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Nicht nur zur Weihnachtszeit …

Die Lebkuchenbäcker von Thor 

Lebkuchen gehören für die meisten Menschen unverbrüchlich zum Weihnachts­fest. In Thorn hingegen haben sie immer Saison und erfreuen die Bürger wie die Touristen während des ganzen Jahres.

Schon im Mittel­alter haben Thorner Bäcker­meister Pfeffer­kuchen gebacken. Jeder von ihnen hatte eine eigene Rezeptur, die streng geheim gehalten wurde. Schon damals war die Konkurrenz auf diesem Markt offenbar sehr groß. Nach dem Geschmack konnte man schnell feststellen, wer sie gebacken hatte. Es wird sogar überliefert, dass die Kinder der Bäcker, die nur innerhalb der Zunft heiraten durften, tradi­tionell als wertvollste Mitgift eine Bütte mit (regel­mäßig mehrere Jahre lang abgela­gertem) Teig erhielten. Die Gewürze und andere nötige Zutaten waren in der Hanse­stadt, die einen Kreuzungs­punkt wichtiger Handels­straßen bildete, leicht erhältlich. Honig und Mehl kamen von einhei­mi­schen Lieferanten.

Von großer Bedeutung waren zudem die Backformen. Ihre Fertigung übernahmen exzel­lente Holzschnitzer, die ansonsten in ihren Werkstätten edle Möbel, reich ausge­staltete Eingangs­türen zu den Häusern der Patrizier oder z. B. Altäre und Epita­phien für die Kirchen herstellten. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden die Backformen aus Lindenholz, im 19. Jahrhundert dann aus Eichen- oder Buchenholz geschnitzt. Zu den schönsten gehören die Lebku­chen­formen, die zur Hochzeit des polni­schen Königs Sigismund III. Wasa mit Erzher­zogin Konstanze von Öster­reich (im Dezember 1605) sowie zur Vermählung seines Sohns, des Königs Władysław IV. Wasa, mit Erzher­zogin Cäcilia Renata (im Jahre 1677) entstanden und späterhin eine große Popula­rität gewannen. Am Produk­ti­ons­prozess waren nicht zuletzt auch Goldschmiede beteiligt, von denen einige Lebkuchen einen Goldüberzug erhielten oder auch bunt bemalt wurden.

Die frühesten Erwäh­nungen von Thorner Lebkuchen stammen aus dem 14. Jahrhundert. In einigen Quellen taucht der Name Niclos Czan auf, der als Bäcker bzw. schon als Konditor bezeichnet wird. In Dokumenten aus dem Anfang des 15. Jahrhun­derts erscheint namentlich der Bäcker Heinrich Kuche, der Wachs an den Deutschen Orden verkauft hat. Ab dem 16. Jahrhundert sind dann bereits etliche Lebküchler nachweisbar. Neben der Bäcker-Zunft betei­ligten sich auch die Klöster an der Produktion:  Bekanntlich sollen die „Thorner Kathrinchen“ um 1557 von Nonnen „erfunden“ worden sein.

Seit Beginn des 19. Jahrhun­derts wirkte sich die Indus­tria­li­sierung allmählich auch auf die Pfefferkuchen-Herstellung in Thorn aus. Als Pionier dieser Entwicklung darf Gustav Weese gelten. Sein Großvater Johann hatte durch Heirat 1751 ein nachweislich bereits seit 1640 an dieser Stelle handwerklich betrie­benes Geschäft erworben und bis 1796 geleitet. Dessen Sohn Andreas führte das Geschäft bis 1824 fort, und als der Enkel des Gründers die Firma übernahm, verfügte sie bereits über ein ausge­dehntes Liefernetz und verkaufte ihre Produkte bis nach Danzig, Königsberg oder auch Warschau. Gustav stellte den Betrieb nun konse­quent auf eine fabrik­mäßige Fertigung um, nutzte alle neuen techni­schen Möglich­keiten der Mecha­ni­sierung und moder­ni­sierte das unter­neh­me­rische Konzept. Dabei war er so erfolg­reich, dass seine Firma zum führenden Unter­nehmen Thorner Pfefferkuchen-­Herstellung aufstieg und zum Inbegriff der Produktion von ­„Kathrinchen“ wurde. Dieser Erfolg setzte sich auch in den nächsten Jahrzehnten fort. 1909 verlegte die Firma ihren Sitz nach Thorn-Mocker, wo sie über höchst leistungs­fähige Maschinen in neuge­bauten Fabrik­hallen verfügen konnte. (Auf diesem Gelände besteht die Produk­ti­ons­stätte – unter dem Namen Feinback­wa­ren­fabrik Kopernik S.A. – auch heute noch.)

Trotz des großen Renommees der Leb- und Honigkuchen­fabrik Gustav Weese sollte aber nicht in Verges­senheit geraten, dass sich auch viele andere Bäcker­meister und Lebkuchen-Hersteller seit der Mitte des 19. Jahrhun­derts in die Wirtschafts­ge­schichte Thorns einge­schrieben haben. Von diesen mehr als 20 Unter­nehmen seien zumindest drei namentlich vorgestellt :

  • Die Dampf-Schokoladen-Konfitüren & Marzipan-Fabrik Julius Buchmann, Thorn und Bromberg, bestand von 1854 bis 1939 in der Breiten Straße 456.
  • Bäcker­meister Jan Ruchniewicz produ­zierte seine Waren von 1898 bis 1916 in der Linden­straße 36.
  • Die Honigkuchen-Fabrik des Hof liefe­ranten Herrmann Thomas befand sich Am Neustäd­ti­schen Markt 4. Sie bestand von 1857 bis 1936 (später unter dem Namen Fabryka Pierników A. Rost) und hatte in Thorn mehrere Verkaufs­stellen sowie eine Filiale in Danzig. Zum Waren­an­gebot gehörten z. B. Italie­nische Frucht­kuchen, Feinste Weiße Lebkuchen, Liegnitzer Bomben, Thorner „Diana-Kuchen“, „Thomas Brunnen­kuchen“ oder auch eine „­Kavalier-Mischung“.

Thorner Lebkuchen, insbe­sondere die „Kathrinchen“, sind heute ganzjährig – und durchaus im doppelten Sinne – „in aller Munde“. Das Produkt wurde nicht nur sehr geschickt vermarktet, sondern ist weiterhin fest mit dem Namen der Stadt assoziiert und bildet eine eigene ­Touristen-Attraktion. Dazu trägt schon seit mehr als zehn Jahres das Lebendige Pfefferkuchen-Museum bei, das – im früheren Fabrik­gebäude der Firma Gustav Weese einge­richtet – die Geschichte der Thorner Lecke­reien höchst anschaulich erzählt und auf diese Weise wirkungsvoll dafür sorgt, dass sie bekannt bleibt und weiter verbreitet wird.

Piotr Olecki