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Die Herrschaft Runowo

Schlossruine erzählt Vergangenheit

Von Hans-Jürgen Schuch †

Die von der Stadt Vandsburg im Landkreis Zempelburg nach Südwesten in den Landkreis Wirsitz zur Stadt Lobsens verlau­fende Straße führt nach 4 km durch das Straßendorf Runowo. Auf der linken Straßen­seite des Dorfes befindet sich der im Laufe der Nachkriegszeit zu einem kleinen Wäldchen gewordene ehemalige Gutspark. Eine deutlich erkennbare Einfahrt erschließt die Zufahrt zum Schloss­ge­lände des früheren Ritter­gutes Runowo. Sie führt zu der Stelle, an der 1860 hinter dem heute wald­ähnlichen Park das neue Herrenhaus gebaut worden ist. Es handelte sich um ein aus zwei Flügeln bestehendes Schloss. Bei Kriegsende 1945 wurde das statt­liche Gebäude zu einer Ruine :  groß, eindrucksvoll und zum Nachdenken einladend. In den letzten gut 70 Jahren hat sich kaum etwas verändert. Der lange Zeit rund um das Gebäude herum liegende Schutt wurde dann doch beseitigt und die Wege wurden freigelegt. Vor der Haupt­front des Schlosses breitet sich heute eine große Wiese aus. Sie wird von Zeit zu Zeit gemäht. Alles sieht sauber und ordentlich aus, man möchte sagen :  gepflegt – aber dennoch vergessen. Die starken Mauern des ausge­brannten Schlosses trotzen dem Wetter im Sommer wie Winter und auch sonstiger Unbill. An die Wiese grenzt der Kleine Runowoer See. Er ist verbunden mit dem etwas weiter östlich gelegenen, sehr viel größeren Großen Runowoer See. Die heutige Wiese, das Wäldchen und die Runowoer Seen bildeten früher den 18 ha großen Schlosspark. Beide Seen lassen erahnen, wie schön es hier wohl früher gewesen sein mag. Die Natur ist es immer noch.

Das Schloss könnte wahrscheinlich jederzeit restau­riert werden. Vermutlich gibt es jedoch keine Nutzungs­per­spektive, die die nicht unerheb­lichen Wieder­her­stel­lungs­kosten recht­fer­tigen würde. Nicht aus jedem Schloss lässt sich ein Hotel, eine Tagungs- oder Erholungs­stätte machen. Die abseits der Straße und hinter Bäumen versteckt stehende eindrucks­volle Ruine erinnert an die wechsel­volle Vergan­genheit dieser einstigen Herrschaft Runowo. Aber wer sucht diesen Erinne­rungsort auf, wer lässt sich hier erinnern ?  Von der Geschichte dieser großen Begüterung wie von derje­nigen des Schlosses und seiner Bewohner liegt viel im Dunkeln, eine Menge unter dem Schutt des Vergessens. Alles sollte freigelegt werden.

Von der Gründung bis zum Ende des Ersten Weltkrieges

Es waren Zister­zi­en­ser­mönche, die das Gut 1325 gründeten und anschließend 66 Jahre, bis 1391, als Kloster nutzten. Die unmit­telbar folgenden Eigen­tümer sind nicht alle bekannt. Ein Dobislaus Runge wird bereits 1391 als Besitzer genannt. Aus dem Jahr 1511 ist der Name Orzelski überliefert und 1595 soll ein Jan Orzelski das Gutshaus gebaut haben. Dieser Jan Orzelski war wohl auch 1607 der Bauherr der katho­li­schen Kirche aus Stein, die die Vorgän­ger­kirche aus Holz ersetzte. Im Laufe der Zeit gehörte das Gut nachein­ander mehreren anderen polni­schen Familien. Im 17. Jahrhundert »lag Runowo wüst«. Erst um 1670 wurde es wieder aufgebaut. 1694 wirtschaf­teten in Runowo fünf deutsche Siedler, 17 Fronbauern und sieben Gärtner. Ab wann die seit dem Fortzug der Mönche immer größer gewordene Begüterung »Herrschaft Runowo« genannt wurde, ob dies erst im 19. Jahrhundert erfolgte oder schon etwas früher, ist nicht bekannt. In der von Johann Friedrich Goldbeck nach 1772 verfassten Topographie (gedruckt 1789 in Marien­werder) wird Runowo als Adliges Dorf und Vorwerk mit einer katho­li­schen Kirche unter dem Patronat der Gräfin (Theophila) Potulicka genannt. Im Landkreis Wirsitz wurden vier andere besonders große Ritter­güter ebenfalls als »Herrschaft« bezeichnet.

Das zunächst »Klein­preußen« oder auch »Brencken­hof­fi­scher Distrikt« genannte Gebiet südlich von Pomme­rellen – südlich und nördlich der Netze gelegen – erhielt 1773 den Namen »Distrikt an der Netze«. Diese provinz­ähn­liche Verwal­tungs­einheit war dem Oberprä­si­denten Johann Friedrich von Domhardt in Königsberg unter­stellt, kassen­mäßig aber der Kammer in Marien­werder. In Bromberg wurde die »Königlich Westpreu­ßische Kriegs- und Domänenkammer-Deputation«, aber ohne eigenen Präsi­denten einge­richtet. Sie hatte das Vorrecht, ihre Berichte direkt an den König und das General­di­rek­torium in Berlin zu richten. 1782 wurden auch in Bromberg entspre­chende Kassen eingerichtet.

Der Netze­di­strikt war in die vier landrät­lichen Kreise Deutsch Krone, Camin, Bromberg und Ino­wrazlaw (Hohen­salza) einge­teilt. Zum Kreis Camin mit u. a. den Städten Camin, Lobsens, Wirsitz, Flatow, Vandsburg und Zempelburg gehörte auch das Gebiet um Runowo. Von 1775 bis 1816 amtierte in Runowo Landrat von Brun. Er war vermutlich in dieser Zeit der Gutsherr. In den wenigen Jahren von 1807 bis 1813 gehörte das Gebiet, wie auch das Kulmer Land außer Graudenz, zu dem von Napoleon einge­rich­teten Herzogtum Warschau.

Auf dem Wiener Kongress wurde die Rückkehr des Netze­di­striktes an das König­reich Preußen entschieden. Dieses schuf 1815 das Großher­zogtum Posen, den dazu gehörenden Regie­rungs­bezirk Bromberg und an Stelle der vier landrät­lichen Kreise mehrere moderne Landkreise wie den Landkreis Wirsitz mit dem Adligen Gut Runowo. Auf den Landrat von Brun folgte 1816 am neuen Amtssitz in der Stadt Wirsitz Landrat von Bukuwiecki. Er war der erste Pole an der Verwal­tungs­spitze eines preußi­schen Landkreises. In diesem wichtigen Amt blieb von Bukuwiecki für 26 Jahre bis 1842. Das Großher­zogtum wurde zur Provinz Posen.

Ab 1831 war der Graf Viktor von Szoldrski Eigen­tümer des Ritter­gutes ;  von ihm erbte es seine Witwe. Im Jahre 1839 gehörte Runowo Friedrich von Pelet Narbonne. Anschließend sind als Eigen­tümer ein Jaffe und 1852 Theodor von Bethmann-Hollweg überliefert. Im Jahre 1877 übernahm Ernst von Bethmann-Hollweg die Herrschaft Runowo, als Eigen­tümer 1896, und auf ihn folgten die Erben Theodor von Bethmann-Hollwegs. Der damals bereits verstorbene Theodor von Bethmann-Hollweg darf nicht mit Theobald Theodor von Bethmann Hollweg aus dem branden­bur­gi­schen Kreis Ober-Barnim in der Nähe von Potsdam verwechselt werden, der 1899 eine kurze Zeit von nur gut drei Monaten Regie­rungs­prä­sident in Bromberg war und von 1909 bis 1917 in Berlin Reichs­kanzler. Dieser Bethmann Hollweg gehörte zu einem anderen Zweig der Familie. Sein Name wurde ohne Binde­strich geschrieben. Der Reichs­kanzler soll übrigens 1916 Runowo besucht haben.

Die Bethmann-Hollwegs auf Runowo waren bereits vor 1852 im Gebiet des späteren Kreises Wirsitz ansässig. Ihnen gehörte 1773 oder bald danach das bei der Stadt Mrotschen (Mrocza) gelegene, aber nicht zur Herrschaft Runowo gehörende Rittergut Wiele. Einhundert Jahre später war es von 1873 bis 1906 an die Brüder Rudolf und Albert Prochnow verpachtet. Nach Ablauf der Pacht verkaufte die Erben­ge­mein­schaft von Bethmann-Hollweg das zu diesem Zeitpunkt 790 ha (= 3.160 Morgen) große Rittergut an die »König­liche Aussied­lungs­kom­mission für Westpreußen und Posen«. Diese teilte es in 43 Siedler­stellen »verschie­dener Größe« auf. Die Siedler kamen aus der Pfalz, aus Mecklenburg und Pommern. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden 1920 alle diese deutschen Siedler vom polni­schen Staat enteignet. Die noch ziemlich neuen Bauern­wirt­schaften erhielten Polen aus dem ehema­ligen Kongress­polen, die dann wohl 1939 oder wenig später weichen mussten.

Der erste von Bethmann-Hollweg und seine Nachfolger auf Runowo haben im 19. Jahrhundert gut gewirt­schaftet und die Begüterung durch Zukauf ertrag­reicher gemacht und vergrößert. Daher war es auch möglich, 1860 das imponie­rende Schloß zu bauen. Als Joachim von Bethmann-Hollweg die Herrschaft 1907 erbte, war sie ein wirklich ansehn­licher Landwirt­schafts­be­trieb mit viel Wald. Er konnte das Erbe rd. 22 Jahre, bis 1928/29, fortführen.

Zur Herrschaft Runowo im Landkreis Wirsitz des Joachim von Bethmann-Hollweg gehörten 1907 folgende Güter : 

  1. Rittergut Runowo (mit den Vorwerken
    Gnielke, Waldungen und Rothof)           3.726 ha
  2. Gut Dreidorf                                                284 ha
  3. Gut Heidchen                                              251 ha
  4. Gut Joachimshöh                                         508 ha
  5. Gut Joachimstal                                           496 ha

                                                                               5.265 ha

Die Angaben zur Größe der Herrschaft Runowo variierten von Jahr zu Jahr, auch innerhalb eines Jahres, und dies nicht nur im 19. Jahrhundert, sondern auch im 20. Jahrhundert. Ursachen sind u. a. Landkauf und ‑verkauf. Einige unter­schied­liche Angaben lassen sich nicht erklären. Außerdem werden gelegentlich Ortsnamen und Namen erwähnt, die zur anderen Zeit unerwähnt blieben, weil sie größeren Betrieben zugerechnet wurden.

Im Jahre 1907 zählte die Herrschaft also umgerechnet 21.060 pr. Morgen. Damit bildete sie einen sehr großen Landwirtschafts- und Forst­be­trieb. Außerdem gehörten dazu in Runowo eine Dampf­zie­gelei, eine Zement­stein­fabrik, eine Molkerei, eine Brennerei und ein Dampf­sä­gewerk. Zwei andere Molke­reien befanden sich in Joachimshöh und in Joachimstal. Das Gut Heidchen wurde vom Rittergut Runowo mit bewirt­schaftet. Die Güter Dreidorf, Joachimshöh und Joachimstal waren in der Regel verpachtet. Die Ortschaft Mühle Runowo (Runowo­mühle) war ein eigen­stän­diger Gutsbezirk mit 14 deutschen und einem polni­schen Einwohner. Sie gehörte 1907 weder zum Rittergut noch zur Herrschaft. Sie war ein Otto Kumm gehörendes 128 ha großes Gut, davon 70 ha Acker­fläche, mit einer Wasser­dampf­mühle, das Bethmann-Hollweg 1910/11 kaufen konnte. Er baute dort 1914 für seine Mutter Freda aus dem Hause Arnim-Boitzenburg/Uckermark einen Alterssitz, der das »neue Schloss« genannt wurde. Bis zum alten Schloss waren es nur rd. 500 Meter.

Damals kam es häufig vor, dass gleich­namige Landge­meinden und von ihnen unabhängige – also selbst­ständige – Gutsbe­zirke neben­ein­ander anzutreffen waren, bis später entweder die Gutsbe­zirke aufgelöst und mit den Landge­meinden oder mit anderen Gutsbe­zirken zusam­men­gelegt wurden. Die auf einem Gut arbei­tende Bevöl­kerung lebte überwiegend im Gutsbezirk. Es gab aber auch andere, die in der benach­barten Landge­meinde wohnten.

Während die Katho­liken ihre Kirche in Runowo hatten, mussten die evange­li­schen Einwohner zur Kirche nach Vandsburg gehen. Das änderte sich 1890. Die Gutsherrin ließ in jenem Jahr im Dorf ein Pfarrhaus errichten und im Park in der Reitbahn eine Kirche, die schließlich 1905/06, auf Rundhölzer gesetzt, aus dem Park ins Dorf gerollt und dort gegenüber dem Pfarrhaus aufge­stellt wurde. Auf diese Weise entstand das evange­lische Kirch­spiel Runowo. – Der nächst­ge­legene Bahnhof der Reichsbahn befand sich übrigens seit der Eröffnung der Bahnstrecke Nakel-Konitz 1887 in Waldungen.

Im Dezember 1910 wurde im Bereich der Herrschaft Runowo folgende Bevöl­ke­rungs­zu­sam­men­setzung festge­stellt, die hier verkürzt festge­halten werden soll :

Gutsbezirk                 Einwohner                davon Deutsche
Dreidorf                         305                                 31
Runowo *                       752                               309
Ronowo­mühle               15                                  14
Waldungen                   132                                 88
                                    1.294                              442
*  zusammen mit den Gütern Heidchen, Joachimshöh und Joachimstal.

Bis auf Dreidorf, das ebenfalls ein eigen­stän­diger Gutsbezirk im Landkreis Wirsitz war, 105 Einwohner hatte und auch an der Straße nach Lobsens lag, bildeten die anderen vier zur Herrschaft gehörenden Güter zusammen mit dem Rittergut den Gutsbezirk Runowo neben der benach­barten Landge­meinde Runowo mit 752 Einwohnern.

Landge­meinde           Einwohner               davon Deutsche
Groß Dreidorf                230                                 108
Klein Dreidorf               457                                 341
Runowo                         744                                 287
                                     1.431                               736

Die Zusam­men­setzung der Bevöl­kerung war demnach gemischt. Der polnische Anteil überwog mit gut 60 %. Die Evange­lische Kirche hatte in den Ortschaften Klein Dreidorf und Runowo jeweils ein Kirch­spiel mit eigener Kirche einge­richtet. Die katho­li­schen Einwohner gehörten zu den katho­li­schen Kirch­spielen Groß Dreidorf und Runowo.

In dem größten der drei Dörfer (Landge­meinden), in Runowo, lebten zahlreiche deutsche, aber auch polnische Bauern. Ihre landwirt­schaft­lichen Betriebe waren 10 bis 91 ha groß. Die Mehrzahl lag in der Gemarkung, also außerhalb des Dorfes.

Das Dorf Runowo war bereits im 19. Jahrhundert Schulort. Es gab vor 1920 eine evange­lische Schule und eine katho­lische Volks­schule. Danach sank nach und nach die Zahl der deutschen Schüler, weil die deutschen Familien ihr Heimatland verließen oder verlassen mussten. Etwa ab 1922 übernahmen der oder die Lehrer der polni­schen katho­li­schen Schule auch die Unter­richtung der verblie­benen evangelisch-deutschen Schüler.

Die Zeit von 1920 bis 1945

Auf die für alle nicht leichten Jahre während des Ersten Weltkrieges, in denen Runowo als Lazarett genutzt wurde, folgte 1920 die Versailler Grenz­ziehung. Diese bedeutete für den Kreis Wirsitz einschließlich der Herrschaft Runowo die Abtrennung vom Deutschen Reich. Nun galt es für Joachim von Bethmann-Hollweg, das Famili­enerbe in der Republik Polen zu erhalten und fortzu­führen. Das gelang zunächst auch recht gut. Das polnische Güter­adressbuch für das Gebiet Posen aus dem Jahr 1926 nennt neun zur Herrschaft Runowo gehörende Güter (Vorwerke) :

Runowo                  3.254 ha
Erikfelde                    195 ha
Heidchen                   251 ha
Dreidorf                    449 ha
Joachimsthal             443 ha
Joachimshöh             499 ha
Marienau                  180 ha
Runowo­mühle         125 ha
Waldungen              212 ha
                              5.608 ha

Nach dieser Auflistung ist der Gesamt­besitz gegenüber den Angaben von 1907 bis zum Jahr 1926 größer geworden, das Rittergut Runowo aber kleiner, auch wenn das Vorwerk Waldungen hinzu­ge­rechnet wird.

Bald danach war der Gutsherr gezwungen, »freiwillig« 200 ha Land zu für ihn ungüns­tigen Bedin­gungen für Parzel­lie­rungs­zwecke abzugeben, und 1928 sollte er erneut 700 ha für diesen Zweck zur Verfügung stellen. Da scheint dem Joachim von Bethmann-Hollweg die Freude an dem Famili­enerbe vergangen zu sein. Am 5. Februar 1928 berichtete die in Bromberg erschei­nende Tages­zeitung Deutsche Rundschau in Polen, dass Joachim von Bethmann-Hollweg seinen gesamten Besitz mit einer Gesamt­fläche von 5.784 ha, davon 2.131 ha landwirt­schaftlich genutzte Fläche, an die polnische Bank Rolny [Landwirt­schaft­liche Bank] verkauft habe. Das waren 176 ha mehr, als rd. drei Jahre vorher vorhanden waren. Die in Pomme­rellen, Posen und im histo­ri­schen Kulmer Land als Minderheit verblie­benen Deutschen waren nicht nur überrascht sondern auch stark verärgert, ja sie fühlten sich verraten. Ihnen kam es vor, als hätten sie selbst Eigentum verloren. Die vom Verkäufer genannten wirtschaft­lichen und anderen Gründe konnten sie nicht überzeugen. Die erwähnte Zeitung formu­lierte schließlich, was mindestens die Mehrheit der deutschen Minderheit dachte:

Von Kennern der Sachlage wird bestritten, dass Herr von Bethmann-Hollweg diesen aus natio­nalen Gründen völlig unver­ständ­lichen Verkauf tätigen mußte. Das Kernproblem wäre zu lösen gewesen, wenn der Eigen­tümer, der sich wohl mehr im Ausland als auf seinem Gut und Boden aufhielt, die Wirtschafts­führung anderen Händen anver­traut hätte. Andere Gutsbe­sitzer haben unter schwe­reren Verhält­nissen dem Geschick getrotzt. Hier war Hilfe möglich, wenn ihre Form auch unbequem erschien. Wir bedauern den Verlust um Boden, die Entlassung von vielen deutschen Beamten, Arbei­ter­fa­milien, den Verlust des Verkäufers bedauern wir nicht.

Das waren sehr deutliche, aber auch verbit­terte Worte. Chefre­dakteur der Zeitung war zu der Zeit (1925–1939) der sehr angesehene Gotthold Starke, ein Jurist, der 1896 in Runowo als Sohn des evange­li­schen Pfarrers geboren worden war. Es sollte aber auch festge­halten werden, dass die Familie von Bethmann-Hollweg weder in der Landes- noch in der Kreis­ge­schichte erwähnt wird. Nur der erste von Bethmann-Hollweg war zeitweise Mitglied des Reichs­tages. Ganz im Gegensatz zu anderen Besitzern großer Güter, scheinen die Herren auf Runowo unter sich geblieben zu sein.

Der Verkäufer Joachim von Bethmann-Hollweg hatte für sein Famili­en­wesen fünf Millionen Dollar erhalten. Der Dollar war damals noch eine Goldwährung. Ein Dollar war ℛℳ 4,20 wert. Die polnische Bank zahlte also für die Herrschaft Runowo umgerechnet 21 Millionen Reichsmark. Mit dem Verkauf der Herrschaft verloren tatsächlich zahlreiche deutsche Gutsar­beiter und Angestellte ihren Arbeits­platz wie z. B. Bruno Raddatz, der bis dahin zehn Jahre die Brennerei geleitet hatte, oder der Gärtne­rei­ver­walter Max Eckhardt.

Die landwirt­schaft­liche Fläche wurde bald nach dem Verkauf parzel­liert. Es entstanden etliche 18 bis 20 ha große Siedlungs­wirt­schaften. Sie wurden an polnische Siedler verkauft. Den größten Teil des Gutswaldes übernahm der polnische Staat, der 1928 die Försterei (Forstamt) Runowo mit Sitz im kleinen Schloss in Runowo­mühle einrichtete. Ein 800 ha großes Restgut blieb in Runowo erhalten. Es sollte den Fortbe­stand der Brennerei sichern. Dieses statt­liche Restgut erwarb Wiktor Szulc­zewski aus Friedeberg (Neumark). Der neue Gutsherr bezog das mit dem Schloss und allen sonstigen Gebäuden und Einrich­tungen 1905 für den Gutsver­walter und Rentmeister Franz Burck­hardt erbaute Verwal­terhaus. Nach seinem Tode erbten das Restgut seine Witwe Melanie und die Töchter.

Das Schloss wurde nach 1928 zu einem Ferien­objekt. Im Sommer erholten sich darin Offiziere der polni­schen Armee. Ab 1935 wurde es von Polens Staat­spräsident Ignacy Moscicki (1926–1933) als Ferien- und Jagdre­sidenz und als Konfe­renzort genutzt. Zuletzt traf er sich Weihnachten 1938 mit dem polni­schen Marschall Edward Rydz-Smigly in Runowo, seit 1935 Nachfolger des verstor­benen Jozef Pilsudski im Amt des General­inspek­teurs der Streit­kräfte. Seit 1936 war er auch Oberbe­fehls­haber des Heeres. Der Marschall war in jenen Jahren der starke Mann der Republik Polen.

Im Zuge einer Gebiets­reform 1938 wurden Woiwodschafts­grenzen und auch Kreis­grenzen verändert. Das im Norden des Kreises Wirsitz gelegene Kreis­gebiet um die ehemalige Herrschaft Runowo wurde abgetrennt und dem Kreis Zempelburg zugeteilt. Bei Kriegs­aus­bruch 1939 floh die Familie Szul­czewski recht­zeitig, bevor die deutsche Wehrmacht Runowo erreichte.

Als im Oktober 1939 der Reichsgau Danzig-Westpreußen errichtet wurde, blieb der Landkreis Zempelburg einschließlich der Gemeinde Runowo mit dem ehema­ligen Rittergut Runowo bestehen. Im Juni 1942 fand eine Namens­än­derung statt. Die Gemeinde hieß seitdem und bis Kriegsende »Ruhnau bei Vandsburg«, gelegentlich auch »Runau« geschrieben. Die Behörden, andere öffent­liche Einrich­tungen sowie Ortsfremde kannten den neuen Namen. Als Postan­schrift war er zwingend. Die Bevöl­kerung des Ortes und in der weiteren Nachbar­schaft verzichtete dagegen nicht auf die histo­rische und ihr vertraut klingende Namensform »Runowo«. Auch andere Ortsnamen wurden geändert. Einige Gemeinden in der Gegend erhielten den Namen, der schon seit Jahrzehnten von der Be­völkerung benutzt wurde.

Als 1939/40 das Evange­lische Kirchen­gebiet Danzig-­Westpreußen mit einem evange­li­schen Konsis­torium in Danzig geordnet wurde, kamen die beiden Kirchen­ge­meinden (Kirch­spiele) Klein Dreidorf mit Pfarrer Ernst May (seit 1939) und Runowo mit Pfarrer Kurt Fuchs aus Tuchel (seit 1940) an den Kirchen­kreis Lobsens. Zu diesem Kirchen­kreis hatten sie auch bis 1920 gehört. Im Jahre 1942 änderte sich dies. Die Kirchen­ge­meinde Ruhnau/Runowo wurde dem Kirchen­kreis Konitz II zugeteilt, der die Bezeichnung Kirchen­kreis Zempelburg erhielt. In Runowo wurde auch wieder eine deutsche Schule mit dem Schul­leiter Richard Schmidt eingerichtet.

Die Gemeinde Ruhnau bildete mit acht anderen Gemeinden den Amtsbezirk Vandsburg-Land. Sie war mit 3.064 ha und mit 232 Haushal­tungen und 1.141 Einwohnern die größte im Amtsbezirk, flächen­mäßig sogar die größte in dem kleinen Landkreis Zempelburg. Ruhnau gehörte 1943 – wie auch vor 1920 – zum Amtsge­richts­bezirk Lobsens.

Die ehemalige Begüterung Runowo wurde vom September 1939 bis Anfang 1945 von der »Reichsland« (Reichsgesell­schaft für Landbe­wirt­schaftung mbH) als Treuhän­derin verwaltet. Unklar ist, was im Schloss unter­ge­bracht wurde. Mögli­cher­weise hatte sich in ­einem Teil die Verwaltung der Treuhän­derin einquar­tiert, andere Teile haben vielleicht dem Staat und der NSDAP als Gästehaus gedient. Im Laufe des Jahres 1942 – und weiterhin bis 1945 – begann die deutsche Luftwaffe, das Schloss als Uniform­lager zu nutzen. – Im Herbst 1939 soll Adolf Hitler Runowo kurz besucht, wohl aber dort nicht übernachtet haben. Es wird zudem berichtet, dass während des Krieges einmal Hermann Göring Ruhnau / Runowo einen Besuch abgestattet haben soll. Der Reichs­jä­ger­meister wollte wohl zur Jagd ?  Oder sollte er sich doch für die Flieger­stiefel und die legen­dären Armband­uhren seiner Piloten inter­es­siert haben ? 

Aus den Kriegs­jahren ist ansonsten wenig überliefert. Bekannt ist, dass in dem kleinen Schloss in Runowo­mühle ein Waisenhaus betrieben wurde. Das Forst­amt Runowo war im Dorf unter­ge­bracht worden – oder doch im Schloss ?  Auch die Ereig­nisse aus den letzten Kriegs­tagen sind weder dokumen­tiert, noch sind entspre­chende Aufzeich­nungen bekannt. Als sich 1945 die Rote Armee Ruhnau / Runowo näherte, gelang es den Luftwaf­fen­sol­daten nicht, die im Schloss lagernden Bestände vollständig in Sicherheit zu bringen. Lediglich zwei oder drei mit Uniformen etc. beladene Lastkraft­wagen konnten zum Weiter­transport der Lager­be­stände mit der Reichsbahn zum Bahnhof Vandsburg gefahren werden. Der große Rest verblieb im Schloss, durfte aber dem Feind nicht in die Hände fallen. Daher wurde alles mit Benzin übergossen und angesteckt. Die kaum mit Waffen ausge­rüs­teten Soldaten setzten sich nach Westen ab. Seitdem ist das Schloss eine ausge­brannte Ruine. Was nicht verbrannte, fiel der zurück­blei­benden polni­schen Be­völkerung in die Hände. Noch immer existiert in Vandsburg ein deutscher Piloten­hand­schuh aus dem Schloss.

Die jüngere Geschichte

Seit längerer Zeit ist die ehemals selbst­ständige Landge­meinde Runowo eine Teilge­meinde der Stadt Vandsburg im Kreis Zempelburg.

Das Schloß Runowo steht als Ruine abseits vom Wege in den restlichen Parkan­lagen, die Privat­besitz sind. In Warschau ist das Schloss offen­sichtlich dennoch nicht vergessen. Am 12. November 2014 besuchte der damalige polnische Staats­prä­sident Bronislaw Komorowski die Ruine. Er ließ sich durch den winter­lichen Park und den schönen Wald kutschieren.

Bald nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde aus dem Restgut Runowo eine sogenannte polnische LPG (Landwirt­schaft­liche Produk­ti­ons­ge­nos­sen­schaft). Das Verwal­terhaus hatte den Krieg unbeschadet überstanden. In ihm wurden die Verwaltung der LPG unter­ge­bracht und eine Arbei­ter­wohnung einge­richtet. Das polnische Gesund­heits­mi­nis­terium richtete im kleinen Schloss ein Heim für Kinder zur Vorbeugung von Atemwegs­erkrankungen ein. Man hatte festge­stellt, dass das Klima in Runowo besonders gesund ist. Die LPG bestand bis zur politi­schen Wende in Polen 1989/90. Anschließend wurde sie von dem Agrar­be­trieb Runowo Rola übernommen. 1998 kaufte ein Privatmann das Restgut einschließlich der Schloss­ruine mit dem Park. Einige Jahre später entstand unweit der Ruine, in einer Entfernung von gut 100 Metern, auf dem Grund­stück der Pferde­ställe das privat geführte Vierster­ne­hotel »Palace Runowo« mit Schwimmbad im Haus.

Ein Enkel des letzten deutschen Eigen­tümers, des Joachim von Bethmann-Hollweg, lebt in England. Er besuchte 2013 Runowo. Polen überreichten dem Besucher einige erhalten geblie­benen Famili­en­an­denken. Auch konnte er feststellen, dass sich im Staats­archiv in Bromberg noch »eine Menge« Archi­valien befinden, die an die Familie Bethmann-Hollweg und an die Herrschaft Runowo erinnern.