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Ein Stadtplan als Zeitmaschine

Vor zwan­zig Jah­ren erschien im Truso-Verlag ein Doppel-Stadtplan. Er beruh­te auf einer von Wal­ter Groß­jo­hann und Hans-Jürgen Schuch 1992 ent­wor­fe­nen Vor­la­ge, die den Zustand der Stadt vom Anfang des Jah­res 1945 wie­der­gibt, und bot zudem eine zwei­te, sepa­rat aus­falt­ba­re Kar­te mit dem Bestand der Stra­ßen und ihrer Namen aus dem Jah­re 1999. Zum genau­en Ver­gleich war der pol­ni­sche Plan zudem noch­mals auf einen Pergament-Bogen gedruckt wor­den, der sich exakt auf die his­to­ri­sche deut­sche Kar­te legen ließ.

Mit die­ser (inzwi­schen ver­grif­fe­nen) Edi­ti­on lie­ßen sich die ein­ge­tre­te­nen Ver­än­de­run­gen gut nach­voll­zie­hen und ver­an­schau­li­chen, die Map­pe mit den drei Falt­kar­ten war vor Ort aber kaum prak­tisch zu nut­zen. Des­halb ist es hoch erfreu­lich, dass der Elb­in­ger Ver­lag Uran solch ein Dop­pel in einem hand­li­chen For­mat neu her­aus­ge­ge­ben hat. Es han­delt sich um eine sehr schö­ne Aus­ga­be in einem qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gen Farbdruck.

Der von Wal­ter Groß­jo­hann und Hans-Jürgen Schuch rekon­stru­ier­te Plan von 1945 wird (im Maß­stab 1 : 12.500) unver­än­dert über­nom­men, nun aber wird ihm ein aktu­el­les Stadt-Bild an die Sei­te gestellt, das nicht mehr die hand­greif­li­che Kon­gru­enz der Schich­ten, son­dern stär­ker die Unter­schie­de betont :  Elb­ing zeigt sich jetzt als ein moder­ner, urba­ner Gesamt­or­ga­nis­mus mit neu­er Flä­chen­pla­nung und einem groß­zü­gig dis­po­nier­ten Stra­ßen­netz. Die­ser Ein­druck wird noch dadurch ver­stärkt, dass der Plan von 2015 in einem ver­grö­ßer­ten Maß­stab gezeigt wird und dadurch noch prä­sen­ter wirkt.

Die­se Edi­ti­on lädt somit dazu ein, den Blick zwi­schen zwei eng ver­wand­ten, aber nach 70 Jah­ren doch auch deut­lich ver­schie­de­nen Städ­ten hin und her schwei­fen zu las­sen. Exem­pla­risch ist das Ver­hält­nis zwi­schen Fort­be­stand und Ver­än­de­run­gen schon an den Stra­ßen­na­men zu erken­nen. Eini­ge von ihnen wur­den bei­be­hal­ten und nur ins Pol­ni­sche über­setzt. Dies betrifft z. B. den Alten Markt (Sta­ry Rynek), die Brück­stra­ße (Mos­to­wa) oder die Schmiede‑, Fischer- und Flei­scher­stra­ße. Die Heilig-Geist-Straße hat ihren Namen eben­falls behal­ten (ul. Swie­te­ga Ducha), wur­de aber (um 1990) geteilt. Der öst­li­che Teil vom Alten Markt bis zur Fried­rich­stra­ße wur­de in Heiligabend-Straße (Wigi­li­j­na) umbenannt.

Eine beson­de­re „Über­set­zung“ erfuhr die frü­he­re Tan­nen­berg­al­lee, deren neu­er Name sich natür­lich an der Schlacht von 1410 ori­en­tiert und nach deren in Polen übli­cher Loka­li­sie­rung bei Grun­wald (Grün­fel­de) jetzt Grun­waldzka Ale­ja heißt. Des Wei­te­ren fal­len auf der einen Sei­te etli­che neue Tras­sen auf, für die es gar kei­ne deut­schen Namen gab, auf der ande­ren Sei­te war es durch den Aus­gang des Zwei­ten Welt­krie­ges mit sei­nen Fol­gen einer deut­schen Bevöl­ke­rung nicht mehr gege­ben, Stra­ßen­na­men im Plan von 1945 aus der NS-Zeit umzu­be­nen­nen, wie es in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land üblich war.

Zusätz­lich zu den bei­den Stadt­plä­nen bie­tet die neue Aus­ga­be ein deutsch-polnisches Stra­ßen­ver­zeich­nis, einen Über­sichts­plan über den Ober­län­di­schen Kanal, eine klei­ne pol­ni­sche Kar­te der Regi­on West- und Ost­preu­ßen von 1945 sowie einen knap­pen Ein­füh­rungs­text in Pol­nisch, Rus­sisch, Deutsch und Englisch.

Der sehr kurz gefass­te geschicht­li­che Über­blick bedürf­te eigent­lich eini­ger Kor­rek­tu­ren. Kurz nach der ver­nich­ten­den Nie­der­la­ge, die dem Deut­schen Orden in der Schlacht bei Tan­nen­berg 1410 durch ein polnisch-litauisches Uni­ons­heer zuge­fügt wor­den war, hul­dig­te die Stadt zwar dem König von Polen, der Rat der Stadt begrün­de­te die­sen Schritt gegen­über dem Orden aller­dings spä­ter­hin damit, dass er gegen sei­nen Wil­len dazu gezwun­gen wor­den sei, und gab die Elb­in­ger Burg an den Orden zurück. Erst nach­dem der Preu­ßi­sche Bund dem Orden als Lan­des­her­ren dann im Febru­ar 1454 tat­säch­lich den Treue­eid auf­ge­kün­digt und den König von Polen als Schutz­her­ren aner­kannt hat­te, gehör­te die Stadt am Ende des unse­li­gen 13-jährigen Krie­ges zwi­schen dem Orden und Polen durch den Zwei­ten Thor­ner Frie­den 1466 zum „Preu­ßi­schen Lan­de Königlich-Polnischen Anteils“. Dort blieb es aber eine rela­tiv unab­hän­gi­ge Stadt­re­pu­blik. Der König von Polen war seit­dem Ober­herr oder Schutz­herr des Lan­des, sei­ne ab 1569 unter­nom­me­nen Ver­su­che, aus dem west­li­chen Preu­ßen eine pol­ni­sche Pro­vinz zu machen, gelan­gen aber zu kei­ner Zeit vollständig.

Eine sol­che Akzen­tu­ie­rung wäre ange­mes­se­ner, auf der­art knap­pem Raum jedoch wohl kaum zu rea­li­sie­ren. Unge­ach­tet die­ser Detail-Kritik ist aber in hohem Maße lobens­wert, dass ein Elb­in­ger Stadt­plan, der sich offen­bar vor­nehm­lich an Tou­ris­ten rich­tet, die deut­sche Ver­gan­gen­heit der­art pro­mi­nent in das Gesamt­bild der Stadt inte­griert und den Besu­che­rin­nen und Besu­chern eine span­nen­de Zeit­rei­se ermög­licht. Dies wäre ein exzel­len­tes Vor­bild auch für ande­re Städ­te im Land an der unte­ren Weichsel !

Hans-Jürgen Klein