und Han­dels­un­ter­neh­men eta­blier­ten. Auch in den Vor­städ­ten, auf bischöf­li­chem Gebiet, etwa in Alt-Schottland, sie­del­ten sich Täu­fer an. Nach Elb­ing zogen im 16. Jahr­hun­dert eben­falls vie­le Täu­fer, wobei sie hier auf noch güns­ti­ge­re Bedin­gun­gen tra­fen als in Danzig.

Integration in die Gesellschaft – Wirtschaft und Handel

Wie bereits das Zitat von Charles Ogier zum Aus­druck bringt: Den Ein­wan­de­rern kam eine bedeu­ten­de Rol­le in der Kul­ti­vie­rung, Ent­wäs­se­rung und Ein­dei­chung des Weich­sel­del­tas zu. In Dan­zig selbst stie­gen die Men­no­ni­ten rasch im Gewer­be und im Han­del auf. 1661 waren drei Vier­tel der Men­no­ni­ten Kauf­leu­te, Spe­di­teu­re und Fak­to­ren, die im Auf­trag hol­län­di­scher Fir­men den Han­del lenk­ten. Das rest­li­che Vier­tel war tätig in der Her­stel­lung und im Ver­trieb von Posa­men­te­rie­wa­ren (d. h. Bor­ten, Lit­zen und Fran­sen) und als Spi­ri­tuo­sen­bren­ner. Zu den bekann­ten Pro­duk­ten des letzt­ge­nann­ten Zwei­ges gehör­ten die Likö­re und Brannt­wei­ne der Fir­ma Lachs, die seit 1598 im Haus Zum Lachs von Men­no­ni­ten her­ge­stellt wur­den. Beson­ders erfolg­reich war das Dan­zi­ger Gold­was­ser. Die Fir­ma Stob­be gelang­te mit ihrem Schnaps Machan­del eben­falls zu eini­ger Berühmt­heit. Doch Men­no­ni­ten waren auch im Ingenieur- und Bau­we­sen tätig. So zeich­ne­te einer von ihnen, Adam Wie­be, für die Kon­struk­ti­on der ers­ten Schwe­be­seil­bahn ver­ant­wort­lich. Wie­be (1584–1653) bau­te 1644 eine Mate­ri­al­seil­bahn, um die Vor­städ­ti­sche Bas­ti­on in Dan­zig zu ver­sor­gen. Und der Men­no­nit Peter Wil­ler (1635–ca. 1700) wirk­te als Bau­meis­ter, Was­se­r­in­ge­nieur, Kar­to­graph und Kupferstecher.

Die Men­no­ni­ten in Dan­zig wur­den zwar wirt­schaft­lich erfolg­reich, blie­ben recht­lich jedoch immer in einer unsi­che­ren Lage. Sie ver­füg­ten in der Stadt bis zum Jahr 1800 nicht über das Bür­ger­recht, was Pro­ble­me unter ande­rem beim Grund­be­sitz und beim Ver­er­ben nach sich zog. Anders gestal­te­te sich die Situa­ti­on in Elb­ing. Dort hat­ten ein­zel­ne Men­no­ni­ten schon im 16. Jahr­hun­dert das Bür­ger­recht, auch wenn es immer wie­der Debat­ten dar­über gab. In Dan­zig dage­gen waren Men­no­ni­ten nur „Gedul­de­te“ und durf­ten unter ande­rem auch nicht Mit­glied der Zünf­te sein. Somit lie­ßen sich Strei­tig­kei­ten über Rech­te und Pflich­ten gut instru­men­ta­li­sie­ren, denn es ging um Ver­dienst und Gewinn sowie um „Markt­an­tei­le“ – und das Argu­ment „die Men­no­ni­ten stö­ren“ konn­te jeder­zeit akti­viert und reak­ti­viert werden.

Kla­gen ein­zel­ner Berufs­grup­pen über die men­no­ni­ti­sche Kon­kur­renz gab es regel­mä­ßig, bei­spiels­wei­se von den Destil­lie­rern Dan­zigs. 1664 beschwer­ten sie sich in einer Ein­ga­be an den Stadt­rat, dass die Men­no­ni­ten in „aller­lei Wol­lust und Üppig­keit leben“ wür­den, was „wir Distil­li­rer ins­ge­sambt nicht einem Men­no­ni­ten gleich thun kön­nen“. Ihr Wachs­tum wür­de vor allem, so die Destil­ler, daher kom­men, dass sie als gro­ße Grup­pe fest zuein­an­der hiel­ten und von nie­man­dem ande­ren, als nur von ihren Glau­bens­ge­schwis­tern kau­fen und an sie ver­kau­fen wür­den. Auch ihre Grund­zu­ta­ten wür­den die Men­no­ni­ten bei Schiffs­leu­ten bezie­hen, von denen der größ­te Teil Men­no­ni­ten sei, die ihnen auch Zucker, Anis und „der­glei­chen aus Hol­land umb den bes­ten preiß“ ver­kauf­ten. Der Vor­wurf lau­te­te also nicht nur, die Men­no­ni­ten wür­den sich abseits der zünf­ti­schen Nor­men eini­gen Wohl­stand erar­bei­ten, son­dern bezog sich auch auf die Vor­macht kon­fes­sio­nel­ler Netz­wer­ke, die bis in die men­no­ni­ti­sche Pro­duk­ti­on und in den men­no­ni­ti­schen Han­del in Dan­zig rei­chen wür­den: eine nahe­zu geschlos­se­ne Gesell­schaft mit mono­pol­ar­ti­gen Aus­prä­gun­gen, was Ein­kauf und Ver­kauf betraf. Die Stig­ma­ti­sie­rung, die Men­no­ni­ten wür­den als „frem­de Sek­tie­rer“ den „ein­hei­mi­schen“ Gewer­be­trei­ben­den in der Stadt die „But­ter vom Brot“ neh­men, war da nicht mehr fern.

Kon­kur­renz waren auch jene Men­no­ni­ten, die sich außer­halb Dan­zigs auf bischöf­li­chem Gebiet, etwa in Alt-Schottland, ange­sie­delt hat­ten, von dort mit ihren Gewer­ben jedoch nach Dan­zig hin­ein­drück­ten. Die Dan­zi­ger Abge­ord­ne­ten beschwer­ten sich 1571 beim Land­tag von Thorn, dass sich vie­le Händ­ler auf bischöf­li­chem Gebiet nie­der­lie­ßen, die aus aller­lei Natio­nen und aus „schäd­li­chen Sek­ten“ sei­en, was ein Hin­weis auf Men­no­ni­ten war. Die­se Neu­an­kömm­lin­ge wür­den den Bür­gern der Stadt Dan­zig zum Nach­teil gerei­chen, und ihnen „gleich das Brodt aus dem Maul zie­hen“. Des­we­gen soll­te man sehr sorg­sam und enga­giert sol­che „schäd­li­che, eigen­nüt­zi­ge, ver­däch­ti­ge und got­tes­läs­ter­li­che Leu­te aus dem­sel­ben Schott­lan­de“, also der Dan­zi­ger Vor­stadt Alt-Schottland, aus­wei­sen. Noch ein wenig schär­fer klingt es 1675. Die Men­no­ni­ten wür­den nicht nur im Han­del eine Macht dar­stel­len, son­dern auch vie­le Hand­wer­ke bestim­men, etwa die Bor­ten­ma­cher, Schnei­der, Schus­ter und ähn­li­che. All die­se wür­den still­schwei­gend gedul­det, der Bür­ger­schaft „fast alle Nah­rung“ neh­men und „müs­sen der Men­nis­ten Skla­ven sein“. Dar­über hin­aus wür­den die Men­no­ni­ten in der Stadt „die bes­te und nahr­haf­ti­ges­te Örter und Woh­nun­gen besitzen“.

Einer der Kri­tik­punk­te gegen­über den Men­no­ni­ten bezog sich auf die übli­che Ver­bin­dung von Hand­werk und Han­del, so dass die For­de­rung vor­ge­bracht wur­de, Her­stel­lung und Ver­trieb zu tren­nen, um die macht­vol­le Stel­lung der Men­no­ni­ten zu bre­chen. 1648 ent­schied der Stadt­rat daher, im Sin­ne die­ser For­de­run­gen vor­zu­ge­hen: „Weil Frem­de mit Frem­den zu han­deln nicht befugt und zwi­schen Bor­ten­ma­cher und Bor­ten­händ­lern ein not­wen­di­ger Unter­schied zu hal­ten ist.“ Men­no­ni­ten beschwer­ten sich dar­auf­hin und schrie­ben eine Ein­ga­be an den Rat der Stadt. Sie stell­ten fest, dass die Bor­ten­wir­ker bereits seit „Uhr­al­ten Zei­ten“ die Frei­heit hät­ten, mit Pas­se­men­ten (Kor­deln und Fran­sen) zu han­deln. Zugleich wie­sen sie dar­auf hin, dass die­se unge­recht­fer­tig­ten Anschul­di­gun­gen schon seit län­ge­rer Zeit gegen sie ver­wen­det wür­den. Das gesell­schaft­li­che Kli­ma bes­ser­te sich jedoch nicht, son­dern der Wind weh­te den Men­no­ni­ten nun noch etwas rau­er um die Nase. In der Fol­ge ver­lie­ßen eini­ge Täu­fer Dan­zig und zogen über die Weich­sel in die Neh­rung sowie in den zur pol­ni­schen Kro­ne gehö­ren­den Gro­ßen Werder.

Wirt­schaft­li­che Grün­de waren auch aus­schlag­ge­bend für die Grün­dung einer Men­no­ni­ten­ge­mein­de in Königs­berg, die 1722 ent­stand und direk­te Ver­bin­dun­gen nach Dan­zig hat­te. Die­se neue Gemein­de war zwar gedul­det und mit Pri­vi­le­gi­en aus­ge­stat­tet, aber eben­falls nicht dau­er­haft gesi­chert. Seit 1716 hat­te es bereits pri­va­te Ver­samm­lun­gen gege­ben – „in aller Stil­le“ und „ohne rumor“, wie es im Pri­vi­leg heißt. In die­sem Jahr erteil­te der Magis­trat der Stadt Knei­phof, einer der drei 1724 ver­ei­nig­ten Königs­ber­ger Städ­te, dem Men­no­ni­ten Johann Peter Sprunk die Erlaub­nis, sich in der inne­ren Vor­stadt nie­der­zu­las­sen, um eine Brannt­wein­de­stil­la­ti­on zu eröff­nen. Der Erlaub­nis ging auch hier der Wunsch nach einer Erwei­te­rung der Gewer­be in der Stadt vor­aus, denn in Königs­berg gab es nie­man­den, der den Brannt­wein „nach Dan­zi­ger Art“ destil­lie­ren konn­te. Das Schlupf­loch für einen Men­no­ni­ten war also, ein Hand­werk zu betrei­ben, das ein typisch men­no­ni­ti­sches gewor­den war: die Branntweinbrennerei.

Schwan­kun­gen in den Lebens­mo­da­li­tä­ten täuferisch-­menno­nitischer Exis­tenz, die von den jewei­li­gen gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen abhin­gen und ent­we­der zu wohl­wol­len­der Auf­nah­me oder zu Stig­ma­ti­sie­rung füh­ren konn­ten, las­sen sich auch in Elb­ing nach­ver­fol­gen. Dort herrsch­te eigent­lich zunächst ein sehr offe­nes Kli­ma, das Täu­fern Chan­cen auf Nie­der­las­sung und wirt­schaft­li­che Ent­fal­tung bot. Dies zeig­te sich unter ande­rem auch dar­an, dass ihnen das Bür­ger­recht gewährt wur­de und ihnen erlaubt war, ohne Eid­schwur Bür­ger zu wer­den. Als sich die wirt­schaft­li­che Lage in Elb­ing jedoch ver­schlech­ter­te, wur­den die Men­no­ni­ten zuneh­mend als unlieb­sa­me Kon­kur­renz wahr­ge­nom­men. Der Rat der Stadt änder­te in die­ser Zeit sei­ne Poli­tik und instal­lier­te klei­ne Hür­den – wie die Zah­lung von Schutz­geld oder neue Prak­ti­ken beim Eid­schwur. Ab 1682 muss­ten die Men­no­ni­ten bei der Eides­leis­tung mit Ja oder Nein die Hand auf die Brust legen, was sie als Ver­let­zung ihrer Gewis­sens­frei­heit ansahen.

Ähn­lich ambi­va­lent gestal­te­ten sich Äuße­run­gen zur Tole­rie­rung der Täu­fer, die sich in den Schrif­ten der preu­ßi­schen Kur­fürs­ten und Köni­ge fin­den, wie etwa im Fall König Fried­rich Wil­helms I. gezeigt wer­den kann. Waren die Täu­fer für die Wirt­schaft wich­tig, for­cier­te er ihre Ein­wan­de­rung. Erga­ben sich Pro­ble­me oder erbrach­ten die Täu­fer nicht den erhoff­ten Nut­zen, so zog der König ande­re Ein­wan­de­rer vor. Im Zusam­men­hang mit der Ansied­lung von Men­no­ni­ten in Preußisch-Litauen ist das Zitat über­lie­fert: „sehr wahr ist die menon­is­ten schweit­zer mein Ruin“. Und wei­ter heißt es: „Ich will von das geschmei­ße nit – Ihre kin­der wer­den nit sold­ah­ten – Ist guht sol­che leut­te vor Par­ti­cu­lier, aber nit vor groß her­ren.“ Über die Men­no­ni­ten in Kre­feld ist dage­gen fol­gen­de Aus­sa­ge des preu­ßi­schen Königs über­lie­fert: „Die Men­no­nis­ten wol­len zwar nicht in den Krieg gehen, ich muss aber auch Leu­te haben, die mir Geld schaffen.“

Mennoniten zwischen Absonderung und Integration –  kulturelles und geistliches Leben

Das täu­fe­ri­sche Leben war nicht nur von sei­nen äußer­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen immer wie­der Ver­än­de­run­gen unter­wor­fen, son­dern auch das kul­tu­rel­le und geist­li­che Leben der Gemein­den und ihrer Glie­der beweg­te sich stets auf einer Ska­la, die von Tra­di­tio­na­li­sie­rung bis Erneue­rung und Auf­bruch, von der alten Pra­xis der Abson­de­rung, die als wesent­lich für das Glau­bens­le­ben gese­hen wur­de, bis hin zu dem Wunsch ging, als erfolg­rei­che Kauf­leu­te auch poli­tisch mit­spre­chen zu wol­len – und sich somit aus der Abson­de­rung her­aus­zu­be­ge­ben. Für die Gemein­den selbst erga­ben sich aus die­sen Ent­wick­lun­gen und Ver­än­de­run­gen immer wie­der span­nungs­rei­che Dis­kus­sio­nen und Konflikte.

Einen inter­es­san­ten Ein­blick in die Debat­ten, die sich um die Bewah­rung des Alt­be­währ­ten und den Wunsch nach Erneue­rung dreh­ten, gibt ein sich im frü­hen 18. Jahr­hun­dert abspie­len­der Streit um das Tra­gen von Perü­cken. In der Zeit ent­sprach es dem Schön­heits­ide­al, dass auch ein Mann sich eine Perü­cke – als Sta­tus­sym­bol – auf den Kopf setz­te. Die Men­no­ni­ten, die man zunächst viel­leicht gar nicht damit in Ver­bin­dung bringt, dem neu­es­ten Mode­trend zu fol­gen, blie­ben von die­ser Ent­wick­lung nicht unbe­rührt. Ange­sto­ßen wur­de der sich um das Perü­cken­tra­gen dre­hen­de Streit durch den Sohn bzw. den Schwie­ger­sohn des Dan­zi­ger Ban­kiers Jan van Hoek. Sie waren nach einem Auf­ent­halt in Ams­ter­dam in ihre Gemein­den Dan­zig und Mar­kus­hof im Klei­nen Mari­en­bur­ger Wer­der zurück­ge­kehrt und hat­ten die neue Mode des Perücken-Tragens mit­ge­bracht, was in der tra­di­tio­nell aus­ge­rich­te­ten men­no­ni­ti­schen Gesell­schaft Dan­zigs für viel Zwis­tig­kei­ten sorg­te. So ver­wei­ger­te der Ältes­te der Men­no­ni­ten­ge­mein­de den Zurück­ge­kehr­ten das Abend­mahl, denn sei­ner Mei­nung nach bedeu­te­te das Tra­gen von Perü­cken, gegen die „alte gewohn­te“ zu han­deln und eine „neue­rung“ einzuführen.

Der Streit zog sei­ne Krei­se bis in den Stadt­rat hin­ein, der sich ein­schal­te­te, da die jun­gen Män­ner um Unter­stüt­zung gegen die als unrecht­mä­ßig emp­fun­de­ne Kir­chen­zucht gebe­ten hat­ten. Aus den Rei­hen des Stadt­rats kamen denn auch Auf­for­de­run­gen an die Ältes­ten der Gemein­de, alle Maß­nah­men gegen die jun­gen Män­ner zurück­zu­neh­men. Die Ältes­ten hiel­ten dage­gen und wie­sen dar­auf hin, dass man gera­de als Men­no­nit sich ruhig und unauf­fäl­lig ver­hal­ten soll­te – und dem stün­de das Perücke-Tragen ent­ge­gen. Es gäbe, so hieß es, immer genug Leu­te, die „wün­schen, dass wir aus dem Land wären“. Und die Ältes­ten hol­ten noch wei­ter aus, indem sie bemerk­ten, selbst die Fürs­ten und gro­ßen Her­ren im Land wür­den kei­ne Perü­cken auf­set­zen, obwohl sie alt sei­en und „fast kei­ne haar auf dem haub­te“ hätten.

Auch die Kunst hat­te es unter den Men­no­ni­ten des 18. Jahr­hun­derts schwer, sich in den preußisch-polnischen Gebie­ten an der Ost­see durch­zu­set­zen, was unter ande­rem der Maler Enoch See­mann zu spü­ren bekam. See­mann wur­de 1697 vom Ältes­ten der Dan­zi­ger Gemein­de, Georg Han­sen, gebannt, weil er als Por­trät­ma­ler gegen das 2. Gebot gehan­delt habe: Du sollst Dir kein Bild machen. Ganz gene­rell ging es in der Aus­ein­an­der­set­zung jedoch schnell um Male­rei an sich. Denn die Ältes­ten brach­ten auch die Fra­ge in die Dis­kus­si­on ein, ob Land­schaft – eigent­lich ja unver­däch­tig – nicht eben­falls als „Geschöpf Got­tes“ anzu­se­hen sei, und somit glei­cher­ma­ßen als „nicht mal­bar“ ein­ge­stuft wer­den soll­te. See­mann ver­tei­dig­te sei­ne Kunst der Porträt- und Land­schafts­ma­le­rei vehe­ment und ver­such­te, sei­ne Kon­tra­hen­ten mit der Wer­bung an ihren eige­nen Läden zu schla­gen. Er argu­men­tier­te näm­lich, dass die Läden der men­no­ni­ti­schen Krä­mer auch mit Laden­schil­dern ver­se­hen sei­en, auf denen Bil­der sei­en – und dies ver­sto­ße dann offen­kun­dig doch nicht gegen das Bildnisverbot.

See­mann fand sei­ne Wider­sa­cher in der flä­misch aus­ge­rich­te­ten Dan­zi­ger Men­no­ni­ten­ge­mein­de, die als sehr kon­ser­va­tiv galt. Und dies brach­te eben eine wesent­lich kon­se­quen­te­re und stren­ge­re Gemein­de­zucht mit sich, bei der der Bann kei­ne Sel­ten­heit war. Der bereits zitier­te Gesandt­schafts­se­kre­tär Charles Ogier beschrieb die fla­misch gepräg­ten Men­no­ni­ten 1636 als „stil­le, beschei­de­ne, sehr geschick­te Hand­wer­ker“. Sie trü­gen eine „gedie­ge­ne, unauf­fäl­li­ge, meist dunk­le Tracht“; ihre Frau­en hät­ten an ihren Klei­dern, die aus fei­nen, gewähl­ten Tuchs­or­ten (Came­lot und Tur­quie) bestan­den, „kei­ner­lei Bor­ten oder Zier­rat“. Bestimm­te Klei­der­far­ben, Schuh­for­men, Kra­gen­ar­ten, Haar- und Bart­trach­ten waren nicht gedul­det; auch nicht der Besitz von Spie­geln oder Bil­dern und eben beson­ders kei­ner Porträts.

Simon Rues, ein luthe­ri­scher Geist­li­cher, beschrieb noch 1743 in sei­nem Werk Auf­rich­ti­ge Nach­rich­ten von dem gegen­wär­ti­gen Zustan­de der Men­no­ni­ten oder Tauf­ge­sinn­ten die Ein­fach­heit und Schlicht­heit men­no­ni­ti­schen Lebens. So wür­den es die Dan­zi­ger Men­no­ni­ten als Sün­de anse­hen und auch den Bann aus­spre­chen, wenn eine Fami­lie Gemäl­de an den Wän­den hän­gen hät­te, Möbel mit Por­zel­lan oder kost­ba­ren Glä­sern schmück­te, – „ja, wenn man gar auf die Thor­heit gerie­the, wie sie sagen, um sich selbst­en abmah­len zu las­sen; wenn man […] vor die Obrig­keit gien­ge, um vor der­sel­ben Kla­ge zu führen.“

Nach die­sem Streif­zug durch das wirt­schaft­li­che und kul­tu­rel­le Leben der Men­no­ni­ten im Land an der unte­ren Weich­sel bleibt fest­zu­hal­ten: Die täuferisch-mennonitische Land­schaft war in den preußisch-polnischen Regio­nen an der Ost­see äußerst viel­fäl­tig, recht­lich und ter­ri­to­ri­al sehr unter­schied­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen unter­wor­fen und von häu­fi­gen klein­räu­mi­gen Migra­tio­nen, Ansied­lungs­wün­schen und ‑ableh­nun­gen sowie von Ver­trei­bun­gen geprägt. Die preußisch-polnischen Gebie­te an der Ost­see ste­hen somit exem­pla­risch für eine Kon­stan­te täu­fe­ri­scher Exis­tenz in der Frü­hen Neuzeit.

Die Zuwan­de­rung und Dul­dung von Men­no­ni­ten war stets eine hoch­po­li­ti­sche Fra­ge; ihre Exis­tenz war pre­kär und nie auf Dau­er gesi­chert. Die Kla­gen gegen die Über­macht der men­no­ni­ti­schen Gewer­be­trei­ben­den zogen sich in der gesam­ten Frü­hen Neu­zeit durch die poli­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on der preußisch-polnischen Gebie­te an der Ost­see. Und es wird deut­lich, dass es jeweils nicht nur eine Moment­auf­nah­me war, die in den Men­no­ni­ten eine weit­ge­hend geschlos­se­ne Gesell­schaft und somit eine Macht am Markt sah. Die kon­fes­sio­nel­le Kohä­renz wirk­te sich bis in Hand­werk und Han­del aus, wenn­gleich Ten­den­zen der sozio­kul­tu­rel­len Ent­wick­lung auch bis ins Inne­re der Gemein­den vor­dran­gen, was die Viel­falt men­no­ni­ti­schen Lebens deut­lich macht.

Für die poli­ti­sche Obrig­keit ergab sich eine dau­er­haf­te Span­nung zwi­schen dem Wunsch, die Täu­fer und Men­no­ni­ten zu dul­den, weil man sich einen wirtschaftlich-monetären Vor­teil erhoff­te, und der Reak­ti­on auf die wirt­schaft­lich moti­vier­ten Kla­gen aus den Rei­hen der ande­ren Gewer­be­trei­ben­den, dass die men­no­ni­ti­sche Über­macht zu groß wür­de und die „Ein­hei­mi­schen“ zu kurz kämen. Die Men­no­ni­ten waren also wirt­schaft­lich zwar erwünscht und auf­grund ihrer inno­va­ti­ven Hand­wer­ke gesuch­te Unter­ta­nen, doch gleich­zei­tig in einer inso­fern unge­si­cher­ten Posi­ti­on, als sich für sie der Wind mit der wirt­schaft­li­chen Groß­wet­ter­la­ge immer ändern konnte.