Zurück

Titel von WP 3 2025, Westpreußen, Ansicht von Danzig im Sonnenuntergang, Vordergrund Bäume, Mittelgrund Kirchgebäude, Hintergrund Himmel und Industrieanlagen

Zum Heft

Zur Rubrik

Ein unentbehrlicher Beitrag zur deutschen Erinnerungskultur


Das Westpreußische Landesmuseum konnte sein 50-jähriges Bestehen feiern

Von Erik Fischer

Bis 1945 hatte sich in Westpreußen, nicht nur in Danzig, sondern auch in Elbing, Thorn und anderen Städten, eine vielge­staltige Museums­land­schaft entwi­ckelt. Die plötz­liche Unerreich­barkeit all dieser Erinne­rungsorte bedeutete für die Flücht­linge und Vertrie­benen einen kaum zu ermes­senden Verlust und radikalen Kontinuitätsbruch.

Vor diesem Hinter­grund wirkte es auf die damaligen Vertreter der Lands­mann­schaft fast wie ein Wunder, dass schon 30 Jahre später, am 6. Juli 1975, im Drostenhof zu Münster-Wolbeck die feier­liche Eröffnung eines Dokumentations- und Kultur­zen­trums Westpreußen (DKZW) statt­finden konnte und der Allge­meinheit nun erstmals im Westen Deutsch­lands eine dauer­hafte Ausstellung über die frühere preußische Provinz am Unterlauf der Weichsel zugänglich gemacht werden konnte. Vier Monate zuvor, am 6. März jenes Jahres, war zudem die Träger­stiftung des Museums, die heute Kultur­stiftung Westpreußen heißt, genehmigt worden.

Dass dieser Wunsch der Westpreußen in Erfüllung gehen konnte, verdankte sich maßgeblich dem Landschafts­verband Westfalen-Lippe (LWL): Er hatte 1960 eine Paten­schaft für die Lands­mann­schaft Westpreußen übernommen, die daraufhin 1963 ihre Bundes­ge­schäfts­stelle von Lübeck nach Münster verlegte. Nun kam eine partner­schaft­liche, höchst förder­liche Entwicklung in Gang, an deren Beginn der LWL Räumlich­keiten zur Verfügung stellte und der Lands­mann­schaft damit die Chance gab, bislang eher zufällig zusam­men­ge­kom­menes Kulturgut aufzu­be­wahren. Von diesem Grund­stock aus konnte jetzt eine stärker syste­ma­tisch orien­tierte Sammlungs­tä­tigkeit einsetzen, die insbe­sondere Hans-Jürgen Schuch, der spätere Gründungs­di­rektor, mit großer Inten­sität vorantrieb. 

Die Erinne­rungen an diese Vorge­schichte und die damalige Eröff­nungs­feier wurden wieder wachge­rufen, als am Samstag, dem 28. Juni, das Doppel­ju­biläum der Stiftung und des Museums feierlich begangen wurde. In der Kirche des ehema­ligen Franzis­ka­ner­klosters von Warendorf, das seit 2013 das (im Dezember 2014 eröffnete) WLM beher­bergt, waren viele Gratu­lanten zusam­men­kommen: inter­es­sierte Bürger der Stadt, Mitar­beiter und Freunde des Hauses, Vertreter der insti­tu­tio­nellen Förder­geber sowie Mitglieder der Westpreu­ßi­schen Gesell­schaft und Reprä­sen­tanten der Kultur­stiftung. Sie alle wollten durch ihre Anwesenheit ihre Verbun­denheit mit einer Einrichtung demons­trieren, die innerhalb der Erinne­rungs­kultur in Deutschland seit nunmehr 50 Jahren eine ganz eigene Aufgabe erfüllt.

Auch in den Grußworten der Ehren­gäste – zu ihnen gehörten Klaus Baumann, der Vorsit­zende der LWL-Landschaftsversammlung, Winfried Kaup als erster stell­ver­tre­tender Landrat sowie, in Vertretung des Bürger­meisters, Regina Höppner, die Leiterin des Dezernats Bürger­dienste – wurde die Bedeutung des Museums als Ort der Erinnerung wie als wichtige, regional fest einge­bundene Instanz der Kultur­ver­mittlung gewürdigt. Daraufhin hielt Regie­rungs­prä­sident a. D. Dr. Peter Paziorek die Festan­sprache, die er unter den Titel Die Westpreußen und ihr Museum in Westfalen gestellt hatte. 

Als Westfale, der sich seiner westpreu­ßi­schen Wurzeln stets bewusst geblieben ist, reprä­sen­tierte der Redner selbst die seit Jahrhun­derten bestehenden engen Bezie­hungen zwischen den beiden Regionen; und als langjäh­riges Stiftungs­rats­mit­glied der Kultur­stiftung vermochte er Einblicke in die dynamische, zuweilen aber auch nicht ganz ungefährdete Entwicklung des Hauses zu gewähren. Er verwies auf das Jahr 1983, von dem an der Drostenhof dem Dokumen­ta­ti­ons­zentrum unein­ge­schränkt zur Verfügung gestellt wurde. So habe es nun als Westpreu­ßi­sches Landes­museum auch in regel­mä­ßiger Folge ­Sonder- und Kabinett­aus­stel­lungen veran­stalten können, in denen vielfältige westpreu­ßische Themen ihren Nieder­schlag fanden. Ein weiterer positiver Effekt sei 1991 durch die Übernahme der insti­tu­tio­nellen Förderung durch die Bundes­re­publik Deutschland hervor­ge­rufen worden, denn dadurch ließ sich die Planungs­si­cherheit deutlich erhöhen, und zudem konnte jetzt die Perso­nal­aus­stattung verbessert werden. Auch für die Sammlung des WLM hätten sich dadurch gänzlich neue Perspek­tiven eröffnet, denn es wurde jetzt gelegentlich möglich, den Beständen dank großzügig gewährten Sonder­mitteln regel­rechte Glanz­lichter aufzusetzen.

Dr. Paziorek sprach überdies über die schon um die Jahrtau­send­wende einset­zende Phase, in der sich abgezeichnet habe, dass eine Nutzung des Drostenhofs auf Dauer erheb­liche Umbauten und Moder­ni­sie­rungen voraus­setzte. Neben dieser Option seien auch Alter­na­tiven ins Auge gefasst worden, die von Entwürfen eines großzü­gigen Neubaus bis zu einer Anglie­derung an das Ostpreu­ßische Landes­museum in Lüneburg reichten. Letztlich sei nach einer langen Zeit des Konzi­pierens und Verwerfens glück­li­cher­weise das ehemalige Franzis­ka­ner­kloster in Warendorf gefunden worden, das dann – zweck­ent­spre­chend umgebaut und einge­richtet – zum neuen Domizil des Museums geworden ist.

An die Jubilä­ums­feier schloss sich zunächst ein Empfang und im weiteren Verlauf des Tages ein Symposion an, in dem sich ein relativ großer Kreis von Disku­tanten die Aufgabe stellte, zum 50. Jahrestag des WLM dessen »Tradition und Zukunft« mitein­ander »im Dialog« zu bedenken und zu entfalten. – Zunächst hielten drei Teilnehmer jeweils Impuls­re­ferate über die Themen: Das Westpreußen­-Museum: ein Mitglied der großen »96-er Familie« (Dr. Roland Borchers, Berlin), Die Geschichte des Hauses, thema­tische Bruch­stellen und verän­derte Perspek­tiven (Prof. Dr. Erik Fischer, Bonn) und Chancen einer Öffnung und Weiter­ent­wicklung (Martin Koschny M. A., Warendorf). Nach diesen einfüh­renden Kurzvor­trägen äußerten – unter der Moderation von Dr. Vincent Regente (Berlin) – Dr. Hermann Arnhold, der Direktor des LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster, Prof. Dr. Bettina Schlüter, Direk­torin der Abteilung »Digitale Gesell­schaft« im Forum inter­na­tionale Wissen­schaft der Univer­sität Bonn, sowie Wolfgang Türk als Leiter des Kulturamts der Stadt Warendorf eine Reihe von Rückfragen und eigenen State­ments, so dass sich tatsächlich ein inten­siver, auch kriti­scher und selbst­kri­ti­scher Dialog entfaltete.

Bei diesem Gedan­ken­aus­tausch kristal­li­sierten sich einer­seits gewisse Bedenken heraus, ob es tatsächlich gelingen könne, ein ostdeut­sches Museum, das sich einer früheren, nicht mehr allgemein bekannten preußi­schen Provinz widmet, erfolg­reich in einer westfä­li­schen Kreis­stadt zu betreiben und tatsächlich heimisch zu machen. Anderer­seits waren die Pläne, die der gegen­wärtige Leiter des WLM, Martin Koschny, in seiner Keynote für die zukünf­tigen Arbeits­schwer­punkte entwi­ckelt hatte, derart überzeugend, dass die Zweifel kaum noch weitere Nahrung erhielten.

Dort war es zum einen um das Bemühen gegangen, die Erinnerung an die Geschichte der Region auch über Genera­tionen und nationale Grenzen hinweg wachzu­halten. Zum anderen sollte das Bewahren des westpreu­ßi­schen Kultur­gutes noch erheblich stärker mit zeitge­mäßen museo­lo­gi­schen Ansätzen und einer klugen Medien-Nutzung verknüpft und durch Koope­ra­tionen mit univer­si­tären Projekt­partnern perspek­ti­visch erweitert werden.

Zum dritten hatte der für längere Zeit in den Hinter­grund getretene Leitge­danke, dass das WLM »Begeg­nungen mit einer deutsch-polnischen Kultur­region« vermit­telte, wieder nachdrück­liche Beachtung gefunden – und wurde noch ausge­weitet: Gerade angesichts wieder erstar­kender natio­na­lis­ti­scher Tendenzen erscheinen museale Räume einer diffe­ren­zierten Geschichts­ver­mittlung unent­behrlich, denn sie vermögen Polari­sie­rungen und Verein­fa­chungen nachhaltig entge­gen­zu­wirken. Zum vierten schließlich war auch die Bedeutung der Museums­päd­agogik akzen­tuiert worden, die in Warendorf erst seit kurzem einen eigen­stän­digen Arbeits­be­reich bildet und bereits eine Vielzahl attrak­tiver Angebote entwi­ckelt hat.

Den optimis­ti­schen Grundton der Diskus­si­ons­er­geb­nisse verstärkten auch Stimmen aus dem erfreulich großen Auditorium; sie zeigten, dass die in jüngerer Zeit unter­nom­menen Versuche des WLM, neue Themen zu erschließen, innova­to­rische Ausstellungs- und Vermitt­lungs­kon­zepte zu entwi­ckeln, die inter­na­tionale Vernetzung auszu­bauen und die regionale Veran­kerung zu konso­li­dieren, schon eine breitere und sehr ermuti­gende Resonanz gefunden haben.

Auf das Symposion folgte, die Veran­stal­tungen am Samstag abschließend, noch ein Konzert in der Kloster­kirche, zu dem der Förder­verein Kloster­kultur Franzis­ka­ner­kloster Warendorf einge­laden hatte. Unter dem Titel »Klang­struk­turen« boten Robert Kusiolek (Akkordeon, Bandoneon), Anton Sajarov (Violine, Klang­ob­jekte) und Elena Chekanova (Klavier, Live-Elektronik) arran­gierte Kompo­si­tionen von Johann Sebastian Bach, Frédéric Chopin, Edvard Grieg, Erik Satie und Astor Piazzolla – sowie vor allem eigene Kompo­si­tionen, in denen sie im Übergangs­be­reich zwischen tradi­tio­neller Instru­men­tal­musik sowie elektro­ni­scher Tonerzeugung und ‑bearbeitung zu einer Vielzahl origi­neller, überra­schender wie überzeu­gender musika­li­scher und klang­licher Prozesse bzw. Struk­turen gelangten.

Am nächsten Mittag zeigte sich dann, dass der Sonntag – dem Einla­dungstext entspre­chend – tatsächlich höchst »vergnüglich« werden würde. Bei strah­lendem Sommer­wetter hatte sich der Vorplatz des Museums in eine Erleb­niszone verwandelt: Die Band Michael van Merwyk & The Ollies sorgte mit ihrem Blues- und Soul-Repertoire für einen durchaus anspruchs­vollen und stilvollen musika­li­schen Rahmen; viele Besucher nahmen dankbar das verlo­ckende Angebot an, die Songs bei Kaffee und Kuchen zu genießen – und einige beschäf­tigten sich inter­es­siert mit den Angeboten der Infor­ma­ti­ons­stände, die das WLM, die Westpreu­ßische Gesell­schaft, der Kunst­kreis Warendorf und der Förder­verein Kloster­kultur Franzis­ka­ner­kloster Warendorf aufge­schlagen hatten.

Familien, Kinder und Jugend­liche konnten sich innerhalb des Museums an spannenden Mitmach­ak­tionen betei­ligen: Ob Talismane gebastelt oder Münzen geprägt wurden, oder ob beim Durch­streifen der Dauer­aus­stellung Rätsel zu lösen waren – stets galt es, Kreati­vität und Geschick­lichkeit unter Beweis zu stellen. Die Erwach­senen schließlich verfolgten in großer Zahl die szeni­schen Führungen des Schau­spielers Markus von Hagen, der die Figur des Goldschmie­de­meisters Melchior Berger verkör­perte und die Gäste anhand einzelner Exponate ebenso klug wie heiter in die Geschichte und die Geheim­nisse seiner Kunst einführte.

Als am Spätnach­mittag die letzten Besucher das Museum verließen, wussten Martin Koschny und sein Team, dass dieses Wochenende ihrem Haus große Aufmerk­samkeit und viel Sympathie einge­bracht hatte – und dass sie mit der Ausrichtung eines weiteren »vergnüg­lichen Sonntags« nicht erst bis zum nächsten Jubiläum warten sollten.