Der Weg zu einem stadt- und regional-geschichtlichen Internet-Journal
Von Marcin Swierczynski
Die Internetseite Ocalic od zapomnienia – Pruszcz Gdański [Vor dem Vergessen bewahren – Praust] ist eigentlich eher durch Zufall entstanden. Ich bin kein Historiker, und Geschichte war zuvor nie mein Interessenbereich. Es stellte sich für mich jedoch heraus, dass es spannend sein kann, die Vergangenheit der Stadt und der Region, in der ich lebe, kennenzulernen – und dass es sehr befriedigend ist, dieses Wissen mit anderen Menschen teilen zu können.
Alles begann mit einem alten Holzhangar, der in Praust an der Powstańców Warszawy-Straße stand. Viele Jahre lang hatten die städtischen Behörden kein Konzept, wie sie das Potenzial dieses Objekts nutzen könnten, und da es an eine Baufirma verpachtet war und als Lagerhaus diente, ahnte niemand, dass der Hangar eine historische Bedeutung hat. Als im Sommer 2015 die Baufirma den Hangar verließ und es seitens der Stadt keine Signale gab, diese Fläche auf eine interessante Art und Weise zu nutzen, dachte ich mir, ob man die Sache nicht in die eigenen Hände nehmen sollte. Da ich mich aktiv mit Musik beschäftige, war meine Idee für diesen Ort mit diesem Bereich verbunden. Aus meiner Sicht hätte der Hangar nach einer Renovierung als Konzertsaal dienen können : ein neuer Ort auf der kulturellen Landkarte der Stadt. Das Ganze sollte durch ein Design ergänzt werden, das sich auf die Flugtraditionen von Praust bezieht.
Mein Interesse an dem Hangar galt allerdings nicht nur seiner Zukunft. Ich begann mich auch für seine Vergangenheit zu interessieren. Ich habe Briefe an Luftfahrtspezialisten auf der ganzen Welt geschickt. Eine Menge wertvoller Informationen hat mir dankenswerter Weise Herr Jürgen Zapf, ein Experte auf dem Gebiet der Luftwaffen-Geschichte, mitgeteilt. Das erworbene Wissen habe ich auf Facebook und einem Blog veröffentlicht. Gleichzeitig entstand die Idee, eine Stiftung ins Leben zu rufen, deren Hauptziel die Erneuerung des Hangars und die Vorbereitung der entsprechenden kulturellen Aktivitäten sein sollten. Die Stiftung wurde Ende 2015 tatsächlich gegründet, und Anfang 2016 fand eine Vorstandssitzung mit dem Bürgermeister von Praust statt. Leider hatte die Stadt inzwischen andere Pläne entwickelt – und bald wurden dann sämtliche Überlegungen und Hoffnungen zunichte gemacht : im April 2016 brach in dem Hangar ein Feuer aus, und er brannte vollständig nieder.
Damit hatte die Stiftungstätigkeit keinen Sinn mehr, aber die Leidenschaft für die Entdeckung der Geschichte blieb bestehen. Auf Facebook und dem Blog gab es systematisch immer mehr Einträge, und jede nachfolgende Geschichte, die beschrieben wurde, ermutigte zu weiteren Nachforschungen und detaillierteren Perspektiven. Die ersten veröffentlichten Einträge bezogen sich natürlich auf den Hangar selbst und den Flughafen, auf dem er errichtet worden war. Dies wiederum führte zur Entdeckung einer schwierigen und schmerzhaften Geschichte, über die gesprochen werden musste und die auch nicht vergessen werden darf. Ich denke, dass nur wenige Bewohner von Praust sich dessen bewusst sind, dass es während des Weltkrieges in der Stadt Arbeitslager gab und der Flughafen, der bis heute (als Militärflughafen) in Betrieb ist, durch die Zwangsarbeit von Gefangenen entstanden ist. Die Suche führte mich unter anderem zu den »National Archives«, die mir eine bisher nirgends veröffentlichte Luftaufnahme eines Alliierten-Flugzeugs verfügbar machten, aufgrund derer sich feststellen ließ, wo sich das Arbeitslager befunden hat. Zudem gelang es mir, Geheim-Dokumente über die Verteilung der deutschen Streitkräfte in Praust zu erhalten.
Eines der besonders interessanten Themen, mit denen ich mich befassen konnte, war der Flug des von Hans-Helmut Gerstenhauer gesteuerten Hubschraubers am Himmel von Praust. Im März 1945 hatte ein deutscher Pilot eine Notlandung in der Nähe der Stadt vornehmen müssen. Daraufhin wurde der Hubschrauber Focke-Achgelis Fa 223 »Drache« zum Rettungseinsatz beordert, der durch schlechte Wetterbedingungen und laufende Militäroperationen erschwert wurde, aber trotzdem erfolgreich verlief – und dies war zugleich die erste Rettungsmission eines Hubschraubers in der Geschichte der europäischen Luftfahrt. Trotz intensiver Suche konnte man die genaue Stelle der Notlandung bis heute nicht bestimmen. Es gibt in der Schilderung der Vorgänge viele Ungenauigkeiten, aber ich hoffe, dass sich dieser Ort eines Tages identifizieren lassen wird. Dabei habe ich zum einen versucht, Kontakt zur Familie von Hans-Helmut Gerstenhauer aufzunehmen ; zum anderen wurde ich von Ryszard Witkowski, einem polnischen Piloten und Experten für die Hubschrauber-Entwicklung im nationalsozialistischen Deutschland, sowie von dem US-amerikanischen Hubschrauber-Spezialisten Steven Coates nachdrücklich unterstützt.
Mit der Zeit habe ich meine Interessen auch auf die Geschichte der umliegenden Städte und der gesamten Region ausgeweitet. Auch hier bin ich auf äußerst spannende Informationen gestoßen, über die die heutigen Bewohner meist wenig wissen. Zum Beispiel war es möglich, den früheren Radiosender in Zipplau (Cieplewo), einer zu Praust benachbarten Ortschaft, zu lokalisieren. Ich bin durch die Gegend gereist, um interessante Orte zu sehen und mich persönlich mit den Zeitzeugen zu treffen. Auf dem Blog und auf der Facebook-Seite erschienen mannigfache Artikel, in denen die Erträge dieser Reisen zusammengefasst sind.
»Vor dem Vergessen bewahren – Praust« ist schließlich auch eine Seite, auf der nicht nur die Geschichte geboten wird, die wir aus Lehrbüchern kennen. Mich interessiert vor allem auch, wie sich unsere Stadt im Laufe der Jahre in ihren Einzelheiten verändert hat ebenso wie die Geschichte der einfachen Menschen. Ich sammle und veröffentliche deshalb aufschlussreiche historische Informationen sowie alte Postkarten und Fotos. Dazu suche ich in Archiven und befrage die älteren Bürgerinnen und Bürger ; erst recht spreche ich die damaligen deutschen Bewohner und deren Familien an und bitte sie, mir Materialien zur Verfügung zu stellen. Sehr beliebt sind inzwischen die Foto-Kombinationen, bei denen ich alte Aufnahmen von einzelnen Orten und zeitgenössische Fotos vom heutigen Zustand miteinander verknüpfe. Diese Arbeit wird von den Bürgern der Stadt insgesamt geschätzt und gefördert, und schon seit einiger Zeit sind viele Bewohner von Praust an diesem Projekt beteiligt. Sie gestalten die Seite aktiv mit, indem sie Fotos aus ihren privaten Archiven senden und mir von ihren Erinnerungen erzählen. Diese Aktivitäten ermutigen wieder andere – auch aus den umliegenden Ortschaften –, und so ist zu erwarten, dass die schon sehr mächtige Seite in Zukunft wohl noch erheblich anwachsen wird.
Marcin Świeczynski – geboren in Danzig, lebt aber schon seit vielen Jahren in Pruszcz Gdański (Praust). Musiker und Konzert-Veranstalter, mit der Death-Metal-Szene verbunden ; ist seit einiger Zeit an der Geschichte seiner Stadt interessiert, über die er – auch mit der Unterstützung von Freunden – intensiv recherchiert.