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Hermann Löns – Nation, Heimat, Umwelt

Von Tilman Asmus Fischer

Gedenktage historischer Persönlichkeiten bieten zu dreierlei Gelegenheit: das Leben und Werk in Erinnerung zu rufen – die Rezeption durch die Nachwelt kritisch zu würdigen – auf Desiderate der bisherigen Betrachtungen hinzuweisen. Diesen drei Aspekten möchte der vorliegende Beitrag über Hermann Löns nachgehen, der vor 150 Jahren, am 29. August 1866 geboren (und am 26. August 1914 gefallen) ist und der ohne jede Frage als der »Heidedichter« par excellence gilt und in Erinnerung bleibt: Die Heide war nicht nur eines der Motive seiner Dichtung, sondern ihr zentraler Gegenstand; und die von ihm betriebene Stilisierung zum Heidedichter hat in unterschiedlichen Phasen seine Rezeption im Deutschen Reich wie in der Bundesrepublik geprägt. Gegenwärtig überwiegen dabei kritische Töne. Die Stoßrichtung entsprechender Sichtweisen illustriert der Beitrag, den Christian Lindner für Deutschlandradio Kultur zum 100. Todestag im Jahre 2014 verfasst hat: »Der Schreibgenuss bestand darin, seine von triefender Sentimentalität und deutsch-nationaler Gesinnung genährten Traumbilder vom Rückzug und vom einfach-bäuerlichen Leben in der Heide schnell und hemmungslos und unreflektiert aus sich herausfließen zu lassen.« Die Hintergründe dieser Einschätzung sollen im Folgenden erläutert werden. Dabei soll zugleich freilich eine die vorherrschenden Bilder ergänzende Deutung des ›nationalen‹ Löns vorgenommen werden, und zwar die von Löns als einem Aktivisten der frühen Naturschutzbewegung.

Seine Kindheit verbindet Hermann Löns mit Westpreußen, wo er 1866 in Culm an der Weichsel geboren wurde und später in Deutsch Krone zur Schule ging, bevor er sein Abitur im west­fälischen Münster ablegte. Ab 1886 studierte Löns Medizin, Natur­wis­sen­schaften und Mathe­matik in Münster, Greifswald und Göttingen. Dies freilich tat er erfolglos und wandte sich schließlich dem Schreiben zu: Ab 1891 verdingte er sich als Journalist in Kaisers­lautern, Gera und Hannover. Schnell fand er die Heide als zentralen Bezugs­punkt von Leben und Arbeit. Dies klingt bei Christian Lindner so: Löns »kam seinen Zeitge­nossen in seinem Auftreten ein wenig dandyhaft vor – bis er den grünen Rock anzog und auf der Suche nach Ordnung und Gedie­genheit in seinem Leben, in Romanen, Erzäh­lungen und Gedichten die Heide­land­schaft als Heimat zu erobern versuchte und im Sinne einer altdeutsch-volkstümlichen Romantik besang.« Im Jahr seiner Heirat mit Elisabeth Erbeck 1893 erschienen seine ersten Gedichte. Im Jahr der Scheidung 1901 veröf­fent­lichte Löns, der seither in Bremen lebte, seine Natur­be­schrei­bungen Mein goldenes Buch und Mein grünes Buch, denen weitere folgten. Die 1909 erschienen Romane Der letzte Hausbur sowie Dahinten in der Heide werden im Nachhinein mit der Ideologie von »Blut und Boden« in engen Zusam­menhang gebracht. ›Muster­gültig‹ für einen patrio­tisch geson­nenen Mann seiner Generation fand der Freiwillige Hermann Löns schließlich am 26. August 1914 auf dem Felde bei Loivre den Tod.

Als Löns fiel, war er noch nicht einmal 48 Jahre alt. In seiner 24-jährigen Schaf­fens­phase war es ihm jedoch gelungen, sich in einer teils beein­dru­ckenden, teils keineswegs unpro­ble­ma­ti­schen Weise in das kollektive kultu­relle Gedächtnis Deutsch­lands einzu­schreiben. Von seiner ungebro­chenen Wirkungs­kraft zeugt nicht nur der bis heute bestehende Verband der Hermann-Löns-Kreise in Deutschland und Öster­reich e. V., der die dreimal jährlich erschei­nenden Hermann-Löns-Blätter heraus­bringt, sondern zeugen auch unzählige Hermann-Löns-Straßen und ‑Schulen in Deutschland sowie die unter­schied­lichsten Löns-Gedenkstätten. Hierzu zählen etwa neben dem Herrmann-Löns-Zimmer im Heide­museum Risch­mannshof diverse Gedenk­steine, eine seinen Namen tragende Schutz­hütte für Wanderer sowie auch Löns-Archive. Diese vielfältige Manifes­tierung des Löns-Gedenkens hat eine derartige quali­tative und quanti­tative Vielfalt erreicht, dass die vom Löns-Verband erfassten Löns-Gedenkstätten ein mehrsei­tiges Verzeichnis füllen (www.loens-verband.de/Gedenkstatten_Zahmel.pdf).

Rasch fällt auf, dass sich viele der Gedenk­stätten im heutigen Nieder­sachsen befinden. Dies hat seinen Grund darin, dass der gebürtige Westpreuße nicht nur die Heide, sondern zugleich »Nieder­sachsen« für sich entdeckt hatte. Er selbst schrieb über seine Identi­fi­kation mit der Landschaft, in der er seit 1893 lebte: »Bisher hatte ich mich ganz als Einzel­wesen gefühlt; nun empfand ich Stammes­be­wußtsein […]; bald hatte ich Freunde, wirkliche Freunde, und es waren kaum zwei Jahre vergangen, da war ich bewußt das, was ich unbewußt immer gewesen war, Nieder­sachse.« Mit diesem Bekenntnis reihte sich der Dichter in die im 19. Jahrhundert entstandene »Nieder­sach­sen­be­wegung« ein, die im Sinne des wachsenden Natio­nal­be­wusst­seins die Identität eines – einzelne deutsche Teilstaaten überschrei­tendes – »Stammes« der Nieder­sachsen propagierte.

Indem Löns über Nieder­sachsen und die Nieder­sachsen – über das Land und den (im Nachhinein konstru­ierten) Stamm – schrieb, wurde er nicht nur über seinen Tod hinaus populär und gern gelesen: In der Wandervogel­bewegung, bei den Nieder­sachsen, bei Natur­lieb­habern und Jägern. Zugleich war hiermit der Grund­stein gelegt für das verhäng­nis­vollste Kapitel der Löns-Rezeption: derje­nigen durch die Natio­nal­so­zia­listen, für die der Autor des Wehrwolfs ideolo­gi­schen Vorbild­cha­rakter hatte mit markigen Sätzen wie: »Besser fremdes Blut am Messer, als ein fremdes Messer im eigenen Blut.« – Vor diesem Hinter­grund ist zu sehen, dass, nachdem ein franzö­si­scher Bauer auf seinem Acker die mit hoher Wahrschein­lichkeit Löns zuzuord­nenden leiblichen Überreste eines Gefal­lenen gefunden hatte, der Völkische Beobachter am 8. Mai 1934 meldete: »Löns-Grab ermittelt«. Kaum in der Nähe von Barrl bestattet, wurde Löns erneut exhumiert, und am 2. August fand eine Beisetzung in Tietlingen bei Walsrode statt – ganz im Sinne der damaligen Macht­haber: in einer Grabkammer mit einer Urkunde des »Führers«, bedeckt mit ­einem Findling. Einen Vorschein dieser »Gleich­schaltung« des Heide­dichters hatte übrigens schon 1932 der erste Hermann-Löns-Film, Grün ist die Heide, gegeben. Die zeitge­nös­sische Filmbe­spre­chung in der Filmwoche lässt tief in die Seele vieler Zuschauer blicken: »Gute Menschen­typen (wir haben sie in der Heimat und brauchen nicht das Ausland), helle, offene Gesichter unter Jungen und Alten. Es ist, als spiegele sich die Sonne in ihren Augen. Das Publikum war begeistert.«

Gut zehn Jahre nach der Beisetzung in Tietlingen war das »Tausend­jährige Reich«, das Löns als natio­nalen Dichter gefeiert hatte, Geschichte – Löns aber blieb anhaltend populär: Nun freilich in einem unpolitisch-romantischen Sinne. Der Heimatfilm der Nachkriegszeit entdeckte Löns für sich: 1957 spielte Dieter Borsche den Dichter in Rot ist die Liebe (auf Grundlage des Romans Das zweite Gesicht. Eine Liebes­ge­schichte), 1960 kam Wenn die Heide blüht in die Kinos; gleich zweimal erfolgten Neuver­fil­mungen von Grün ist die Heide: 1951 mit Sonja Ziemann, Rudolf Prack und Willy Fritsch, und 1972 sogar mit der Einlage vertonter Löns-Gedichte.

Heute wird Löns aller­dings, wie eingangs gezeigt, mehrheitlich kritisch bewertet: Sein Engagement für die »Nieder­sach­sen­be­wegung« und die völki­schen Tendenzen in seiner Dichtung dominieren das Löns-Bild und verführen dazu, ihn selbst sozusagen im Nachhinein für die zugeschärfte Rezeption seiner Person und seines Werks durch die Natio­nal­so­zia­listen unmit­telbar verant­wortlich zu machen. Es gibt jenseits der affirmativ-nationalen, der unpolitisch-romantischen und der kritisch-ablehnenden Sicht­weise von Löns aber auch Nebenwege für unbefan­genere Zugänge und alter­native Deutungs­muster. Solch eine Per­spektive eröffnet das Gedenken, das Löns als Aktivisten des Natur­schutzes zusteht und auch schon zukommt.

Diese Bedeu­tungs­zu­schreibung erklärt sich vor dem Hinter­grund des kaiser­zeit­lichen Natur­schutzes im Deutschen Reich, das ganz wesentlich durch den Gründer der preußi­schen Zentral­stelle für Natur­denk­mal­pflege, den Danziger Hugo Conwentz (1855–1922), geprägt war (vgl. Der Westpreuße 3/2016): Der Volks­kundler Friedemann Schmoll sieht das Konzept der Conwentzschen Natur­denk­mal­pflege dadurch charak­te­ri­siert, dass »die Bewahrung von Relikten« im Vorder­grund stand, hingegen die »Zusam­men­hänge von Ökonomie und Ökologie« nicht thema­ti­siert wurden. Dabei ist es fraglich ist, wieweit diese Zusam­men­hänge für Conwentz und seine Zeitge­nossen überhaupt schon fassbar waren: »Vor dem Hinter­grund beschleu­nigten gesell­schaft­lichen Wandels wurde bedrohte Natur als Reprä­sen­tantin unter­ge­gan­gener und just hinab dämmernder histo­ri­scher Zeiten wahrgenommen.«

1911 hat Hermann Löns sich in einem – posthum 1929 veröf­fent­lichten – Vortrag genau gegen einen derart ausge­rich­teten Natur­schutz gewandt: »Es klingt bitter, aber es ist so: Die amtliche Natur­denk­mal­pflege erweckt immer mehr den Verdacht, als arbeite sie einem großzü­gigen, wirkungs­vollen Natur­schutz entgegen. Sie schützt Belang­lo­sig­keiten, arbeitet im Detail, hemmt aber eine Bewegung, die sich auf das Ganze richten muß. Sie ist eben amtlich, muß büreau­kratisch vorgehen, darf um Himmels­willen Niemand auf die Zehen treten, nicht Sturm läuten, nicht das Nothorn blasen.« Im Folgenden verdeut­licht Löns die von ihm unter­stellte Wirkungs­lo­sigkeit des staat­lichen Natur­schutzes. In den Bildern, die der Natur­schützer Löns verwendet, schlägt nicht nur der Schrift­steller, sondern auch eine gute Portion konser­va­tiver Zivili­sa­ti­ons­kritik durch: »Pritzelkram ist der Natur­schutz, so wie wir ihn haben. Der Natur­ver­hunzung dagegen kann man eine geniale Großzü­gigkeit nicht absprechen. Sie fährt Auto im 80 Kilome­ter­tempo; der Natur­schutz kraucht knicke­beinig hinter­drein. Die Natur­ver­hunzung arbeitet ›en gros‹; der Natur­schutz ›en detail‹. Die Natur­ver­hunzung herrscht, der Natur­schutz steht in ihren Diensten.« Auch wenn hier bereits die kritische Einsicht vorhanden ist, dass der staat­liche Natur­schutz nicht weit genug geht und seine Verwal­tungs­logik überwunden werden muss, dürfen wir auch bei Löns nicht voraus­setzen, dass er die »Zusam­men­hänge von Ökonomie und Ökologie« in der Tiefe mitdenkt, in der sie sich dem Zeitge­nossen des Jahres 2016 darstellen. In diesem Sinne steht die von Löns vertretene Program­matik für einen Entwicklungsprozess.

Löns setzte sich jedoch nicht nur mittels seiner Sprach­gewalt, sondern zugleich auch praktisch für den Natur­schutz ein: So betei­ligte er sich bereits 1909 an der Gründung des Bundes zur Erhaltung der Natur­denk­mäler aus dem Tier- und Pflan­zen­reiche. Diese nur bis 1914 bestehende Verei­nigung ging aus dem Anhän­ger­kreis des Berliner Kompo­nisten und Natur­schützers Ernst Friedrich Karl Rudorff hervor. Dieser hatte gemeinsam mit Conwentz 1904 den Bund Heimat­schutz (BH; heute Bund Heimat und Umwelt in Deutschland) gegründet und prägte die mit dem Begriff »Heimat­schutz« verbundene Bewegung, deren ganzheit­liches Verständnis von ›Heimat‹ vielleicht am treff­lichsten in der damaligen Zweck­be­stimmung des BH zum Ausdruck kommt, in der Formu­lierung vom »Schutz der deutsche[n] Heimat in ihrer natür­lichen und geschichtlich gewor­denen Eigenart«. Diese Verknüpfung des Bewahrens von kultu­rellem und natür­lichem Erbe macht zugleich die Anschluss­fähigkeit von Löns natio­nalen Positi­ons­be­stim­mungen zum Natur­schutz plausibel – und schließt zugleich bruchlos an sein Engagement für die »Nieder­sach­sen­be­wegung« an.

Der heutige profes­sio­nelle Umwelt­schutz weiß, dass er sich einer Symbiose aus der ›bürokra­ti­schen‹ Tradition ­eines Conwentz, und der ›aktivis­ti­schen‹ eines Löns verdankt. So fand die erste Verleihung der Hugo-Conwentz-Medaille des Bundes­ver­bandes Beruf­licher Natur­schutz (BBN) 1986 bewusst in Bremen statt, um dort, in der Wahlheimat des Dichters, an die 75 Jahre zuvor gehaltene Rede von Hermann Löns zu erinnern. Hierzu erklärt der BBN: »Demnach sollen mit der Medaille auch Leistungen gewürdigt werden, die sich mit Natur­schutz in der Bundes­re­publik Deutschland oder inter­na­tional auch durch kons­truktive Kritik auseinandersetzen.«

Löns Einsatz für den Natur­schutz relati­viert nicht seine (deutsch-) natio­nalen Positio­nie­rungen – ist mit ihnen vielmehr durch die ideolo­gische Klammer eines ganzheit­lichen Konzeptes von »Heimat­schutz« verbunden. Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass Löns aus einer solchen (im besten Sinne) funda­men­talen Position heraus eine Grund­satz­kritik an dem zu dieser Zeit selbst schon avant­gar­dis­tisch erschei­nenden Natur­schutz der Kaiserzeit formu­liert hat, die letztlich den heutigen Leitbildern eines proak­tiven Umwelt­schutzes näher ist als das Konzept von Conwentz – so wie nicht zuletzt auch die Rhetorik heutiger Aktivisten ihre Verwandt­schaft zu derje­nigen von Löns schwerlich verleugnen kann.