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Ernst Koerner (1846–1927)

Zu Leben und Werk des bedeutenden Landschaftsmalers aus Westpreußen

Von Andreas Koerner

»Ein glänzender Kolorist und durchaus versiert in verschiedenen Gattungen der Malerei.« Angesichts solch einer – 1990 von Irmgard Wirth formulierten – positiven Beurteilung des Malers Ernst Koerner verwundert es nicht allzu sehr, dass seine Bilder inzwischen bei internationalen Auktionshäusern wie Sotheby’s oder Christie’s fünf- und sechsstellige Pfund- bzw. Dollar-Preise erzielen. Gewiss :  Die Orientmalerei des 19. Jahrhunderts war zusammen mit der ihr verschwisterten historistischen Pracht-Architektur für lange Zeit gründlich in Verruf geraten. In jüngerer Zeit haben solche Werke – wie der Kunstmarkt untrüglich belegt – aber einen Teil ihrer früheren Wertschätzung wiedergewonnen. Umso mehr darf auch Ernst Koerner, dessen Todestag sich am 30. Juli zum 90. Male jährt, nicht nur als Westpreuße, sondern auch als bedeutender Künstler seiner Zeit unsere erhöhte Aufmerksamkeit fordern.

Kindheit, Jugend und Lehrzeit

Ernst Koerner stammte aus einer Familie von Tuchma­chern und Kaufleuten, die in den Städten Jastrow (Kr. Deutsch Krone) sowie in Czarnikau (Provinz Posen) ansässig waren. Sein Großvater Joseph kaufte 1817 die Herrschaft Stibbe (bei Tütz) im Kreis Deutsch Krone. Das klang feudal :  »Herrschafts­be­sitzer, Erb- und Gerichtsherr auf Stibbe, Besitzer der Ritter­güter Stibbe, Neu-Strahlenburg, Emili­enthal, Mellenthin, der Güter Grünewald, Rohrkolk, Rohrwiese, Mittel­städt, Prieske und der Hälfte des Großen Böthin-Sees, ­Patron der kath. Kirchen zu Stibbe, Strah­lenberg, Ruschendorf und Mellentin«. Dort, in Stibbe, wurde am 3. November 1846 sein Enkel Ernst Carl Eugen als Sohn des Ernst Conrad Koerner (1794–1856) und der Emile Auguste Flora Elisabeth, geb. Kegel (1806–1863) geboren.

Der Maler war ein Nachkömmling ;  der jüngste seiner das Kleinkind­alter überle­benden Brüder, Eduard Otto Theodor, war zwölf Jahre älter. Als sein Vater starb, zählte Ernst erst zehn Jahre. Kurz zuvor (1855) war er zu den Herrn­hutern nach Niesky in Schlesien gekommen und besuchte dort bis 1859 das Päda­gogium. Danach war er bis 1866 Schüler des Gymna­siums zum Grauen Kloster in Berlin und genoss somit insgesamt eine nach damaligen Möglich­keiten vorzüg­liche Schul­bildung. Zu Beginn seiner Gymnasial­zeit wurde Stibbe 1860 verkauft (statt­dessen erwarb die Familie die Güter Czeslawice und Stolen­schin im Kreis Wongrowitz, Provinz Posen) ;  und drei Jahre vor dem Abitur starb die Mutter, so dass Ernst Koerner bereits mit 16 Jahren zur Vollwaise wurde.

Schon als fünfzehn­jäh­riger Schüler war Ernst Koerner am 26. Oktober 1861 ins Atelier des Berliner Landschafts­malers Hermann Eschke (1823–1900) einge­treten, um bei ihm Malerei zu erlernen. Es gab damals zwar schon die Berliner Akademie der Künste, doch zu dieser Zeit hatte sie keinen sonderlich guten Ruf, so dass es sich empfahl, bei bereits anerkannten Malern in die Lehre zu gehen. Das gilt ebenso für den ein Jahr jüngeren Max Liebermann. Er schrieb späterhin :  »Ich kam als Sekun­daner zu Steffeck, 1863 oder 64, um Mittwoch und Sonnabend nachmittags bei ihm zu zeichnen.« Am Mittwoch- und Sonnabend­nach­mittag war schulfrei. An diesen Wochen­tagen dürfte auch Ernst Koerner zu Eschke gegangen sein. Er nahm daneben auch bei Carl Steffeck (1818–1890) sowie bei Gottlieb Biermann (1824–1908) Unter­richt. So ist es durchaus möglich, dass sich Ernst Koerner und Max Liebermann als Malschüler bei Steffeck begegnet sind. Liebermann berichtet von seinem Lehrer :  »Er inter­es­sierte sich nur für die Arbeiten, in denen er etwas in der Natur Beobach­tetes wieder­ge­geben fand.« Dieser Linie folgte auch Ernst Koerner. Bereits 1864 – mit 18 Jahren – betei­ligte er sich mit einer Abend­land­schaft. Motiv aus Driburg, Westfalen an der Berliner akade­mi­schen Kunst­aus­stellung. Er dürfte dazu Studien vor Ort gemacht haben, vielleicht gemeinsam mit seinem Lehrer Eschke, für den das Malen in der Natur zum Lehrpro­gramm gehörte. Mit Eschke unternahm er 1867 überdies seine erste größere Studien­reise an die Küsten der Nord- und Ostsee und in den Harz. Nicht zuletzt fand Ernst Koerner wichtige Anregungen bei Eduard Hilde­brandt (1819–1868), einem Maler, der vor allem die Farbigkeit des Südens eindrucksvoll zu erfassen und darzu­stellen verstand.

Ein arrivierter Künstler

Nachdem Ernst Koerner schon 1864 an der in zweijäh­rigem Turnus statt­fin­denden Berliner akade­mi­schen Kunst­aus­stellung beteiligt war, stellte er dort regel­mäßig aus. Ab 1869 nahm er auch an den Kunst­aus­stel­lungen im Münchner Glaspalast teil. 1875 wurden seine Bilder zum ersten Male in der akade­mi­schen Kunst­aus­stellung in Dresden gezeigt. In seinen Briefen erwähnt er als Ausstel­lungsort zudem einen Salon de Paris. Auch die Weltaus­stel­lungen in Wien (1873), Philadelphia (1876) und Melbourne (1888) wurden von ihm beschickt. Dort errangen seine Bilder ebenso Medaillen wie auf anderen großan­ge­legten Veran­stal­tungen 1891 in Berlin oder 1896 in London. Dokumen­tiert sind weit über 70 Ausstellungsbeteiligungen.

Dieses inter­na­tionale Renommee förderte nicht nur seinen wirtschaft­lichen Erfolg, den er aus seiner Malerei zu ziehen vermochte, sondern verschaffte ihm auch gesell­schaft­liche Anerkennung. Mit 21 Jahren war er bereits Mitglied im Verein Berliner Künstler geworden. Ab den späteren 1880er Jahren fand er sich dann zunehmend in verbands­po­li­tische und organi­sa­to­rische Vorgänge mit einge­bunden. Im Jahre 1887 wurde Koerner »Säckel­meister« des Vereins, verwaltete somit die Finanzen. Im Jahre 1889 schrieb er, dass er nicht nur »mit unserer Kunst­aus­stellung«, sondern auch »mit der photo­gra­phi­schen Jubilä­ums­aus­stellung als Juror zu thun« habe. Bei der Vorbe­reitung der Berliner Kunst­aus­stellung von 1891 war er reichlich »mit Voranschlägen, ­Audienz beim Minister, Commissions- und Vorstands­sit­zungen beschäftigt«, und 1895 löste er schließlich den langjäh­rigen Vorsit­zenden Anton von Werner ab.

Damit übernahm er gleich­zeitig die Aufgabe, für den Verein ein eigenes Künst­lerhaus zu bauen. Dieses Projekt verfolgte er umsichtig und verstand es, viele Sponsoren dafür zu inter­es­sieren. Schon am 18. Oktober 1898 konnte das Künst­lerhaus feierlich eröffnet werden. Bei dieser Gelegenheit wurden der Vereins­vor­sit­zende Koerner und der Baumeister, Karl Hoffacker, mit dem König­lichen Kronen­orden III. Klasse ausge­zeichnet. Der Verein Berliner Künstler dankte Ernst Koerner, indem er ihn am 7. Februar 1899 zu seinem Ehren­mit­glied ernannte. In diesem Jahr gab er sein Vorstandsamt auf, ließ sich statt­dessen aber gleich für weitere verant­wor­tungs­volle Tätig­keiten gewinnen. Etwa neun Jahre lang vertrat er den Verein in der Landes­kunst­kom­mission, die über Ankäufe für die Natio­nal­ga­lerie und die Verschö­nerung öffent­licher Gebäude beriet. Außerdem wurde er wiederholt mit dem Amt des Vorsit­zenden der Großen Berliner Kunst­aus­stellung betraut.

Zur öffent­lichen Anerkennung zählte nicht zuletzt, dass seine Bilder von den kaiser­lichen Majes­täten erworben wurden. Die erste Verbindung zum Kaiserhaus wurde wohl zur Kronprin­zessin Victoria geknüpft. Sie wird als Eigen­tü­merin des 1872 in der Berliner Akade­mi­schen Kunst­aus­stellung gezeigten Bildes La grotta dell’acqua, Capri genannt. Im Juli 1873 berichtet der Maler in einem Brief, dass er ein Bild vom »Goldenen Horn« »für Frau Kronprinzeß ausführen« soll. Die kronprinz­lichen Herrschaften, der spätere Kaiser Friedrich und seine Gemahlin, zeich­neten ihn weiterhin durch die Bestellung von etlichen Bildern und von Aquarellen aus. 1880 erwarb Wilhelm I. das Bild Krokodil­tempel zu Kom Ombo. 1895 kaufte Kaiser Wilhelm II. Abend­stimmung von der Insel Phylae, andere Arbeiten folgten. Eines von diesen Bildern, Das goldene Horn, ist den Berlinern erhalten geblieben. Es hängt im Cecili­enhof bei Potsdam im Arbeits­zimmer, das Churchill bei der Viermäch­te­kon­ferenz zur Verfügung stand.

Eine gewisse Nähe zum Kaiserhaus belegt auch das Altarbild, das Ernst Koerner für die 1892 einge­weihte Erlöser­kirche in Berlin-Rummelsburg gemalt und gestiftet hat. Dieses Gotteshaus war das erste eines umfang­reichen Kirchen­bau­pro­gramms, das unter der Schirm­herr­schaft der Kaiserin Auguste Viktoria stand. Das Altarbild ist als integraler Teil dieser denkwür­digen Kirche am Nöldner­platz nach wie vor vorhanden und wurde 2003 aufwändig restauriert.

Der Arbeitsprozess und die künstlerischen Sujets

Koerner brauchte für seine Malerei die unmit­telbare Anschauung der Objekte. Deshalb nahmen Studi­en­reisen in seinem Leben einen großen Raum ein. 1868 war er in Nordfrank­reich (Bretagne und Normandie), 1869, 1871, 1874, 1876, 1891 in Italien, 1872 in England und Schottland, 1882 in Spanien. Besondere Bedeutung erlangten seine Reisen, die er – teilweise über Griechenland und Klein­asien – in den Jahren 1873, 1878, 1887 und 1905 nach Ägypten unternahm. Neben diesen großen Studi­en­reisen gab es auch noch eine Vielzahl von kleineren, die ihn beispiels­halber nach Dievenow an der Ostsee, nach Nieuport in Belgien oder nach Bad Gastein führten.

Auf der Rückreise von seiner ersten Ägypten­fahrt 1873 begegnete Ernst Koerner in Smyrna (Izmir) dem zwölf Jahre älteren Biologen Ernst Haeckel (1834–1919), der zu diesem Zeitpunkt unter Fachleuten schon einen guten Ruf genoss. Er war zudem ein leiden­schaft­licher Hobby-Aquarellist. Mit ihm verbrachte Koerner einen Monat in Klein­asien, um durch die Gegend zu streifen und zu malen. Zusammen bestiegen sie den asiati­schen Olymp, an dessen Fuß die Stadt Brussa liegt. Die dort geknüpfte Freund­schaft hielt bis zum Tode des Biologen. Die in dieser langen Zeit geschrie­benen Briefe und Karten von Koerner haben sich im Ernst-Haeckel-Haus in Jena erhalten. Dies ist ein regel­rechter Glücksfall, weil durch den Zweiten Weltkrieg viele sonstige Quellen über den Maler – wie auch ein erheb­licher Teil seines Werks – vernichtet worden sind.

Aufgrund seiner Studien konzi­pierte und kompo­nierte Koerner späterhin seine Bilder im Atelier. Dabei konnten die Bestand­teile aus verschie­denen Gegenden stammen. So schrieb er am 16. November 1874 an Haeckel :  »Ich beabsichtige ein Größeres Bild von Baalbeck zu malen und ein anderes vom Mahmu­di­canal. Einzelne Studien mit Palmen und dergleichen konnte ich in Capri zu diesem Zwecke machen.« Später hat er auch Fotos einge­setzt. In seinem 1892 erbauten Berliner Haus in der Klopstock­straße war nicht nur ein Mal-Atelier, sondern auch ein Fotolabor einge­richtet worden. Auch mit der Farbfo­to­grafie hat er Versuche angestellt. »Auf Ihre Anregung«, schrieb er 1913 an Haeckel,

habe ich mich mit der Lumiè­re­schen Farben­pho­to­graphie eingehend beschäftigt und speziell für Stimmungs­land­schaften, besonders Sonnen­un­ter­gängen dasselbe als sehr nützlich erkannt ;  weil es erleichtert beim Studium derselben einen bestimmten Moment festzu­halten. Natürlich kann auch diese Photo­graphie, wie nicht anders, nur als Ergänzung zu den selbst gemalten Studien einen wirklichen Wert haben.

Einen anderen Teil seiner Studien hat er in Berlin angefertigt. Das waren haupt­sächlich Perso­nen­dar­stel­lungen, die er als Staffage für seine Bilder brauchte. Dafür besaß er auch passende Gewänder, die seine Modelle anzuziehen hatten. Wenn er also genug Studi­en­ma­terial hatte, saß er in seinem Atelier und versuchte, sich in die Stimmung orien­ta­li­scher Landschaft zu versetzen, und derart malte er seine großen Bilder. »Bei den jetzigen trüben Tagen«, heißt es z. B. 1889 in einem Brief an Haeckel, »gehört wirklich Phantasie dazu sich den südlichen Sonnen­schein zu vergegenwärtigen.«

Ein erheb­licher Teil seines Œuvres gehört zur Orient­ma­lerei, die der damals sehr verbrei­teten Neigung zum Exotismus entsprang. Sie filterte alles heraus, was die Einheit­lichkeit des Bildes hätte stören können. Beispiels­weise wurden Elemente der westlichen Zivili­sation ignoriert, die im Orient durchaus schon sichtbar waren. Mit ihren ungewöhnlich farbigen Motiven bildete sie einen erwünschten Kontrast zum grauen, indus­triell bestimmten Großstadt­alltag. Stilis­tisch passten die Bilder zudem auch gut zu der auf Pracht­ent­faltung zielenden Archi­tektur jener Zeit. Typische Themen dieser Malerei waren stolze nubische Wachen, Falkner, sich verfüh­re­risch räkelnde Harems­damen, lebhafte Bazar-Szenen, Reiter in der Wüste. Es gab aber auch Darstel­lungen ärmerer Orien­talen, zum Beispiel von Bettlern. Eines der Bilder von Ernst Koerner zeigt einen von einem Mädchen geführten Blinden vor einer altägyp­ti­schen Wand. Häufiger und typischer als seine orien­ta­li­schen Perso­nen­dar­stel­lungen sind seine Landschafts­bilder, in denen Menschen allen­falls als Staffage vorkommen. Mit beson­derer Energie widmet er sich der Darstellung des orien­ta­li­schen Himmels in seinen Färbungen bei Abend- oder Morgen­däm­merung. Dazu schreibt er 1889 an seinen Freund Haeckel: »Was mich betrifft, so stecke ich wieder bis über die Ohren im Orient, ein Nachglühen am ägypti­schen Abend­himmel habe ich begonnen, welches mir wieder den Zweifel vieler, aber, wie ich hoffe, Ihre Zustimmung finden wird.«

Verschiebungen und Umbrüche

Nach dem Übergang ins 20. Jahrhundert sah sich Ernst Koerner mit einer Reihe von tiefgrei­fenden persön­lichen, künst­le­ri­schen und zeitge­schicht­lichen Verän­de­rungen konfron­tiert. – Das Gut Czeslawice, das seine Familie 1860 erworben hatte, gewann für ihn zunehmend an Bedeutung. Er hatte sich dort oft aufge­halten und eine Reihe von Bildern gemalt. Nach dem Tod seiner Brüder Otto (1901) und Emil (1902) musste er nun auch die Verant­wortung für den landwirt­schaft­lichen Betrieb übernehmen. (1905 wurde Czeslawice übrigens in Koerners­felde umbenannt, hieß dann ab 1920 freilich gleich wieder Czeslawice.)

Das Kriegsende erlebte er in Berlin. Am 13. Februar 1919 schrieb er an Haeckel :

Ich zehre von dem Schatz der herrlichen Eindrücke und meinen Studien aus dem Orient, male den alten, rätsel­haften Nil, das märchen­hafte Goldene Horn und denke dabei unserer schönen dort gemeinsam verlebten Stunden, während draußen die Maschi­nen­ge­wehre knattern und Spartakus sich ungebärdig zeigt.

In den anschlie­ßenden Monaten wurde er dann von den politi­schen Erschüt­te­rungen ereilt, die der Versailler Vertrag auslöste. Ludwig, der jüngste seiner drei Söhne, war zwar ab dem 1. Januar 1919 Pächter von Koerners­felde geworden, doch bereits im Februar wurde er mit vielen anderen Deutschen in Szczy­piorno bei Kalisch in einem Lager inter­niert und kam erst am 20. Juli 1919 wieder frei. Um Koerners­felde (Czeslawice) behalten zu können, blieb Ludwig allein die Möglichkeit, die polnische Staats­bür­ger­schaft anzunehmen. Der Maler selbst konnte nun oft nur noch mit befris­teten Aufent­halts­er­laub­nissen dorthin reisen.

Einen kleinen Eindruck von den Problemen, mit denen sich Koerner als Deutscher im »Korridor« ausein­an­der­setzen musste, vermitteln die folgenden Aussagen aus einem Brief, den er am 19. Juni 1927, nur wenige Wochen vor seinem Tode, aus Czeslawice p. Lipiny poznanskie an einen Gutsbe­sitzer auf Rügen geschrieben hat :

Wir wollen nun am Montag d 27ten wieder nach Berlin fahren. Mein Aufenthalt hier war zunächst dadurch veranlaßt, daß die Liqui­da­tions Kommission einen Teil zu liqui­dieren versuchen will, dem wir natürlich energisch entge­gen­treten. Der deutsche Konsul hat bei der Schieds­kom­mission meinen doppelten Wohnsitz angemeldet.

Zwischen­durch habe ich noch Verhand­lungen mit der Stadt­bahn­ver­waltung, welche elektri­sieren will. Sie wollen ihren Bahnkörper über meiner Grenze um 70 cm auskragen, um darauf die Kabel zu legen. Ich habe RM 100 für den laufenden Meter gefordert, sie gaben jedoch nur 50 M, schließlich hat die Kabel­ge­sell­schaft sich bereit erklärt ihrer­seits die anderen 50 M zu zahlen, so daß ich die gefor­derten RM. 2000 erhalte. Überall muß man kämpfen ;  aber dann bleibt man frisch !

Auch der Zeitge­schmack erwies sich schließlich als rasch wandelbar, aller­dings ließ sich Koerner von diesen Verschie­bungen nicht beein­drucken. Er setzte die Entfaltung seines Œuvres stetig fort und betei­ligte sich weiterhin regel­mäßig an den Großen Berliner Kunst­aus­stel­lungen, das letzte Mal in seinem Todesjahr 1927 mit dem Bild Die Memnon­ko­losse bei Sonnen­aufgang. Bis zuletzt war er tätig und geistig voll auf der Höhe, bevor er am 30. Juli infolge eines Schlag­an­falls verstarb.

Die großfor­ma­tigen, streng kompo­nierten Bilder der akade­mi­schen Tradition fanden jedoch nur noch wenig Beachtung. Andere, »zeitge­nös­sische« Kunst­strö­mungen standen bei den Kritikern und beim Publikum im Fokus des Inter­esses. Als 1927 die Nachkommen Koerners der Natio­nal­ga­lerie 20 Ölskizzen aus dem Nachlass anboten, wurden davon nur die zehn Stücke genommen, die als Geschenk offeriert worden waren :  Ungeachtet eines großzügig einge­räumten Sonder­preises verzichtete die zuständige Kommission darauf, die übrigen zehn Ölskizzen anzukaufen. – So mussten erst etliche Jahrzehnte vergehen, bis sich die Kriterien der Kultur­ge­schichts­schreibung und der Beurteilung künst­le­ri­scher Werke so weit geändert hatten, dass auch Maler wie Ernst Koerner wieder eine Chance erhielten, unbefan­gener wahrge­nommen und betrachtet zu werden.


Andreas Koerner wurde in Hofleben, Kr. Briesen, geboren. Seine Eltern hatten – bis ins 17. Jahrhundert zurück­ver­folgt – gemeinsame Vorfahren. Dadurch wurden sowohl der hier vorge­stellte Maler Ernst Koerner als auch der bekannte Thorner Oberbür­ger­meister Theodor Eduard Koerner zu seinen Urgroß­vätern. Bis zu seiner Pensio­nierung leitete Andreas Koerner eine der Stadt­teil­bi­blio­theken von Essen. Zudem beteiligt er sich intensiv an der kultur­his­to­ri­schen Forschung und ist auch ein geschätzter Aquarellist.