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Georg Forster – Der Welterkunder in Wörlitz

Am 10. Januar 2019, vor 225 Jahren, starb Georg Forster. Geboren und aufgewachsen im Danziger Werder, avancierte er in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einem bedeutenden, vom Geist der Aufklärung durchdrungenen Wissenschaftler, Schriftsteller und letztlich Revolutionär. Im Umfeld dieses Gedenktages wird Forsters Wirken nun im Gartenreich Dessau-Wörlitz mit der ersten Dauerausstellung in der Bundesrepublik Deutschland gewürdigt.

Im UNESCO-Weltkulturerbe Garten­reich Dessau-Wörlitz verbirgt sich seit Jahrzehnten ein einma­liger Sammlungs­be­stand an bedeu­tenden ethno­lo­gi­schen Objekten aus dem 18. Jahrhundert :  Die Wörlitzer Südsee-Sammlung. Sie kam während der England­reise, die Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740–1817) mit seiner Gattin Louise (1750–1811) im Jahre 1775 unternahm, in dessen Besitz. Der Fürst wird wie kaum ein anderer Landesherr in Europa wegen seines Reform­willens, seiner nie nachlas­senden Neugierde und seiner vielsei­tigen Inter­essen zu den größten Aufklärern seiner Zeit gezählt. Im Rahmen des Wörlitzer Georg-Forster-Jahres 2018 / 2019 hat die Kultur­stiftung Dessau-Wörlitz den ethno­lo­gi­schen Schatz neu gehoben und ermög­licht der Öffent­lichkeit sukzessiv wieder den Zugang in einer umfas­senden Dauerausstellung.

Südsee-Romantik – Welterkundung – Aufklärung

Von der Resolution – dem Dreimaster Captain Cooks – bis zur Revolution in Mainz :  Der erste Teil der Georg-Forster-Dauerausstellung in Schloss und Park Wörlitz nimmt Leben, Werk und Wirkung des großen Europäers und Weltbürgers in den Blick. Am 6. Mai 2018 wurde im Schloss Wörlitz die von Frank Vorpahl kuratierte Dauer­aus­stellung für den 1754 in Nassen­huben im Danziger Werder geborenen und aufge­wach­senen Georg Forster eröffnet. Er war Mitbe­gründer der ersten deutschen Republik („Mainzer Republik“ 1793/94), zusammen mit seinem Vater Reinhold Forster (1729–1798) Weltrei­sender an der Seite von Captain James Cook (1728–1779), Pionier der deutschen Reise­li­te­ratur und mit seinem Vater einer der Wegbe­reiter der modernen Ethno­graphie sowie Stifter der berühmten Wörlitzer Südsee-Sammlung. Die Ausstellung ist für Besuche­rinnen und Besucher im Rahmen von Führungen im Schloss Wörlitz zu besichtigen.

Forster, der Welterkunder

40.000 Seemeilen, eine Strecke fast bis zum Mond, legte der britische Seefahrer James Cook zur Vermessung des Pazifi­schen Ozeans auf der ersten europäi­schen Weltum­se­gelung in Ostrichtung zurück. Georg Forster, der Natur­zeichner an dessen Seite, kehrte 20-jährig nach 1.111 Tagen Weltreise als mehrfacher Rekord­halter heim :  Kein Deutscher vor ihm hatte mehr von der Welt gesehen. Über 50 Inseln hatten er und sein Vater zwischen 1772 und 1775 besucht, ein Dutzend ozeani­scher Kulturen kennen­ge­lernt, mehr als 600 bis dahin unbekannte Tier- und Pflan­zen­arten entdeckt, gezeichnet und beschrieben. Niemals zuvor war ein Europäer trotz antark­ti­scher Eismassen tiefer zum Südpol vorge­stoßen. Während der Reise sammelten Vater und Sohn Forster eine große Fülle an Ethno­gra­phica, aus deren Fundus sie Fürst Franz bei seinem Besuch in England im Jahr 1775 eine Auswahl zum Geschenk machten. Seit dem 24. Juli hielt sich das Paar aus Anhalt-Dessau in London auf, um den Forsters unmit­telbar nach deren Rückkehr von ihrer dreijäh­rigen Weltreise mit James Cook in No. 16, Percy Street, Rathbone Place, einen Besuch abzustatten und somit mehr über deren gerade beendete Expedition zu erfahren. Noch waren die Forsters damit beschäftigt, ihre „Südsee-Kuriositäten“ auszu­packen, zu ordnen, wissen­schaftlich zu katalo­gi­sieren und für die Weitergabe an Sammler, Gelehrte und Univer­si­täten vorzubereiten.

Das Fürstenpaar war extrem beein­druckt von der Bereit­wil­ligkeit, mit der die Forsters sie schon bald nach dem Kennen­lernen mit Raritäten aus dem Südpa­zifik beschenkten. Sie durften sich die fremd­ar­tigen Objekte sogar selbst auswählen. Insgesamt konnte Fürst Franz eine kleine, doch veritable ethno­lo­gische Sammlung von etwas mehr als 30 Objekten nach Anhalt-Dessau – genauer :  nach Wörlitz – mitnehmen.

Kostbare Originale – präsentiert nach 250 Jahren

Georg Forsters handschrift­liche Südsee-Notizen, Cooks Logbuch, die ersten Bilder von Frauen und Männern der Südsee in Europa, dazu die überwäl­tigend schönen Zeich­nungen von blühenden Bäumen Tahitis und Pinguinen am Südpol, festge­halten von Forsters eigener Hand :  Erstmals finden diese raren Original-­Zeugnisse der Weltum­seglung in einer Forster-Ausstellung zusammen. In den Augen Georg Forsters betraf die wichtigste Erkenntnis der Reise jedoch das Wesen der Bewohner unseres Planeten. Die Natur des Menschen – so die Quint­essenz seiner Welterkundung – ist überall gleich. Für diese Erkenntnis trat er selbst gegen den „Weltweisen aus Königsberg“, den Philo­sophen Immanuel Kant (1724–1804), an – als Anwalt gegen den Rassismus seiner Zeit :  „Alle Völker der Erde haben gleiches Anrecht auf meinen guten Willen. So zu denken, war ich immer gewohnt.“

Forster, der Jakobiner

Die Idee der Gleichheit ließ Forster nie mehr los. Und so fuhr der damals noch unbekannte Alexander von Humboldt (1769–1859), der seinen Lehrer Georg Forster zeitlebens den „hellsten Stern“ seiner Jugend nannte, mit ihm ins revolu­tionäre Paris, begeistert von den Idealen der franzö­si­schen Revolution. Als das franzö­sische Revolu­ti­onsheer beim Zurück­schlagen deutscher Inter­ven­ti­ons­truppen den Rhein überquerte, schlug im Frühjahr 1793 auch in deutschen Landen die Stunde der Revolution. Zwanzig Jahre nach seiner Weltreise stellte sich Georg Forster, inzwi­schen ein bekannter Gelehrter und Schrift­steller und zu dieser Zeit Leiter der Univer­si­täts­bi­bliothek Mainz, an die Spitze der „Mainzer Republik“, – aller­dings erst nach anfäng­lichem Zögern, denn seiner Ansicht nach waren die Deutschen für die Umsetzung der Revolu­ti­ons­ideale noch nicht genug vorbe­reitet. Um den Bestand dieses ersten demokra­ti­schen Aufbruchs in Deutschland zu sichern, setzte sich Forster als einer von drei Abgeord­neten des Rheinisch-Deutschen Natio­nal­kon­vents im Pariser Natio­nal­konvent für die Verei­nigung der „Mainzer Republik“ mit dem Land der „freien Franken“ ein. Sein Motto :  „Nur freie Menschen haben ein Vaterland ! “

Forster beim Fürsten in Wörlitz

Umso überra­schender :  Der Brief­wechsel zwischen dem künftigen Jakobiner Georg Forster und Fürst Franz, dem spätfeu­dalen Herrscher von Anhalt-Dessau. „Dass Fürsten auch Menschen sein können, wenn sie nur wollen“, stellte Georg Forster erstaunt fest, als er im Frühjahr 1779 in Schloss Wörlitz ein „Faullenzer­leben“ führen und mit dem Fürstenpaar zwei Wochen ganz familiär verbringen konnte. Er war voller Respekt für die Bemühungen des Fürsten um die Bildung seiner Unter­tanen, die er im Dessauer Philan­thropin, dem 1774 eröff­neten fortschritt­lichen Erziehungs- und Bildungs­in­stitut der Residenz­stadt, studieren konnte. Bei seiner Visite in Anhalt-Dessau vertiefte Forster zudem das Wissen über die exoti­schen „Südsee-Curiositäten“ der Wörlitzer Südsee-­Sammlung und vermit­telte weitere Einsichten, insbe­sondere in die Kultur Polynesiens.

Re-Inszenierung einer sinnlichen Erzählung

Die Ausstellung im Wörlitzer Schloss unter­nimmt den Versuch, das eindrucks­volle Südsee-„Colleg“, das Georg Forster vor fast 250 Jahren an selber Stelle vor dem Fürstenpaar und seinen Gästen hielt, anhand von Forsters Reise-Aufzeichnungen zu rekon­stru­ieren. Zum Schurz einer Tänzerin von Raiatea gesellt sich so die Zeichnung Poeduas, der Tochter des Hohepriesters der Insel, die in England zum Sinnbild des Tahiti-Mythos wurde. Georg Forster bewun­derte sie beim Hiwa, dem polyne­si­schen „Tanztheater“. Die Noten, die er dort notierte, verwandeln sich nun erstmals in Klänge. Das anthro­po­lo­gische Artefakt einer Haarprobe verbindet sich mit dem Duft der Tiaré-Blüten, die sich die Tänze­rinnen beim Hiwa in einen hoch aufra­genden Turban aus Haar steckten, von dem die Haarprobe vermutlich stammt.

Eine Schatten-Galerie für den Eisenhart

Auch die Spuren von Forsters Wörlitz-Visite in der Garten-Architektur sind mit Beginn des Georg-Forster-Jahres ab Mai 2018 wieder deutlich geworden. Zu den eindrucks­vollsten gehört der „Südsee-Pavillon“ am westlichen Zugang zum Wörlitzer Park. Wenige Monate nach Forsters Visite beauf­tragte Fürst Franz seinen Hofar­chi­tekten Friedrich Wilhelm von Erdmanns­dorff (1736–1800), ein neues Bauwerk zu konzi­pieren. Aus Backsteinen und dem Lava ähnelnden Rasen­ei­sen­stein, wurde nun der sogenannte „Eisenhart“ über einem der Kanäle des Wörlitzer Landschafts­gartens errichtet. Während ein Pavillon die Garten­bi­bliothek enthalten sollte, wurde der „Südsee-Pavillon“ als öffentlich zugäng­liches Gebäude für die Präsen­tation der Sammlung vorge­sehen. Doch Feuch­tigkeit und der „Zahn der Zeit“ setzten dem Gebäude zu. Heute sind die Artefakte in High-Tech-Vitrinen im Schloss besser aufge­hoben. Der Südsee-Pavillon wird nunmehr zum Schau­platz einer Instal­lation :  Eine Schatten-Galerie erinnert dort an die Geschichte der Südsee-Sammlung und den bemer­kenswert fortschritt­lichen Vorgriff des Fürsten von Anhalt-­Dessau auf die bürger­liche Insti­tution des Museums.

Freilegung der Tahiti-Blickachse

Eine kleine Sensation gab es bereits zu Beginn des Forster-­Jahres :  Die Freilegung der Tahiti-Blickachse auf dem Eisenhart. Erscheint die Stein­plattform, auf der sich Südsee- und Bibliotheks­-Pavillon erheben, in der Süd-Perspektive als venezia­ni­scher Brücken­bogen, so ergibt sich von Westen her eine ganz andere Perspektive :  die Ansicht einer doppel­stu­figen Pyramide. Ein Staffa­gebau des Hofar­chi­tekten Friedrich Wilhelm von Erdmanns­dorff, der an einen polyne­si­schen Kultplatz, an einen Marae, erinnert. Vermutlich der einzige seiner Art außerhalb Ozeaniens !  Einmal mehr suchte Fürst Franz hier das Nützliche – Bibliothek und Museum – mit dem Schönen zu verbinden. Die lange überwu­cherte und nun wieder­ent­deckte Tahiti-Blickachse wird dem Besucher durch ein neues infor­ma­tives Schau­plateau am Eisenhart präsentiert.

Rolf Siemon
Dieser redaktionell bearbeitete Beitrag beruht im Wesentlichen auf Texten von Frank Vorpahl, die von der Pressestelle der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz auf deren Homepage (www.gartenreich.de) zugänglich gemacht worden sind. Er wird hier mit der freundlichen Genehmigung der Rechteinhaber veröffentlicht.

Im Juni 2019 erscheint, herausgegeben von Frank Vorpahl, im Hirmer Verlag, München, ein zweisprachiger (deutsch / englischer) Katalog aller Ethnographica der Wörlitzer Südseesammlung mit Beiträgen u. a. von Michael Ewert, Dieter Heintze, Jana Kittelmann, Andreas Pečar, Uwe Quilitzsch, Ludwig Uhlig und Frank Vorpahl. Er ist gebunden, umfasst ca. 240 Seiten mit ca. 200 Farbabbildungen und wird 39,90 Euro kosten (ISBN: 978–3‑7774–3179‑6).