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Das Idyll der Dünen, das Flackern des Krieges

Zum 150. Geburtstag des Malers Ernst Bischoff-Culm

Von Alexander Kleinschrodt

Nidden auf der Kurischen Nehrung wurde berühmt als Ort der Entspannung und Inspiration, den unter anderem Max Pechstein oder Thomas Mann aufgesucht haben. Weniger bekannt ist eine der Gründungsfiguren der sogenannten Künstlerkolonie, der Maler Ernst Bischoff-Culm. Vor 150 Jahren, am 13. März 1870, wurde er – der Künstlername lässt es erahnen – im westpreußischen Kulm geboren.

Wie schreibt man eine Würdigung einer Person, von der man wenig weiß ?  Von dem Maler Ernst Bischoff-Culm sind vielleicht einige Dutzend Werke erhalten, seine Lebens­daten sind überliefert und seine Adresse in Berlin-Schöneberg, wo er Anfang des 20. Jahrhun­derts lebte. Aber sonst? Ein gemaltes oder fotogra­fi­sches Porträt existiert nicht, ob er Frau und Kinder hatte, wäre vielleicht in der als verschollen geltenden alten Berliner Melde­kartei zu erfahren gewesen. Auch Selbst­zeug­nisse zum Beispiel aus Briefen scheinen nicht mehr vorhanden zu sein.

Rekonstruktionen

Die Kunst­his­to­ri­kerin Johanna Cordes stieß 2015 bei den Recherchen für ihre Master­arbeit an der TU Berlin auf Ernst Bischoff­­Culm. Der „noch immer lebhafte Ruf“ des Künstlers bewog sie, sich genauer mit ihm ausein­an­der­zu­setzen: „Bis dato existierte keine Monographie über ihn, wie konnte es dazu kommen? Das Unerforschte faszi­nierte mich.“ Cordes trug alle auffind­baren biogra­fi­schen Infor­ma­tionen zusammen, hat das Werk Bischoff-Culms neu gesichtet und dem Bild des Künstlers etwas klarere Konturen verliehen.

Bereits der Name Ernst Bischoff-Culm wirft Fragen auf. Johanna Cordes vermutet, dass Ernst Bischoff sich schon während des Studiums an der Berliner Akademie ab 1890 einen Künst­ler­namen gab, indem er seiner Identität einen Verweis auf seine Geburts­stadt hinzu­fügte: Aus dem in der westpreu­ßi­schen Kreis­stadt Culm geborenen jungen Ernst Bischoff wurde so der Kunst­maler Bischoff-Culm – „ein bei gebräuch­lichen Nachnamen nicht unüblicher Vorgang“, wie Cordes anmerkt. Erinnert sei in diesem Zusam­menhang lediglich an die 1864 in Thorn geborene Malerin Julie Wolf, die sich späterhin Julie Wolfthorn nannte. Die Familie Ernst Bischoffs muss später nach Elbing gezogen sein, denn nachge­wiesen ist, dass er ab 1876 dort das Gymnasium besuchte und schließlich das Abitur ablegte. Obwohl Bauwerke und Stadt­an­sichten ansonsten nicht zu seinen bevor­zugten Motiven gehörten, dokumen­tiert eine Veröf­fent­li­chung des Elbinger Magis­trats aus den zwanziger Jahren in kleinen Schwarz-Weiß-Abbildungen zwei Ansichten der dortigen Marien­kirche aus der Hand von Ernst Bischoff-Culm. Die eine zeigt eine Außen­an­sicht, die andere den Kreuzgang der heute als Kunst­ga­lerie genutzten ehema­ligen Kloster­kirche. Über den Verbleib dieser Gemälde ist nichts bekannt.

Seinem Studium in Berlin, wo Ernst Bischoff-Culm dann später auch seinen Lebens­mit­tel­punkt hatte, und der Vervoll­stän­digung seiner Ausbildung an der privaten Académie Julian in Paris waren ab 1887 Lehrjahre an der Kunst­aka­demie in Königsberg voraus­ge­gangen. Um Anregungen und Motive zu finden, war es dort üblich, auf ausge­dehnte Exkur­sionen in die Region zu gehen. Schon 1888 kam Ernst Bischoff – damals noch ohne seinen Namens­zusatz Culm – so erstmals in den Ort Nidden. Auf das Fischerdorf aufmerksam gemacht hatte ihn offenbar der Tiermaler Heinrich Krüger, der in diesem Umfeld Eindrücke der dort lebenden Elche gewann, ein damals recht beliebtes Bildmotiv.

Treff­punkt am Rande der „Preußi­schen Sahara“

Nidden liegt auf dem heute zu Litauen gehörenden Teil der Kurischen Nehrung und ist unter dem Namen Nida in der Gemeinde Neringa aufge­gangen. Die Lage des Ortes ist eigen­tümlich. Dem ruhigen Kurischen Haff zugewandt, hat er den Wind der Ostsee im Rücken, die nur zwei Kilometer entfernt auf der anderen Seite der schmalen Landzunge anbrandet. Der Fußweg vom Haff zum Meer führt durch den Wald, doch südlich von Nidden breitet sich eine Dünen­land­schaft aus, durch die heute die Grenze zwischen Litauen und Russland verläuft. Immerhin haben somit beide Staaten Anteil an der Eintragung der Nehrung als UNESCO-Welterbe. Im 19. Jahrhundert soll das Fischerdorf Nidden zu den ärmsten Orten im König­reich Preußen gehört haben. Dennoch – oder auch gerade deswegen – wurde es zu einem Sehnsuchtsort. Man pries das einfache Leben der Bevöl­kerung mitten in dieser einsamen und anscheinend „unver­dor­benen“ Landschaft, die mal mit Italien verglichen, mal wegen der für die Städter fremd anmutenden Dünen­ge­bilde als „preußische Sahara“ bezeichnet wurde.

Für die Künstler und die gar nicht so wenigen Künst­le­rinnen, zunächst vor allem aus Königsberg, war Nidden also eine idyllische Umgebung. Dass der Ort aber als Künst­ler­ko­lonie bekannt wurde, scheint ohne Hermann Blode kaum denkbar gewesen zu sein. Blode betrieb in Nidden ein Gasthaus und verstand es, die Künstler an sich zu binden – wohl auch dadurch, dass er als Bezahlung für einen Aufenthalt gelegentlich auch Gemälde annahm. Von dem Haus sind aus der Zeit um die Jahrhun­dert­wende reizvolle Postkar­ten­an­sichten erhalten. Zunächst mutet es noch schlicht an, spätere Fotos zeigen eine großzügige Veranda, die sich zum Haff hin öffnet und mit in dichter Hängung angebrachten Arbeiten der bei Blode ein- und ausge­henden Maler ausge­stattet ist.

Für den im Gasthaus Blode sich nach und nach etablie­renden Künst­ler­kreis wurde Ernst Bischoff-Culm zu einer Gründungs- und Leitfigur. Das geht zumindest aus Texten und Erinne­rungen anderer Anwesender hervor, die zudem die „gemüt­liche Eintracht“ des Künst­ler­treffs lobend erwähnen. Mit seiner hier entstan­denen Malerei hat Ernst Bischoff-Culm wahrscheinlich seinen Teil zur Bekanntheit Niddens beigetragen. Da er in Berlin Mitglied der Sezession geworden war, wurden seine Gemälde in den viel beach­teten Ausstel­lungen der Künst­ler­gruppe gezeigt. Wie Johanna Cordes heraus­ge­funden hat, war Bischoff-Culm etwa ab 1908 auch als Lehrer an der König­lichen Akademie der Künste in Berlin tätig. Die Verbindung zwischen Berlin und Nidden könnte das weiter gestärkt haben.

Vom „Menschenmaler“ zum Expressionisten

Im Mittel­punkt vieler Gemälde Bischoff-Culms stehen die Bewohner der Nehrung und ihre Lebens­ver­hält­nisse. Er zeigt die Arbeit der Fischer, genauso häufig aber auch die der Frauen, die zum Beispiel am Strand Reisig sammeln. Es waren solche Motive, die ihm den Ruf eines ausge­wie­senen „Menschen­malers“ einbrachten. Wohl vor allem als Auftrags­ar­beiten entstanden auch Porträt­bilder. Eines davon ist für die Geschichte der Künst­ler­ko­lonie Nidden besonders inter­essant: Es zeigt Hermann Blode, den Gastwirt und Künst­ler­freund, ein gleich­ar­tiges Bildnis seiner Frau Emma Blode ist von Bischoff-Culm ebenfalls erhalten. Während die beiden 1910 entstan­denen Halbfiguren-Porträts eher statuarisch-streng erscheinen, hielt Bischoff-Culm einzelne Menschen auch in indivi­du­ellen Moment­auf­nahmen fest. Drei Jahre nach den Blode-Porträts entstand das Gemälde Mädchen mit Hunden, das später, wie ein Foto aus den zwanziger Jahren belegt, auf der Veranda im Gasthaus Blode ausge­stellt war. Das Bild zeigt ein von mehreren kleinen Hunden umringtes Kind, dessen Haltung treffend die Freude am Spiel mit den Tieren, aber auch seine Aufregung, wenn nicht eine gewisse Ängst­lichkeit zum Ausdruck bringt.

Weniger dynamisch, aber ebenso charak­te­ris­tisch wirken Bischoff-Culms unter­schied­liche Darstel­lungen namenlos bleibender Frauen. Gemälde wie Auf dem Weg zur Kirche (um 1906), Fischerfrau im Sonntags­staat (um 1900) oder die Bäuerin in Landschaft (um 1910) bleiben in der Wahl und Erfassung des Sujets noch recht erwartbar. Das Bild Lesendes Mädchen von 1904 hingegen entzieht sich gewissen Klischees des einfachen Lebens, zeigt die Konzen­tration der in das Buch vertieften Frau als privaten Moment der Stille. Noch persön­licher und unkon­ven­tio­neller ist das undatierte, in Privat­besitz befind­liche Portrait eines jungen Mädchens. Wie beiläufig fällt hier der Blick auf eine wohl durch den Nehrungswald laufende junge Frau in der rechten Bildhälfte, ihr Blick ist „nachdenklich, verträumt und müde“, wie Johanna Cordes treffend schreibt. Die Darstellung ist verschattet und diffus, nur die rote Jacke der Frau bringt einen Farbakzent ins Spiel. Heutige Betrach­te­rinnen und Betrachter können sich hier fast an die Bilder von Gerhard Richter erinnert fühlen.

Ernst Bischoff-Culm war aber ansonsten kein Avant­gardist, der mit ungewöhn­licher Motiv­auswahl oder Malweise überrascht hätte. Spätestens seit seinem Studi­en­auf­enthalt in Paris hielt er sich an die Darstel­lungs­weisen des frühen Impres­sio­nismus. So zeigt zum Beispiel das Gemälde Walther Heymann auf der Kurischen Nehrung die Landschaft der Nehrung in flächiger, kontrast­reicher Malweise. Das Gesicht des „Nehrungs­dichters“, der mit Bischoff-Culm eng befreundet war, ist dagegen gedeckter gehalten und genau ausge­ar­beitet, Heymanns Blick weist in die Ferne. Johanna Cordes hat aber auch darauf hinge­wiesen, dass Ernst Bischoff-Culm in seinem Spätwerk noch ein „partiell dem Expres­sio­nismus zugewandter Künstler wurde“. Der beste Beleg dafür scheint die Farbli­tho­graphie Der Brand zu sein. Sie erschien 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, als Teil des von verschie­denen Künstlern gestal­teten Zyklus Krieg und Kunst. Ein Feuer ist auf dem Bild gar nicht zu sehen, nur ein in heftigen schwarzen Linien skizziertes Paar vor einer Hauswand. Beide, Mann und Frau, blicken starr vor sich hin. Nur das flackernde Licht auf der sie umgebenden Wand, ein Farbfächer aus Gelb, Rot, Blau und Grün, lässt einen sehr nahen Brand und damit den Grund ihrer Verstörung erahnen.

Auch andere Kriegs­dar­stel­lungen von Bischoff-Culm sind in diesem Stil gehalten. Er selbst war vermutlich schon 1915 zum Kriegs­dienst einge­zogen worden und hatte zu diesem Zeitpunkt wohl bereits eigene Erfah­rungen an der Front in Frank­reich gesammelt. Das Kriegsende hat Bischoff-Culm nicht mehr erlebt. Bei einem Granat­treffer verlor er beide Hände und setzte seinem Leben daraufhin am 29. Juli 1917 selbst ein Ende. Ein Nachruf der Berliner Sezession verklärte das brutale Schicksal des Künstlers als „Heldentod“, erinnerte aber auch an den Kollegen und Menschen Bischoff-Culm: „Seine gutmütige, liebens­würdige Art, sein trockener Humor halfen uns oft über manche schwere Stunde hinweg.“ Ernst Bischoff-Culms zwölf Jahre jüngerer Freund Walther Heymann, der „Nehrungs­dichter“, war bereits 1915 in Frank­reich gefallen.

Spuren der Künstlerkolonie

Trotz allem: Die Künst­ler­ko­lonie Nidden hatte auch nach dem Ersten Weltkrieg weiter Bestand, erlebte sogar eine neue Blüte. Ihr neuer Mittel­punkt wurde Max Pechstein, der auch eine neue stilis­tische Ausrichtung mitbrachte. Der Maler Ernst Mollen­hauer, der zu dieser Zeit den Gasthof von Hermann Blode übernommen hatte, erinnerte sich später, dass Nidden sich nun „zu einer ‚Brücke-Filiale‘“ entwi­ckelt habe: „Die farben­starken Werke mit dem unver­kenn­baren Einschlag ins Expres­sio­nis­tische wirkten bestechend, galten als Revolution in der bishe­rigen Anschauung.“ Neue Aufmerk­samkeit schließlich erregte Thomas Mann auf Nidden, der sich dort 1929 ein Sommerhaus erbaute, wobei der Schrift­steller auch auf das Preisgeld des im selben Jahr an ihn verlie­henen Nobel­preises zurück­zu­greifen vermochte. Vor seiner Emigration aus Deutschland 1933 konnte Mann aller­dings nur noch drei Sommer in Nidden verbringen. Sein Haus existiert aber bis heute und wird bereits seit 1996 als litauisch-deutsches Kultur­zentrum genutzt. Auch das Gasthaus Blode ist in verän­derter Form erhalten. Noch immer befinden sich hier ein Hotel und inzwi­schen sogar ein kleines Museum, das an Hermann Blode erinnert.

Gemälde aus Nidden sind heute ein ­Sammlungs­schwerpunkt des Ostpreu­ßi­schen Landes­mu­seums in Lüneburg. Zu dem Bestand, den der Kustos und stell­ver­tre­tende Museums­leiter Jörn Barfod betreut, gehören auch einige Werke von Ernst Bischoff-Culm. Im Jahr 2009 hat Barfod außerdem ein dichtes, dank vieler Abbil­dungen auch sehr stimmungs­volles Buch über die Künst­ler­ko­lonie Nidden veröf­fent­licht. Weitere Werke von Bischoff-­Culm, der zwar in Westpreußen geboren, dann aber doch vor allem als Ostpreuße wahrge­nommen wurde, befinden sich in Regensburg, im Kunst­forum Ostdeutsche Galerie. Johanna Cordes glaubt, dass der Künstler durchaus noch auf größeres Interesse stoßen könnte. Auch auf Überra­schungen ist sie gefasst: „Bischoff-Culm ist vor allem in Sammler­kreisen sehr beliebt und es tauchen nach wie vor Arbeiten von ihm auf.“

Die Reproduktionen der Werke von Ernst Bischoff-Culm erfolgen mit freundlicher Genehmigung des Ostpreußischen Landesmuseums in Lüneburg.